Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
26. Sitzung vom 9. April 1986
1421
RBm Diepgen
(A) gesamte Legislaturperiode. All dies ist aber von uns in einem ein
zigem Jahr geschaffen und in die Wege geleitet worden,
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. -
Pätzold (SPD): Donnerwetter! -
Momper (SPD): Jetzt ist aber Schluß, das ist wahr!]
Nun muß ich ein paar Bemerkungen über den Stil und die
Argumentationsweise der Opposition machen. Ich habe den Ein
druck, daß es der Opposition für die politische Argumentation in
der Tat ausreicht, wenn man Verdächtigungen, eventuell sogar
selbst organisiert
[Momper (SPD): Bagatellen!]
oder in die Welt bringt.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. -
Pätzold (SPD): Was haben wir selbst organisiert?]
Der Zusammenhang mit einigen Fragen, die immer wieder an
mich gestellt werden, ist ja ganz typisch. Ich habe den Eindruck,
Herr Kollege Momper, die Opposition ist inzwischen so kurz, daß
sie nur noch unter die Gürtellinie schlagen kann.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. -
Momper (SPD): Herr Diepgen, Sie haben
die Realitäten vergessen!]
* Und das, was hier beispielsweise im Hinblick auf einen Aktenver
merk der Staatsanwaltschaft gesagt worden ist, zeigt nur, daß
Sie Zusammenhänge, weder juristische noch sonstige, nicht
begreifen können. Wenigstens hätten Sie, wenn Sie auch nur ein
Stück glaubwürdig sein wollten in dieser Diskussion, die Erklä
rung der Staatsanwaltschaft insgesamt mit erwähnen müssen.
Aber Verleumdungen als Mittel der politischen Auseinanderset
zung haben ja in Deutschland eine traurige Tradition. Große
Repräsentanten der Weimarer Republik wie Erzberger, Ebert,
Rathenau, Stresemann waren genau die Opfer von Verleumdun
gen.
(B) [Frau Bischoff-FTIanz (AL): Sie wollen sich
doch wohl mit denen nicht vergleichen? -
Das ist doch der Gipfel!]
Und was nutzten damals die Klagen auf Unterlassung? Was
nutzten ihre gewonnenen Prozesse, wie auch gestern von der
Union gewonnene Prozesse, wenn ein Magazin einfach etwas in
die Welt blasen will?
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Die Verleumdung blieb den Menschen damals in Erinnerung, und
die Rehablitation nehmen sie nicht mehr wahr. Die gezielte Ver
breitung von Unwahrheiten durch die oppositionelle extreme
Linke und Rechte trug dazu bei, daß Weimar eine ungeliebte Re
publik blieb, daß die Machtergreifung Hitlers dann so reibungs
los und im wesentlichen widerstandslos vonstatten ging.
[Zurufe von der AL]
Ich betone und begrüße sehr, daß es an dieser Stelle wenigstens
ein bißchen Unruhe gibt. Es sollte nicht Unruhe, sondern Betrof
fenheit sein bei diesen historischen Vergleichen. Ich betone, Ber
lin ist nicht Weimar, und es liegt mir auch fern, etwa Teile der
Presse und der Opposition ungerechtfertigt in die Nähe der Wei
marer Links- und Rechtsradikalen zu rücken.
[Staffelt (SPD): Es stimmt doch nichts
an diesem Vergleich!]
Ich stelle aber fest, daß die Verleumdung als Mittel zur Diskredi
tierung der Regierung nicht nur die Glaubwürdigkeit der Betrof
fenen, sondern auch das Vertrauen der Bürger in die Institu
tionen des Staates selbst zerstört. Eine verantwortungsbewußte
konstruktive Opposition sollte deshalb Verleumdungen meiden,
sie sollte Verleumdungen des politischen Gegners meiden wie
die Pest, weil nämlich Verleumdungen letztendlich auf diejenigen
Zurückschlagen, die sie verbreiten oder nutzen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Wenn in diesen Tagen viel von einem Neuanfang in Berlin
gesprochen wird, dann gehört vor allem dazu, daß Schluß
gemacht wird mit einer solchen Art der Argumentption und der (C)
Politik „unter der Gürtellinie“.
[Lohauß (AL): Ja, das hätten Sie gern, was?]
- Den Zwischenruf soll jeder gehört haben; dieser Abgeordnete
wehrt sich dagegen, daß jemand dazu aufruft, keine Politik
„unterhalb der Gürtellinie“ zu betreiben! Dagegen hat sich dieser
Abgeordnete in diesem Hause gerade eben durch einen
Zwischenruf verwahrt! Das ist Moral in der Politik! - Vielen Dank!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Was Berlin jetzt braucht, das ist politischer Anstand und die
Rückkehr zu einem glaubwürdigen politischen Stil. Und was wir
vor allen Dingen brauchen, das ist die Konzentration auf wichtige
Sachfragen und auf die Probleme der Stadt. Es muß Schluß sein
mit einer immer neuen Flut von Unterstellungen und pauschalen
Verdächtigungen, denn wer weiter „giftige Suppe“ anrührt, wer
Pfeffer in die Wunden streut, anstatt zu heilen, wer böse Ge
rüchte erfindet und ungeprüft verbreitet, der kann im Herzen kein
Berliner sein. Der schadet Berlin!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. -
Heiterkeit bei der SPD und der AL -
Staffelt (SPD): Sie sind nicht der einzige Berliner!
Merken Sie sich das mal! Das ist ja unglaublich!]
Nutzen wir also alle die Chancen - die wir haben -, gewiß von
unterschiedlichen Standpunkten aus, aber in dem gemeinsamen
Bemühen um Fairneß und Glaubwürdigkeit. Ich jedenfalls bin
dazu entschlossen. Sie können sicher sein: So werden wir, das
heißt die Koalition, das Vertrauen der Berliner erhalten und
weiter gewinnen, und wir werden die Zukunft dieser Stadt mei
stern. - Vielen Dank!
[Anhaltender Beifall bei der CDU und der F.D.P. -
Ironischer Beifall und Bravo-Rufe bei der AL]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Als nächster hat das Wort (D)
der Abgeordnete Wagner. - Es erscheint mir aber an dieser
Stelle einmal notwendig zu sagen, daß wir uns in der Aussprache
vielleicht darauf verständigen sollten, weniger durcheinander als
nacheinander zu reden; ich glaube, das käme der Qualität der
Debatte zugute. -
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Bitte schön, Herr Kollege Wagner!
Wagner, Horst (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Was der Regierende Bürgermeister eben hier geboten
hat, dem würde ich die Überschrift geben: „Haltet den Dieb!“
Spätestens, Herr Diepgen, als Sie sich auf eine Stufe mit Rathe
nau, Stresemann und Ebert stellten, muß man doch zurückfragen
dürfen: Halten Sie sich wirklich, nach dem, was Sie dieser Stadt
angetan haben oder antun ließen, für einen Mann von gleichem
Rang wie diejenigen, deren Sie hier eben in den Mund genom
men haben?
[Beifall bei der SPD]
Was Sie hier am Anfang getan haben, Herr Regierender Bürger
meister, das war in einem Maße unanständig, wie es unter
Demokraten nicht unanständiger gehl.
[Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU]
Was Sie am Anfang getan haben, das war Brunnenvergiftung.
Sie mißbrauchen die Opfer des Bombenanschlags, um von dem
Dreck abzulenken, den Sie hier in dieser Stadt geschaffen
haben,
[ Beifall bei der SPD und AL - Lebhafter Widerspruch
bei der CDU - Zurufe von der CDU: Unverschämtheit!]
Wir haben Ihnen vier Fragen gestellt. Sie aber sind ausgewichen,
haben sich einmal mehr der Verantwortung entzogen und auf
keine der vier Fragen konkret geantwortet.
Berlin hat Schaden genommen, das ist wahr, schweren Scha
den, den Sie, Herr Regierender Bürgermeister, den die Senato-