Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
23. Sitzung vom 27. Februar 1986
1255
Sen Dr. Rexrodt
(A) Sache her hätte ich überhaupt keine Probleme, das vorzulegen.
Überhaupt keine Probleme!
Stellv. Präsident Longolius; Das Wort hat der Kollege
Biederbick zu einer Mündlichen Anfrage über
Notsalzung von Straßen
Biederbick (F.D.P.): Ich frage den Senat:
1. Wurden auf alle Straßen, die nach dem gegenwärtig gel
tenden Streuplan in die Einsatzstufe 1 aufgenommen sind, bei
der Notsalzung in den letzten 14 Tagen Streusalz gestreut, oder
gibt es einen speziellen Einsatzplan für den Einsatz von Auftau
mitteln, und wie sieht dieser aus?
2, Welche sonstigen Kriterien außer den im Straßenreini
gungsgesetz genannten werden bei der Aufstellung des Streu
plans für Auftaumittel berücksichtigt, und findet insofern insbe
sondere eine Abstimmung mit der für den Umweltschutz verant
wortlichen Senatsverwaltung statt?
Wronski, Senator für Verkehr und Betriebe: Herr Präsident!
Herr Abgeordneter Biederbick! Zu 1: Nach dem vom Abgeord
netenhaus gebilligten Winterdienstkonzept des Senats vom
September 1982 wird auf allen Straßen in der Baulast des Lan
des Berlin, also auch auf Straßen, die nach dem gegenwärtig
geltenden Streuplan in die Einsatzstufe 1 aufgenommen sind,
grundsätzlich kein Tausalz verwendet. Lediglich an Wintertagen
mit ganz außergewöhnlichen Straßenzuständen findet auf soge
nannten Notsalzstraßen und/oder Notsalzkreuzungen mit Einzel
genehmigung durch den für die BSR zuständigen Senator - also
derzeit durch mich - nach § 3 Abs. 6 des Straßenreinigungsge
setzes das Streuen von Tausalz bis zur gesetzlich zulässigen
Höchsfmenge von 40 Gramm je Quadratmeter je Einsatz statt.
In den letzten 14 Tagen - nach denen Sie gefragt haben - fan
den am 19. Februar Notsalzungen mit 30 Gramm pro Quadrat-
(B) meter auf den Notsalzstraßen von 215,5 km Länge - das sind
Arbeitskilometer, keine Straßenkilometer - und an 387 ampel
geregelten Notsalzkreuzungen von Hauptverkehrsstraßen - das
sind solche mit einem Tagesdurchschnitt von mindestens
30 000 Kraftfahrzeugen in beiden Fahrtrichtungen innerhalb von
24 Stunden - statt. Ob im Einzelfall - auch nur partiell - Notsalz
eingesetzt wird, hängt davon ab, ob nach Auswertung der Situa
tionsberichte von Polizei, BVG und Feuerwehr sowie des
Meteorologischen Instituts der Freien Universität Berlin zur Auf
rechterhaltung des Straßenverkehrs Tausalz erforderlich ist.
Zu 2: Kriterien für die Notsalzanwendung sind die Aufrecht
erhaltung des Oberflächenverkehrs, insbesondere dem der
BVG, sowie die Belange des Wirtschaftsverkehrs zur Versor
gung der Stadt mit lebensnotwendigen Gütern. Das Notsalzkon
zept ist mit dem Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz
abgestimmt; über angeordnete Notsalzmaßnahmen wird er infor
miert.
Stellv. Präsident Longolius: Kollege Biederbick!
Biederbick (F.D.P.): Wie beurteilen Sie, Herr Senator, die
Verkehrssicherheit bei der Notsalzung insbesondere in Kreu
zungsbereichen, die doch dazu führt, daß sich die Autofahrer
ständig umstellen müssen, weil sie erst auf festgefahrenem
Schnee fahren und auf einmal für eine kleine Strecke ganz an
dere Straßenverhältnisse vorfinden? Bedeuten diese ständig
wechselnden Straßenverehältnisse nicht eine zusätzliche Ge
fährdung?
Stellv. Präsident Longolius: Senator Wronski!
Wronski, Senator für Verkehr und Betriebe; Herr Abgeord
neter Biederbick, grundsätzlich muß man die Straßensituation im
Winter anders beurteilen als im Sommer.
[Wagner, Horst (SPD); Ist es wahr!? - Heiterkeit
und allgemeiner Beifall]
Insofern nehme ich die Gelegenheit gern einmal wahr, an die Ein- (C)
sicht aller Individual-Autofahrer zu appellieren, daß sie in der
Winterzeit nicht die Perfektion im Straßenverkehr erwarten kön
nen, wie sie sonst üblich ist. Ein Blick über unsere lokalen
Grenzen hinweg zeigt auch, daß die Bevölkerung In anderen Bal
lungsgebieten die Tatsache, daß es Winter ist, gelassener hin
nimmt als manch einer in Berlin. Insofern - und das als Grund
lage für eine pauschale Bewertung - muß man schlechthin mit
unterschiedlichen und für den jeweiligen Fahrer im Einzelfall
auch höchst unbefriedigenden Straßenverhältnissen rechnen.
Ich gehe aber davon aus, daß die meisten Autofahrer das auch
so sehen, wie ich es hier darzustellen versuche.
Die Frage nach den wechselnden Straßenverhältnissen ergibt
sich daraus, daß dieser Wunsch nach einer speziellen Salzung
an den betreffenden Kreuzungen insbesondere von der BVG ge
kommen ist, weil nämlich durch das ständige Bremsen und An
fahren an Kreuzungen - das sind ja solche, von denen hier die
Rede ist, wo durch die Ampelregelung notgedrungen ein An
halten erforderlich ist - eine Vereisung eintritt, die in ihrer
Wirkung weit über das hinausgeht, was auf den übrigen
Stadtstraßen an Glättebildung zu verzeichnen ist. Diese aus dem
Winter 1981/82 gewonnene Erfahrung ist ein ergänzendes
Moment bei dem Notsalzplan. Eine befriedigende, perfekte
Regelung wird es, was diesen Komplex betrifft, nie geben; dar
auf sollten wir uns einstellen.
Stellv. Präsident Longolius; Herr Kollege Biederbick!
Biederbick (F.D.P.): Herr Senator, ist es nicht so, daß bei den
derzeitigen sehr hohen Kältegraden der Einsatz von Auftaumit
teln dazu führt, daß zwar kurzfristig der von Ihnen gewünschte
Effekt eintritt, daß diese Auftaumitteln aber bereits nach wenigen
Stunden nicht mehr wirken und die Vereisung an den entspre
chenden Stellen schlimmer wird, als sie vorher ohne Auftaumit
teln war?
(D)
Stellv. Präsident Longolius; Herr Senator Wronski!
Wronski, Senator für Verkehr und Betriebe: Herr Abgeord
neter Biederbick, richtig ist, daß etwa von Temperaturen ab
minus 8 Grad, jedenfalls aber ab minus 10 Grad Salzung über
haupt wirkungslos ist. Die BSR streut demzufolge in diesen Tem
peraturbereichen selbst da kein Salz, wo es von der Lage her ge
rechtfertigt wäre. Inwieweit die Glättebildung durch partielles
Auftauen infolge Salz und nachträgliches Überfrieren infolge
tiefergehender Temperaturen noch besonders forciert wird, ver
mag ich nicht abschließend zu beurteilen; ich glaube aber, daß
das Verfahren, das in Berlin - unter Mitwirkung aller hier im Haus
vertretenen Parteien - gefunden wurde, so etwas das praktische
Optimum ist, das man überhaupt in dieser Situation oder bei
dieser Sachlage erreichen kann.
[Beifall bei der CDU]
Stellv. Präsident Longolius: Kollege Klinski!
Klinski (AL): Wir haben den einen Komplex abgedeckt, und
ich frage jetzt den für Umweltschutz zuständigen Senator: Kön
nen Sie den Eindruck von Umweltinitiativen bestätigen, daß Ihr
Kollege Wronski versucht, mit Hilfe von sogenannten Notsalzun
gen die Bevölkerung wieder langsam an das Tausalz zu gewöh
nen, und wie bewerten Sie als Umweltsenator diese Vorgänge?
Stellv. Präsident Longolius; Senator Vetter!
Vetter, Senator für Stadtenfwicklung und Umweltschutz:
Herr Abgeordneter Klinski, diesen Eindruck habe ich nicht.
Dieser Notsalzplan ist mit mir abgestimmt, und er wird nur in den
Fällen angewandt, wenn es wirklich notwendig erscheint und
wenn insbesondere die BVG - das ist ja der Hauptpunkt - ein
wendet, daß sie die Fahrsicherheit nicht mehr gewährleisten
kann.