Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
22. Sitzung vom 13. Februar 1986
1227
Biederbick
(A) nen, die bereits im Beruf stehen, die Studiengänge und Ausbil
dung vor zehn oder 20 Jahren durchlaufen haben und wo die
wissenschaftliche, technologische Entwicklung so weif fortge
schritten ist, daß eine Auffrischung des Wissens dieser im Beruf
Stehenden angemessen ist. Hier, glaube ich, sind Gespräche -
Sie haben diesen Punkt nicht angesprochen - auch mit der Wirt
schaft, mit der Industrie- und Handelskammer erforderlich, um
zu klären, welche Modalitäten gefunden werden können, um
diese wichtige Weiterbildungsfunktion für solche Personen zu
ermöglichen. Ich glaube, daß das für beide Seiten - für die
Hochschule und für diejenigen, die aus dem Beruf kurzfristig ein
mal herausgehen, um sich weiterzubilden - eine sehr fruchtbare
Angelegenheit sein kann.
Und als letzten Punkt meinen wir, daß eine wichtige Aufgabe
auch darin bestehen könnte und sollte, für die Frauen spezielle
Angebote zu machen, für solche Frauen, die nach einer Ausbil
dungsphase vorübergehend aus dem Beruf ausgestiegen sind,
weil sie sich beispielsweise der Kindererziehung gewidmet
haben, und die nach 8 oder 10 Jahren, die sie nicht mehr im
Beruf waren, Schwierigkeiten haben, sofort wieder einen Ein
stieg in einen Beruf zu finden. Wir meinen, daß auch gerade hier
die Hochschulen eine vorzügliche Möglichkeit hätten und sie
stärker nutzen sollten, diesen Frauen die Chance zu geben,
durch kurzfristige zusätzliche Qualifikation den Wiedereinstieg in
das Berufsleben zu ermöglichen. Hier würden wir bitten, daß der
Senat in diesem Sinne an die Hochschulen herantritl. - Danke
schön!
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Stellv. Präsident Longolius: Das Wort hat jetzt die Kollegin
Schramm.
Frau Dr. Schramm (AL): Als ich die Große Anfrage las,
wußte ich nicht, was sich dahinter verbirgt. Der Begriff „postgra
dualer Bereich“ schien mir entgegenzustehen einer allgemeinen
(B) Öffnung der Universität und einer Weiterbildung, die auch Per
sonen, die keinen ersten oder zweiten Studienabschluß haben,
einbezieht. In den Ausführungen von Herrn Kewenig ist das
meiner Meinung nach unklar geblieben, obwohl er auch Worte
wie „Weiterbildung“ und „Fortbildung“ benutzt hat. Im Beitrag
des Kollegen von der F.D.P. war das Moment der Öffnung zugun
sten z. B. von Frauen, deren Kinder inzwischen groß sind, die
wieder ins Berufsleben eintreten wollen, in ihre alte oder eine
neue Tätigkeit, mit enthalten. Das fehlte bei Herrn Kewenig, aber
ich hoffe, daß es nicht grundsätzlich bei der CDU fehlt.
Daran schließt sich das Problem an, daß diese Frauen - und
es sind ja nicht nur Frauen - unter Umständen ja gar keinen Stu
dienabschluß haben. Das Wort „postgradual“ ist hier falsch ge
wählt und lenkt auf eine falsche Fährte. Wie die meisten, die sich
damit beschäftigt haben, wissen, ist in dem Modellversuch „Jour
nalistenweilerbildung“ z. B. mitgedacht, daß alle Personen, die
im Beruf waren, egal, ob sie Journalistik abschließend studiert
haben oder nicht, in diesen Weiterbildungs- oder Aufbaustudien
gang reinkommen können, Das gleiche habe ich gefunden in
dem weiterbildenden Studiengang „Technischer Vertrieb“; auch
da ist an Personen gedacht, die ihre Qualifikation nicht notwen
digerweise in der Universität, sondern im Beruf erhalten haben.
Ich finde, daß die Hochschulen in der Tat aufgefordert sind,
stärker als bisher sich zu öffnen, Weilerbildungsangebote zu
machen und das Konzept des lebenslangen Lernens stärker zu
ihrem eigenen zu machen und auch die Einrichtung dafür vorzu
hallen.
Dabei gibt es einige Gefahren; sie sind in dem, was Herr
Kewenig sagte, auch angeklungen. Wenn gesagt wird, die Uni
versitäten müßten die erforderlichen Mittel und Personen selber
aufbringen, dann muß ich wieder daran erinnern, daß die Rela
tion von Lehrpersonal und Studenten im Moment zurückgesun
ken ist auf die Zeit von 1960, also wirklich sehr, sehr schlecht ist.
Und wenn Herr Schütze mit Recht die strukturellen Ursachen für
die langen Studienzeiten erwähnt hat, dann muß dabei auch der
Umstand, daß das Lehrpersonal zu gering ist, genauso mit
genannt werden, wie mit genannt werden muß, daß über 50 %
der Studierenden ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise (C)
selbst verdienen müssen. Praktisch sind an den Universitäten
eine sehr, sehr große Zahl von Studierenden gar keine Vollzeit
studenten, sondern eigentlich Teilzeitstudenten. Die langen
Studienzeiten erklären sich durch diese äußeren Bedingungen.
Andere inneruniversifäre wären ebenfalls zu nennen.
Ich fand es sehr suspekt, daß hier von einer „ersten Phase“
und einem „grundständigen Studium“ gesprochen wurde. Dar
aus kann folgen, daß jeder Mensch, der später eine qualifizierte
Arbeit ausüben möchte, nicht mehr mit einem Staatexamen,
Diplom oder ähnlichem auskommt, sondern daß er oder sie wei
tere Aufbaustudiengänge im formalen Sinne mit Abschluß ab
solviert haben muß. Die Gefahr ist, daß die Erstausbildung ent
wertet wird. Ich denke, man muß Modelle finden, durch die das
lebenslange Lernen einerseits Prinzip wird und andererseits
keine Entwertung der ersten Studienphase eintritt.
Eine andere Gefahr ist - und in den Ausführungen von Herrn
Kewenig war das letztlich so -, daß man unter „zukunftsorien
tiert“ das versteht, was technologisch verwertbar ist, aber eben
nicht etwa die Journalistenweiterbildung oder die Weiterqualifi
kation von Frauen. In seinem Anfangsstatement hat er ausge
führt, daß natürlich jeder Studiengang zukunftsorientiert sein
sollte und in weiten Teilen auch ist, in den konkreten Ausführun
gen kamen dann aber lauter Beispiele, die eben doch nur den
technologischen Fortschritt - und nur diesen - im Blick hatten.
Da ist eine Diskrepanz, und ich denke, im Grunde liegt Ihr Inter
esse bei jenen Studiengängen, die den technologischen Fort
schritt meinen, und weniger bei den anderen, wenn es in Ihrem
Vorwort auch anders klang; in den genannten Beispielen wurde
es dann aber wieder deutlich.
Was ich sehr vermißt habe: In den aufgeführten Beispielen
und Analysen wurde von „Schnittstellen“ geredet. Es ist zweifel
los richtig, daß die Wissenschaft sowohl im Grundstudium wie in
den aufbauenden Studiengängen sich stärker um die Schnitt
stellen zu den angrenzenden Wissenschaften kümmmern müßte
und auch häufig die Transportation des neuen Wissens in die W
Studiengänge zu lange dauert, aber die für meine Begriffe ganz
entscheidende Frage ist doch: Wie sind die jetzt auseinanderlie
genden Wissenschaften, also z. B. Technik und Politik, Informatik
und Psychologie oder Gentechnologie und Moral, nicht nur in
einer Akademie der Wissenschaften - um dieses Thema heute
doch noch zu streifen, nachdem eine Aktuelle Stunde dazu ja
nicht zustande gekommen ist - als Interdisziplinärst zu ver
sprechen, sondern wie ist Interdisziplinärst auf allen Stufen der
Ausbildung und besonders wenn man sich um zukunftsorientier
te Studiengänge bemüht, von Anfang an so anzusiedeln, daß ein
gesellschafts- und geisteswissenschaftliches Durchdringen der
Technologieentwicklung und umgekehrt stattfinden kann? Ich
denke, das ist das zentrale Problem der Wissenschaft und das
zentrale Problem unserer Zeit.
Es gäbe noch etliche mehr praktische Probleme: Warum kön
nen die Arbeitsförderrichtlinien nicht so geändert werden, daß
die Universität leichter als jetzt Weiterbildung. Fortbildung anbie
ten kann? Im Moment gründen sich da lauter kleine Firmen; wie
gut die das machen, das weiß ich nicht, dazu will ich nichts
sagen. Da muß strukturell etwas verändert werden, damit diese
Mittel auch in die Universität fließen können.
Ich hoffe, wie gesagt, daß es nicht bei einem „großen Wort“
hier bleiben wird, denn ich will nicht verhehlen, daß das Problem
der Öffnung der Hochschulen und der Weiterbildung ein Thema
ist, das ich ganz außerordentlich wichtig finde. Und wenn das in
dem umfassenden und weiten Sinn und nicht zu Lasten der
Grundstudiengänge gehen würde, hätte die Alternative Liste an
der Verwirklichung größtes Interesse.
[Beifall bei der AL]
Stellv. Präsident Longolius: Nächster Redner ist der Kol
lege Kittner.
Kittner (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Dieses Thema leidet ja unter einigen Schwierigkeiten, nicht nur