Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
20. Sitzung vom 30. Januar 1986
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Kern
(A) ten, zu ganz wenigen Spekulanten; Sie haben es geschafft, in
wenigen Jahren eine totale Umkehrung dieser Baumittel zu den
Baulöwen und Spekulanten vorzunehmen. Und Sie werden der
Öffentlichkeit und auch im Ausschuß - da bin ich sicher - Rede
und Antwort stehen müssen, wie das möglich war. Ich hoffe, Sie
haben ein ruhiges Gewissen.
[Sen Franke: Habe ich!]
Ich komme zum Schluß und fasse zusammen, weil die Luft hier
eh raus ist: Konsequenzen für mehr Sauberkeit in der Baubran
che haben wir eben von Herrn Franke nicht gehört, im Gegenteil,
es sei alles in guter Ordnung, und es werde nach Recht und
Gesetz gehandelt. Die Antwort, wie dazu die Öffentlichkeit steht,
werden Sie übrigens morgen in der Zeitung lesen können. Wir
sind im Grundsatz, das sage ich noch einmal, mit Ihnen einig,
daß die Problemkreise Parteispenden, Filz und kriminelle Aktivi
täten getrennt werden müssen, schon deshalb, weil der krimi
nelle Skandal um Antes, Herrmann und andere nicht vermischt
werden kann mit der Spendenfrage und der Frage des Filzes.
Und drittens und letztens: Wer Schaden von dieser Stadt ab
wenden will, der muß rückhaltlos aufklären. Das Gegenteil haben
Sie getan. Deshalb werden wir den Antrag auf Abwahl des
Regierenden Bürgermeisters am Sonnabend unterstützen. Und
wir werden auch unsere zeitlichen Einwände gegen den Unter
suchungsausschuß zurückstellen.
[Beifall bei der SPD]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete
Lehmann-Brauns. Bitte sehr!
Dr. Lehmann-Brauns (ÖDU): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Erlauben Sie, daß ich, von der Geschäftsordnung
her etwas vorgezogen, mich hauptsächlich mit den Fragen be
schäftigen werde, die der Untersuchungsausschuß aufwirft. Wie
Sie wissen, werden wir einen eigenen Antrag einbringen und
(B)
den Untersuchungsgegenstand in Kürze formulieren. Die AL-
Punkte werden darin enthalten sein.
Uns geht es im Unterschied zur AL nicht alleine um bloße
Täterermittlung, sondern auch um den Versuch, über die Ergeb
nisse des Untersuchungsausschusses möglicherweise zu einer
Therapie, Bewältigung der politisch-inhaltlichen Fragen zu kom
men. Wir sind deshalb entschlossen, erforderlichenfalls struktu
relle, langfristige Folgerungen daraus zu ziehen.
Aber lassen Sie auch mich noch einmal zu dem Thema kom
men, das uns ja heute seit 14 Uhr beschäftigt, der Skandalaffäre.
Ich will ganz freimütig im Namen meiner Fraktion bekennen: Wir
haben noch zu Jahresanfang an eine Affäre nicht gedacht, sie
uns nicht vorstellen können. Es ging damals im wesentlichen um
einen Namen. Inzwischen ist ja die Anzahl der Betroffenen erheb
lich größer, die Höhe der Geldzuwendungen und die Verflech
tungen des Spektrums aller Parteien einsichtig geworden. Heute
muß man in der Tat von einer untersuchungsbedürftigen Krise
sprechen, genauer gesagt: von einer Vertrauenskrise des
Parteiensystems.
Es liegt jedoch eine Krise des demokratischen Systems
unserer Gesellschaftsordnung meiner Ansicht nach ebenso
wenig vor wie eine Senatskrise. Auf letzteres ist hier schon hin
gewiesen worden. Der Senat hat Erfolge. Es gibt keinen einzigen
sachlich-politischen Bereich, in dem irgendeine dramatisierende
institutionelle Reaktion wie ein Untersuchungsausschuß erfor
derlich wäre.
Aber auch eine Krise des demokratischen Systems, die viel
leicht einzelne Mitglieder des Hauses vorziehen würden, muß
man verneinen. Denn Korruption ist so alt wie die Menschheit
und systemunabhängig. Sie kommt auch vor in der Grabes
stille des Sozialismus. Erinnern Sie sich an das Schicksal des
kürzlich abgehalfterten Bürgermeisters von Moskau - wegen
Korruption übrigens.
Lassen Sie mich im Namen jedes meiner Fraktionskollegen
noch einmal feststellen; Wir sind von den Vorgängen und Affären
nicht nur betroffen oder verunsichert - wir sind davon abge
stoßen. Aber wir sind genauso entschlossen, diese Krise zu be- (C)
wältigen. Wir verlassen uns dabei auch nicht nur auf die inzwi
schen flächenhaft vorgenommenen Untersuchungen der Staats
anwaltschaft. Wir bauen unter anderem auf die vorurteilslose
und umfassende Arbeit des einzusetzenden Untersuchungsaus
schusses, wir erhoffen über den Tag und Anlaß hinaus auch Er
gebnisse von der Kommission, die der Regierende Bürgermei
ster aus Persönlichkeiten der Stadt zusammengerufen hat. Aber
wir wollen über die Zukunft die Gegenwart nicht vergessen.
Die Partei ist dabei, sich von decouvrierten Mitgliedern zu tren
nen, und in Wilmersdorf kommt es sogar zu einem von der CDU
eingebrachten Abwahlantrag gegen einen CDU-Stadtrat.
Die Involvierung mancher Herren mit dem roten Bärchen im
Revers interessiert uns - vielleicht zu Ihrer Überraschung - weni
ger als die Involvierung der eigenen Parteimitglieder. Denn es
ist unsere Partei, der die Wähler das Regierungsvertrauen ge
schenkt haben, und es ist unser Versprechen gegenüber der Be
völkerung gewesen, nicht nur Leistung, sondern auch Integrität
zu zeigen. Filz und Schieberei sind allzu menschliche Vorgänge.
Aber in unserer Partei haben sie weder eine alte noch eine neue
Heimat.
Solange Eberhard Diepgen Regierender Bürgermeister der
Stadt ist, wird die Partei übrigens nie in die Gefahr geraten, von
Schurken und Schiebern beeinflußt zu werden.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Meinetwegen nennen Sie das die Arroganz des guten Umgangs.
Aber die Krise ist breit angelegt. Es ist ja nicht nur meine Par
tei, die darin eine Rolle spielt. Ein Blick auf die ebenfalls heraus
geforderte Opposition stimmt mich nicht eben optimistisch. Ich
nehme das Ergebnis vorweg: Diese Opposition scheint mir un
fähig zu sein, die aktuelle Vertrauenskrise zu bewältigen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Statt mit Kühle und Augenmaß, vor allem mit Genauigkeit, mit (D)
mitteleuropäischen Umgangsformen vorzugehen und sich über
Intensität und Umfang der Affäre ein Bild zu machen, Vertrauen
auch in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu setzen und
über die politischen Bewältigungsmöglichkeiten nachzudenken,
hält sich diese Opposition das eine Auge zu, holzt und legt auf
die Verunsicherung der Öffentlichkeit ihren im Grunde hilflosen
Opportunismus.
Wodurch haben Sie sich verraten, meine Damen und Herren
von der Opposition? - Betrachten wir einmal die letzten zwei
Wochen: Wir haben die Herren Momper und Nagel vor
14 Tagen hier dröhnen hören. Lassen wir es mal dahingestellt,
ob sie die Verstrickung der eigenen Genossen damals schon
kannten oder kennen mußten. Aber was sie auf keinen Fall woll
ten damals, das war ein Untersuchungsausschuß. Sie wollten
offensichtlich nicht aufklären. Nun, ich erinnere mich noch, als
ich der Debatte von da unten folgte. Ich sagte mir: Es gibt ja
noch die AL; die will einen. - Aber dann war deren Büttenredner
hier oben ganz offensichtlich von dem Opportunismus der SPD
so beeindruckt, daß er den ursprünglich beabsichtigten Unter
suchungsausschuß wieder in Frage stellte. - Nun soll uns das
Ruckzuckhafte der AL hier nicht weiter interessieren.
Aber werfen wir mal einen Blick auf Wilmersdorf: Dort hat die
dortige CDU-Fraktion nach reiflicher Überlegung und schweren
Herzens sich dazu entschließen müssen, den eigenen Stadtrat
aufzufordern, sein Amt zur Verfügung zu stellen, und für den Fall
seiner Weigerung einen Abwahlantrag gestellt. Wie reagiert die
vereinigte Linke dort? - Die AL macht aus dem Korruptionsver
dacht eine innerparteiliche Querele, weiß noch nicht so genau,
wie sie stimmen soll.
Präsident Rebsch: Herr Lehmann-Brauns, gestatten Sie
eine Zwischenfrage?
Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Im Moment nicht. - Die SPD
hält sich alles offen, so daß der Fall eintreten kann, daß der Ab
wahlantrag der CDU gegen den eigenen Stadtrat scheitert, weil