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Volume Nr. 17, 6. Dezember 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1985, 10. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
17. Sitzung vom 6. Dezember 1985 
961 
Dr. Haase 
(A) Wettbewerbsordnung vorangelrieben haben, das waren eben 
solche Männer wie beispielsweise unser Wirtschaftssenator, 
Herr Pieroth. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Ich freue mich, daß Sie etwas zur Konzeption gesagt haben, 
und werde mich gerne dieser konzeptionellen Auseinanderset 
zung anschließen. Ich werde auch das, was Herr Lohauß gestern 
in einer ganzen Reihe von bemerkenswerten Sätzen gesagt hat, 
kurz aufgreifen. In der Analyse sind wir da gar nicht so weit aus 
einander; in bezug auf die Konzeption unterscheiden wir uns 
dann allerdings sehr erheblich - und das wird ja die Damen und 
Herren der AL nicht sehr verwundern! Ihr Problem besteht eben 
vornehmlich darin, daß Sie noch nicht in der Lage sind, wie das 
auch in einer Schrift über grüne Wirtschaftspolitik vor einigen 
Tagen veröffentlicht wurde, finanzierbare Politikprogramme vor 
zulegen. Ihren Konzeptionen fehlt es also an Realitätsbezug. Und 
haben Sie diesen erreicht, dann werden Sie aus diesem Parla 
ment wegrotiert. 
Geärgert habe ich mich allerdings gestern über den Debatten 
beitrag des Kollegen Wagner. Angesagt war eine Rede über 
Konzeptionen und Visionen, die ja heute Herr Riebschläger 
nachgeholt hat. Vorgetragen hat der Kollege Wagner gestern 
eine 08/15-Rede unter dem Schlagwort „Gift und Galle“. Sie 
haben die Unternehmer dieser Stadt als Subventionsnehmer 
beschimpft. Dieses ist politisch falsch, weil es wichtig für Berlin 
ist, Menschen, die etwas unternehmen wollen, in diese Stadt zu 
holen und nicht, wie das in Ihrer Zeit gewesen ist, aus dieser 
Stadt zu vertreiben. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Dieses Beschimpfen, Herr Kollege Wagner, ist sachlich ebenso 
falsch wie die Vorstellung, die Verbrauchsteuer den Unterneh 
men anzurechnen. In beiden Fällen dienen die Betriebe nur als 
Durchgangsstationen. Verbrauchsteuern werden von privaten 
(B) Verbrauchern getragen, die Subventionen sollen Arbeitsplätze 
schaffen. Sie haben hier die falsche Rede gehalten. 
Sie haben dann die Arbeitsmarktzahlen für den abgelaufenen 
Monat genannt. Und Sie haben wieder Ihre Legende von einer 
sechsstelligen Zahl hier in Berlin vorgetragen. Warum nennen 
Sie eigentlich nicht den Beschäftigtenzugang, der zu einer sin 
kenden Arbeitslosenquote geführt hat? Werden Sie diese Zahl 
erst dann zur Kenntnis nehmen, wenn die neuen Arbeitnehmer in 
Ihrer Gewerkschaft sind? Warum nennen Sie eigentlich nicht die 
erfreuliche Abnahme jugendlicher Arbeitsloser? Warum schwei 
gen Sie zur Erhöhung der Zahl der offenen Stellen um 70 %? 
Warum verschweigen Sie den notwendigen Zuzug westdeut 
scher Facharbeiter? 
Für wen haben Sie diese Rede gestern gehalten? - Im 
„Tagesspiegel“-Kommentar von gestern zu den Winterzahlen 
wird die Massenarbeitslosigkeit auf Fehlentscheidungen in der 
Wirtschafts- und Tarifpolitik zurückgeführt. An beiden waren Sie 
beteiligt. Hier sollten Sie zweifach betroffen sein. Ihre Legende 
ist falsch: Der Aufschwung hat den Arbeitsmarkt erreicht. 
Sie haben den Einkommensrückstand Berlins mit 15% ange 
geben, Herr Kollege Wagner, Warum machen Sie diese mißver 
ständliche Aussage? - Die kennen doch auch das DIW-Gutach- 
ten, über das wir im Ausschuß diskutiert haben, das unter 
Berücksichtigung der Strukturunterschiede feststellt, daß die 
Verdienste der Industriearbeiter über denen des Bundes liegen 
und denen in Ballungsgebieten gleichzusetzen sind, daß die Ver 
dienste der Bauarbeiter fast 14 % über denen des Bundesgebie 
tes liegen, daß bei den Dienstleistungen ein Verdienstvorteil von 
10 % hier in Berlin gegeben ist und insgesamt die Arbeitnehmer 
verdienste um 5% höher liegen als im Bundesdurchschnitt. 
[Wagner, Horst (SPD): Das ist doch einfach 
nicht wahr!] 
Warum haben Sie diese mißverständlichen Zahlen verwendet? 
Und schließlich kritisieren Sie die Entwicklung der administra 
tiven Preise, Der rasche Anstieg ist eine Lehrbuchweisheit. Sie 
wissen ganz genau, daß wir das immer kritisiert haben und auch 
heute noch kritisieren. Aber welche Konsequenzen ziehen Sie (C) 
eigentlich aus dieser Kritik? Wollen auch Sie mehr Markt und 
weniger Staat? - Wollen auch Sie in die Privatisierungsdebatte 
eingreiten? - Im übrigen warne ich davor, diese Preise zu über 
schätzen; sie betreffen nur etwa ein Viertel der privaten Haus 
haltsausgaben. Letztlich hat auch Ihre Fraktion der Schlußfolge 
rung eines Berichts an den Hauptausschuß nicht widerspro 
chen, daß die tarif- und mietenpolitischen Entscheidungen im 
Ergebnis auch dem Ziel einer Begrenzung der Belastung der 
privaten Haushalte gerecht werden. Wem gilt also Ihre gestrige 
Kritik? 
Kritiker sind wie Eunuchen, hat einmal jemand formuliert: Sie 
wissen zwar, wie es geht, können es aber nicht I - Sie, meine 
Damen und Herren von der SPD, befinden sich in Fragen der 
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in einer noch peinlicheren 
Situation: Sie wissen noch nicht einmal, wie es geht. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Sie sind ohne Alternative, Sie sind ohne Konzeption, wie die 
diesjährigen Etatberatungen zeigen. Noch heute lacht selbst der 
jüngste Lehrling in der Finanzverwaltung schallend über Ihren 
Antrag, 61 Mio DM aus den Reservemitteln für Ihre Sonderwün 
sche zu nehmen und dieses gleichzeitig auch noch als eine 
solide Finanzierung auszuweisen. Sie können es nicht nur nicht, 
Sie wissen es auch nicht besser. Sie wissen eigentlich auch 
nicht, was Sie wollen. Sie haben nicht nur keine finanzierbaren 
Alternativen, Sie haben noch nicht einmal eine Konzeption für die 
Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik hier in Berlin. 
(Beifall bei der CDU und der F.D.P. - 
Wagner, Horst (SPD): Und Sie haben 80 000 Arbeitslose 
hier in Berlin zuviel!] 
- Herr Kollege Wagner, ich komme auf die Zahl der Arbeitslosen 
noch, keine Angst! 
Erstes Beispiel der Konzeptionslosigkeit der SPD: In Ihrem 
Programmentwurf bekennen Sie sich zu mehr Markt und Wett- (D) 
bewerb. Das hat auch der Kollege Riebschläger vorhin hier vor 
getragen. Demgegenüber fordert Ihr Landesvorsitzender, die 
„kapitalistische Wirtschaft . . . dem Grunde nach in Frage zu 
stellen“, und greift tief in das Instrumentarium des Klassen 
kampfes: „Investitionslenkung,“ - so Egert wörtlich auf Ihrem 
Landesparteitag - „Kapitalsverkehrskontrollen und die Verge 
sellschaftung gehören in den Instrumentenkasten sozialdemo 
kratischer Wirtschaftspoltik.“ Beides aber schließt sich offen 
sichtlich aus. Sie müssen den Bürgern schon sagen, was gilt. 
Nur dann, wenn Sie eine geschlossene Konzeption haben, 
gewinnen Sie Ihre Politikfähigkeit wieder. Dadurch werden Sie 
oppositionsfähig und wieder regierungsfähig, was so schnell 
aber offensichtlich nicht zu erwarten ist. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Zweites Beispiel Ihrer Konzeptionslosigkeit: In Ihrem Wirt 
schaftsprogramm wollen Sie die kleinen und mittleren Unterneh 
men, die Kumus, fördern. Zugleich fordern Sie in demselben Pro 
gramm eine Verringerung der Abschreibungssätze und eine 
Erhöhung der Vermögensteuer. Und Ihr Herr Egert sieht in dem 
„Renditeprinzip“ die Ursache allen Übels und hält eine „Umver 
teilung zwischen den Klassen“ für „unverzichtbar“. 
[Beifall des Abg. Barthel (SPD)] 
Sagen Sie, was gelten soll! Mit welchem Konzept wollen Sie Ihre 
Politikfähigkeit zurückgewinnen ? 
Und noch ein drittes Beispiel für die Konzeptionslosigkeit der 
SPD: Die SPD will die Besserverdienenden durch höhere 
Steuersätze und Ergänzungsabgaben schröpfen. Demgegen 
über hat Ihr Berliner Bundestagsabgeordneter Mitzscherling in 
der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages folgendes 
erklärt, was ich wörtlich zitieren möchte, weil ich damit überein 
stimme: 
Besser niedrigere Tarife und weniger Ausnahmen 
als höhere Tarife und viele Ausnahmen. 
Sagen Sie uns bitte, was gilt!
	        
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