Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
17. Sitzung vom 6. Dezember 1985
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Nagel
(A) Lassen Sie mich zur Baupolitik und zur Wohnungsbaupolitik
im engeren Sinne kommen. Die SPD-Fraktion hat die Haushalts
beratung 1986 zum Anlaß genommen, sich erneut grundsätzlich
mit der Frage des Wohnungsbaues und seiner Finanzierung zu
beschäftigen. Dies erschien uns um so notwendiger, als erstmals
der Berliner Haushalt einen Titel enthält, der die sogenannte
Anschlußförderung im sozialen Wohnungsbau betrifft. Daß diese
Nachfinanzierung mit ungeheuren Ausgaben verbunden ist,
machen bereits die für das Jahr 1986 eingesetzten Ausgaben
sowie die entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen für
die Folgejahre deutlich. Denn allein für einen einzigen Subven
tionsjahrgang, für einen einzigen Jahrgang, müssen In den näch
sten Jahren 278 Millionen DM, das heißt mehr als eine Viertel
milliarde, aufgebracht werden.
Welche Relationen? Da wird an anderer Stelle, wie wir hier
diskutiert haben, um Mark- und Rennigbeträge im Sozial- und
Bildungsbereich bei den Kindertagesstätten gestritten. Aber hier
sollen Millionen und Milliarden ausgegeben werden, ohne daß
bis heute überhaupt ein Konzept vorliegt.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen; Eine Nachsubven
tionierung ist mit Rücksicht auf die sozialpolitischen Belange der
Mieter grundsätzlich erforderlich. Eine für den Eigentümer risiko
lose, konkurrenzausschließende unveränderte Fortführung von
Subventionen kann aber nicht akzeptiert werden. Und schließ
lich : Die vom Senat für die Nachförderung eingesetzten Millio
nen- und Milliardenbeträge sind in keiner Weise volkswirtschaft
lich effektiv. Diese Millionen- und Milliardenbeträge schaffen
weder mehr zusätzliche Arbeitsplätze, sie schaffen weder Woh
nungen noch schaffen sie Vermögenszuwächse bei der öffent
lichen Hand. Herr Finanzsenator, wer beklagt in der Aussprache
über die mittelfristige Finanzplanung, daß der finanzpolitische
Spielraum des Landes aufgrund wachsender Zinsausgaben und
Schuldenhilfen für den Wohnungsbau immer mehr abnimmt,
(B) wer sich aber gleichzeitig weigert, das System der Wohnungs
baufinanzierung sowohl künftig wie auch rückwirkend in Frage zu
stellen, der argumentiert unredlich.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Wer in die mittelfristige Finanzplanung hineinschreibt und
beklagt, daß die Schuldendiensthilfen von jährlich 591 Millionen
1985 auf 869 Millionen 1989 anwachsen, und gleichzeitig den
Ausgleich über Sparmaßnahmen in den Sozialbereichen herbei
führen will, der schustert denjenigen immer mehr zu, die in
unserem Gesellschaftssystem viel haben, und tut dies zu Lasten
derjenigen, die soziale Unterstützung und öffentliche Unterstüt
zung bitter nötig haben.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Spätestens zum Zeitpunkt der Anschlußförderung ist es des
halb für alle verantwortungsbewußten Wohnungs- und Finanz
politiker geboten, erneut die Problematik der gegenwärtigen
Wohnungsbauförderung zum Gegenstand der politischen Dis
kussion zu machen. Wir haben dazu unsere Vorschläge auf den
Tisch gelegt. Wir sind zur Diskussion bereit. Wir sind auch bereit
dazu, mit Ihnen gemeinsam die finanziellen, vorübergehend finan
ziell schwierigen Folgen zu tragen.
Im Verbund mit den eingeschränkten Wohnungsneubauzah
len ist der Verteilungskampf um die Subventionen natürlich
schärfer geworden. Und in diesen Zusammenhang gehört das
Stichwort „Antes“. Wenn Herr Diepgen auf dem Parteitag der
CDU davor warnt, der Arroganz der Macht zu verfallen, und for
dert: Wer nicht dient, sondern sich bedient, fliegt raus - dann
kann er doch nicht nur Herrn Antes allein gemeint haben.
[Pätzold (SPD): Ist der denn schon rausgeflogen?]
Denn der Fall Antes ist kein individuelles Schicksal. Es ist nicht
nur ein persönliches Fehlverhalten. Der Fall Antes ist überhaupt
nur denkbar auf dem Boden eines Spekulantenklimas, für das
dieser Senat und diese Koalition die Verantwortung haben.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Nicht Herr Antes allein oder diejenigen, die jetzt in diesem (C)
Zusammenhang in Haft sitzen, sind es, die zur Rechenschaft
gezogen werden müssen. Nein, die geistigen Wegbereiter
dieses Sumpfes von Korruption sitzen hier in Ihren Reihen!
[Beifall bei der SPD]
Sie sind mit Ihrer Wohnungspolitik mit dafür verantwortlich,
daß sich diese Korruption hier in Berlin überhaupt in dem Maß
entfalten konnte. Man wird ja wohl einmal fragen dürfen, warum
sich die CDU eigentlich erst jetzt betroffen zeigt, nachdem Herr
Antes sitzt. Man wird ja wohl einmal fragen dürfen, warum Herr
Antes nicht vorher aus dem Verkehr gezogen wurde. Und man
wird ja wohl einmal fragen dürfen, warum Herr Landowsky vor
den Wahlen die Charlottenburger CDU beschwor, Herrn Antes
als Baustadtrat ja nicht in Frage zu stellen. Man wird ja wohl ein
mal fragen dürfen, warum der Regierende Bürgermeister die
Praktiken seines Parteifreundes nicht schon früher gegeißelt hat
und warum sich der Regierende Bürgermeister bisher jeder Kritik
am Umfeld, in dem derartige Praktiken möglich sind, enthalten
hat. Wer, meine Damen und Herren, hat hier eigentlich etwas zu
verbergen ?
[Wagner, Horst (SPD): Ist ja klar!]
Denn natürlich, meine Damen und Herren, mußte es zu einem
Kampf um Fördermittel kommen. Ein Senat, der 85 % der öffent
lichen Mittel an Private, das heißt in der Regel an Abschrei
bungsgesellschaften, gibt und sich dabei immer wieder auf
dieselben konzentriert - ein Senat, der lediglich 15 % für die
gemeinnützige Wohnungswirtschaft übrig hat -, darf sich nicht
wundern, daß im Verteilungskampf um diese Mittel zu kriminellen
Methoden gegriffen wird.
[Ristock (SPD): Das ist die Wahrheit! -
Beifall bei der SPD und der AL]
Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion hat bei den (D)
Haushaltsberatungen den Vorschlag gemacht, die Wohnungs
baufinanzierung sukzessive umzustellen. Eine solche Umstellung
würde keinen bedeutenden Einschnitt in die Berliner Sauwirt
schaft nach sich ziehen. Sie haben das abgelehnt. Sie haben
dafür die Verantwortung zu tragen. Sie haben auch abgelehnt,
das private Kapital der kleinen Leute für den Wohnungsbau zu
mobilisieren, indem Sie - entsprechend unserem Vorschlag und
unseren heutigen Anträgen - ein Sonderprogramm zur Förde
rung von Genossenschaftswohnungen abgelehnt haben. -
Meine Damen und Herren, dies wäre auch ein Weg gewesen,
die Identifikation der Bürger mit Berlin zu erhöhen. Hier wäre
auch die Möglichkeit gegeben, in sozial verträglicher Weise das
Kapital der vielen engagierten Berliner in Anspruch zu nehmen,
um zusätzlichen preiswerten Wohnraum zu schaffen. Sie haben
diese Vorschläge abgelehnf. Sie ziehen es vor, weiter Steuermif-
tel in Millionen- und Milliardenhöhe für diejenigen auszugeben,
die sie ohnehin schon haben.
Einige wenige Worte zur Erneuerungspolitik: Wir begrüßen,
daß die Mittel für die Erneuerungsmaßnahmen in den letzten
Jahren erheblich gestiegen sind, und halten sie auch in den
Folgejahren in dieser Höhe für gerechtfertigt. Es kann aber nicht
auf Dauer Aufgabe der öffentlichen Hand sein, Eigentümern die
von ihnen vernachlässigten, gleichwohl aber ihnen gesetzlich
obliegenden Instandhaltungsverpflichtungen aus Steuermitteln
abzunehmen. Dringend erforderlich ist in diesem Zusammen
hang auch, daß endlich die katastrophalen, weil mit Verdrängung
verbundenen, Mietsteigerungen privater, nicht öffentlich geför
derter Modernisierungsmaßnahmen begrenzt werden.
Es ist eine schlichte Mieterfeindlichkeit dieses Bausenators,
wenn er sich seit nunmehr drei Jahren permanent weigert, eine
entsprechende Obergrenze der umlagefähigen Baukosten bei
Modernisierungsmaßnahmen zu erlassen. Es ist eine schlichte
Mieterfeindlichkeit, wenn zugelassen wird, daß im Rahmen von
Modemisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen die Eigen
tümer eigentlich alles ohne Rücksicht auf Wirtschaftlichkeit und
Kostengünstigkeit umlegen können. Es ist schlichte Mieterfeind-