Path:
Volume Nr. 17, 6. Dezember 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1985, 10. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
17. Sitzung vom 6. Dezember 198S 
936 
Schicks 
(A) ten Mittel der Allgemeinheit nicht schematisch ausgestreut, 
sondern auf diejenigen konzentriert werden, die wirklich 
hilfsbedürftig sind. 
(Krebs (CDU): Sehr richtig!] 
Das haben wir in Berlin getan; und es ist kein Zufall, daß in der 
Sozialpolitik außerhalb Berlins schon anerkennend von dem Ber 
liner Modell, von dem „Sozialmodell Berlin“ gesprochen wird. 
Woran liegt das? - Soziale Gerechtigkeit in Zeiten voller Kas 
sen zu propagieren, ist leicht - das ist sehr leicht -, soziale Ge 
rechtigkeit aber umzusetzen auch in Zeiten knapper Kassen, ver 
langt Mut, die notwendigen Prioritäten zu setzen. Und das 
„Sozialmodell Berlin“ heißt doch nichts weiter, als an überholte 
Besitzstände heranzugehen, um notwendige neue Aktivitäten an 
packen zu können. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Da sind die sozialdemokratisch geführten Länder für uns kein 
Vorbild, 
[Momper (SPD): Jetzt kommt es: Bremen! - 
Roß (SPD): Eine tibetanische Gebetsmühle ist das!] 
weder was gezielten Einsatz von Sozialhilfe und Sozialleistungen 
betrifft noch deren Höhe. Ich brauche nicht besonders darauf 
hinzuweisen, daß es in der Frage des gezielten Einsatzes öffent 
licher Mittel solche Prioritäten - anders als früher - auch gerade 
in der Bundespolitik gibt; und wo es in Einzelfällen eine Überein 
stimmung nicht gibt oder gab, haben wir und insbesondere der 
Regierende Bürgermeister im Hinblick auf die besondere soziale 
Situation unserer Stadt unsere warnende und hinweisende 
Stimme erhoben. Natürlich sind die gesellschaftspolitischen Pro 
blemstellungen hier schärfer als anderswo: In 20 % aller Familien 
mit Kindern ist in Berlin nur ein Elternteil vorhanden; in der übri 
gen Bundesrepublik sind es nur halb so viele. Der Anteil der Ein- 
Personen-Haushalte beträgt in Berlin - das wissen Sie alle - 
über 50 %, im Bundesdurchschnitt dagegen nur 31 %. Der Anteil 
der älteren Mitbürger über 65 Jahre beträgt im Bundesdurch- 
(B) 
schnitt etwa 15%, in Berlin über 20%. Andere Problemstellun 
gen bedingen andere Einschätzungen und Vorgaben für die So 
zialpolitik; sicher haben wir da auch für andere Ballungsgebiete 
in der übrigen Bundesrepublik gesprochen. 
Weil Sie es angesprochen haben, Herr Momper, nehme ich 
die Stichworte Rentenerhöhung und ausreichende Rente für die 
Menschen in unserem Land, die ihr Leben lang gearbeitet haben, 
auf. Hier haben sich Berlin und sein Regierender Bürgermeister 
im Interesse der Rentner fordernd in die Diskussion einge 
schaltet, 
[Momper (SPD): Wann? Wann war denn das?] 
und Sie machen uns heute den Vorwurf, daß das nur eine Ein 
tagsfliege gewesen sei. Nicht indem man, Herr Momper, wieder 
holt, sondern indem man sie zur richtigen Zeit an der richtigen 
Stelle mit Nachdruck glaubhaft anbringt, macht man gute Politik! 
[Beifall bei der CDU] 
Das wird die CDU - und ich bin sicher: auch der Regierende 
Bürgermeister - auch in Zukunft tun. 
In diesem Zusammenhang haben Sie, Herr Kollege Momper, 
auch wieder von der „neuen Armut“ als einer neuen Wortschöp 
fung gesprochen und sie zum Gegenstand Ihres Redebeitrages 
gemacht. 
[Pätzold (SPD): Das war eine Erfindung 
von Herrn Geisslerl] 
Ich möchte hierzu nur einmal folgendes klarstellen: Es hat in den 
früheren Jahrhunderten Armut, und zwar furchtbare Armut ge 
geben, und dann später und dann auch in Ihrer Zeit, als sie in 
Bonn die Regierung gestellt haben, und es gibt sie auch heute. 
Aber es gibt keine „neue Armut“, sondern es ist heute eine 
andere Armut als damals, und die Armut morgen und übermor 
gen wird auch wieder anders sein als heute. 
[Roß (SPD): Wahrscheinlich noch schlimmer!] 
Mil „neuer Armut“ wollen Sie doch, Herr Momper, bloß sugge 
rieren, daß es eine Armut jetzt erstmals gebe - und das ist doch 
nicht der Fall. Aber wenn Sie wirklich von „neuer Armut“ (C) 
sprechen, dann sage ich - und so sehen das Draußenstehende 
bei objektiver Betrachtung mit Recht auch -: Die „neue Armut“ 
hat zu Ihren Zeiten, zu Zeiten Ihrer Regierung Ende der 70er 
Jahre begonnen, als die Sozialhilfe, die Sie ja x-mal in Ihren Rede 
beiträgen angesprochen haben, gedeckelt worden ist, daß heißt 
nicht mehr den Preissteigerungsraten angeglichen worden ist. 
[Krebs (SPD): Sehr richtig! So ist es!] 
Wir haben 1984 die Deckelung wieder aufgehoben, daß heißt 
das Bedarfsdeckungsprinzip wieder eingeführt. Ein Jahr später, 
am 1. Juli 1985, hat es eine Sprozentige Anhebung der Sozial 
hilfesätze gegeben - das Vierfache der Netto-Renfenanhebung. 
Damit ist neben dem Preissteigerungsausgleich eine teilweise 
Abdeckung des Nachholfbedarfs vorgenommen worden. Ich er 
wähne nur am Rande die 20prozentigen Zuschläge für alleiner 
ziehende Mütter und für Sozialhilfeempfänger ab dem 60. Le 
bensjahr. Vor diesem Hintergrund - Herr Momper, da spreche 
ich Sie ganz besonders an - ist das von Ihnen erwähnte Beispiel 
der alleinstehenden Sozialhilfeempfängerin mit Kindern und in 
der Art, wie Sie es gebracht haben, ein reiner Mompitz - Mum 
pitz mit o! 
[Beifall bei der CDU - Momper (SPD): Das ist 
aber eine tolle Geistesleistung!] 
Ich meine nicht - um das klarzustellen - Mumpitz; 
[Pätzold (SPD): Aber Herr Schicks! Das schickt 
sich nun wirklich nicht, Herr Schicks!] 
denn die tatsächlich genannten Zahlen stimmen. Wir wissen 
ganz genau, daß man mit den Sozialhilfesätzen weder Sprünge 
noch große Sprünge machen kann. 
Meine Damen und Herren! Nun kann ich an dieser Stelle zur 
Haushaltsdebatte nicht ein Referat über soziale Maßnahmen und 
Sozialleistungen in der ganzen Breite halten; über den Bereich 
der Gesundheits- und Krankenhauspolitik wird im übrigen im 
Rahmen der zweiten Runde der Kollege Braun sprechen. Dazu ® 
fehlt mir jetzt einfach die Zeit. 
Lassen Sie mich stellvertretend aber den Komplex Behinderte 
und Senioren ansprechen, der insbesondere von der Alternati 
ven Liste mit der rhetorischen Frage bedacht worden ist: Wo 
bleiben die Behinderten? - Wie sieht es mit ihrer Integration 
aus, leben sie nicht in einem Ghetto? - Hierzu frage ich zurück: 
Vergessen Sie wirklich den Behindertenbericht und die danach 
vorgesehenen und begonnenen Maßnahmen? - Ich verweise 
weiter auf die Psychiatrie-Enquete von 1975 und erinnere an den 
Berliner Psychiatrieplan, den wir in der letzten Legislaturperiode 
- leider erst so spät, muß ich hinzufügen - angepackt haben 
und den der Senat im Herbst 1984 als Planungs- und Aktions 
grundlage vorgelegt hat. Stichworte dazu: Weg von psychiatri 
schen Großkrankenhäusern! - Möglichst weg von stationären 
Einrichtungen! - Keine Hospitalisierung! - Ausbau der ambulan 
ten, komplementären und teilstationären Einrichtungen! 
[Frau Reichel-Koß (SPD): Wo sind die?!] 
Ein Beispiel für die Verbesserung der Situation der körperlich 
Behinderten: Vor Jahren mußten Rollstuhlfahrer, die bestimmter 
Hilfen anderer bedurften, in ein Heim, wenn der familiäre Be 
treuer entfiel, die betreuende Mutter, der rüstige Ehegatte, ein 
anderer Angehöriger, Bruder, Schwester oder wer auch immer. 
Furchtbare Einzelschicksale gab es dabei, wenn zum Beispiel 
Vierzigjährige in ein Seniorenhaus mußten mit einem Durch 
schnittsalter der Bewohner zwischen 75 und 80 Jahren. Seit ein 
bis zwei Jahren steht eine größere Anzahl von Rollstuhlfahrer- 
Wohnungen in Berlin zur Verfügung, und in spätestens einem 
Jahr wird der Bedarf zahlenmäßig abgedeckt sein, nämlich mit 
400 bis 500 dieser Wohnungen, und zwar nicht in einem Ghet 
to, sondern in Häusern für Nichtbehinderte und Behinderte, mit 
einem Anteil von höchsten 20% Rollstuhlfahrer-Wohnungen. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Diese Rollstuhlfahrer-Wohnungen sind in unserer Zeit erstellt 
worden, das ist aber gar nicht das wichtigste, funktionieren tun 
sie erst durch die Sozialstationen, die die notwendigen ambulan-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.