Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
17. Sitzung vom 6. Dezember 1985
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Frau Sen Schmalz-Jacobsen
(A) Die Familie hat Anspruch auf den Schutz durch den Staat, sie
hat aber gleichzeitig auch Anspruch vor zu vielen Eingriffen des
Staates.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Das ist das Spannungsfeld, in dem sich jedenfalls liberale Fami
lienpolitik zu vollziehen hat. Und wer Liberalismus und liberale
Familienpolitik, die ja hier von uns beiden getragen wird, Herr
Kollege Preuss, ernst nimmt, muß weitestgehend Respekt vor
dem Recht der Eltern haben, das wir als Schutzzaun der Familie
verstehen, und Eingriffe nur dort als gerechtfertigt ansehen, wo
gegen die Persönlichkeitsrechte des einzelnen, insbesondere
der schutzlosen Kinder verstoßen wird.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.J
Unseren Kindern - und ich meine, daß wir manchmal zu selten
sehen, daß es um Kinder geht und nicht nur um deren Mütter -
müssen die Freiräume für ihre Selbstbestimmung erhalten wer
den, bis sie selbst in der Lage sind, diese zu verteidigen. Ent
sprechen die Bedingungen in der Familie nicht dem Wohl der
Kinder, so müssen sie geschaffen werden, und zwar möglichst
innerhalb der Familie, ausnahmsweise auch außerhalb der Fami
lie. In diesem Sinne, meine ich, in unserem Sinne, ist auch
Jugendhilfe stabilisierende Familienunterstützung. Familienpoli
tik, wie wir sie verstehen, schafft jene Freiräume, in denen Fami
lien ihre materiellen Grundlagen so gestalten, daß sie nach ihrem
eigenen Rollenbild und ihren eigenen Vorstellungen leben kön
nen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.J
Die Gesellschaft, so meine ich, muß sich an den Kosten der mit
der Erziehung der Kinder verbundenen Leistungen beteiligen,
denn die Gesellschaft profitiert davon.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.J
Hier nun ein Wort zum Berliner Familiengeld. Berlin war da
Bi Vorreiter - eben gerade auch nicht mit leeren Händen, sondern
mit ziemlich vollen Händen und ich halte das für richtig. Wer
hier meint, solche Zahlungen diffamieren zu dürfen als Abwer
tung von beruflicher Leistung, der ist auf dem Holzweg, meine
Damen und Herren!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.J
Ich schätze berufliche Leistung und ganz besonders auch die
berufliche Leistung von Frauen, aber es geht hier um die Aufwer
tung einer Leistung, die doch lange Jahre hindurch einen allzu
geringen Stellenwert hatte. Wir dürfen auch nicht verkennen,
daß von vielen Frauen die Berufsunterbrechung ja eine ge
wünschte ist. Es ist doch nicht so, daß sie an Heim und Kind und
Mann gefesselt werden gegen ihren eigenen Willen. Frauen
suchen danach, Möglichkeiten zu finden, die ihnen ein Daheim
bleiben beim Kind belassen, und ich meine, wenn die Gesell
schaft diese Leistung in einem gewissen Sinne abgilt, dann ist
das nur recht und billig.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.J
Dies vorausgeschickt, Herr Präsident, meine Damen und Her
ren. Ich bin, meine ich, mit dem hier vorliegenden Haushalt in der
Lage, innerhalb des Senats sehr wohl eine gute Familienpolitik
zu vertreten. Ich will nicht verhehlen, daß in einigen mir beson
ders wichtig erscheinenden Bereichen Kompromisse zugunsten
vordringlicherer Aufgaben geschlossen werden mußten, aber
das pflegt überall so zu sein. Ich bin aber sehr zuversichtlich und
werde meine Kraft dafür einsetzen, daß alle jugend-, frauen- und
familienpolitischen Schwerpunkte in diesem Jahr energisch an
gegangen werden, auch wenn sie kein Geld kosten, was ja
glücklicherweise auch vorkommt und häufig vergessen wird.
[Beifall bei der F.D.P.J
Ich sage dies, weil mir vollkommen bewußt ist - und ich hoffe,
Ihnen auch -, daß die Kraft Berlins nicht nur in den Haushalten
unserer Verwaltung liegt, sondern vor allem da, wo sich die inno
vative Kraft Berlins im Umgang mit sozialen Veränderungen zeigt.
[Beifall bei der F.D.P.J
Berlin war immer und ist noch heute so etwas wie ein soziales (C)
Laboratorium; wir können hier auf so viele kreative Ansätze in der
Gesellschaft zurückgreifen, wie dies in kaum einer anderen
Großstadt möglich ist.
Gerade in der Jugendhilfe haben sich einstmals umwälzend
neue Ansätze etabliert und ihren ganz selbstverständlichen Platz
eingenommen. Leider ist die Rechtsgrundlage für die Jugend
hilfe, das Jugendwohlfahrtsgesetz, überholt - da sind wir uns
einig -, und ich bin dem Abgeordneten Tiedt dankbar, daß er
das angesprochen hat. Die Novellierung ist dringend geboten,
und ich bin der Meinung, daß wir als Liberale auch die Aufgabe
haben, das Recht in diesem JWG den sozialen Gegebenheiten
anzupassen, denn die Probleme junger Erwachsener sind ein be
redtes Beispiel für eine Entwicklung, die dieses Recht überholt
hat.
Ein völlig neuer Ansatz in der Jugendhilfe waren die Jugend
wohngemeinschaften. Sie sind hier schon erwähnt worden, und
ich scheue mich nicht, sie erneut anzusprechen, auch wenn ich
weiß, daß es da Kontroversen gibt. Heute sind sie ein beinahe
selbstverständlicher Teil der Jugendhilfe und, wie ich betone,
eine gute Alternative zur Heimerziehung.
[Beifall bei der F.D.P.J
Wir müssen diesen Jugendwohngemeinschaften nun auch end
lich rechtlich und materiell die Selbstverständlichkeiten geben,
die sie als Angebot der Jugendhilfe in der Praxis längst haben.
Aber das geht nicht so ganz schnell und indem man irgendwo
ein paar Mark drauflegt. Da bedarf es einer grundsätzlichen Neu
gestaltung ; ich werde in Kürze die längst fälligen neuen Ausfüh
rungsvorschriften erlassen und gemeinsam mit den Trägern über
die Finanzierung dieser Jugendwohngemeinschaften neu nach-
denken.
[Beifall bei der F.D.P.J
Ich bin ganz sicher, daß eine tragfähige Konstruktion herauskom
men wird. Die Nachfrage für diese Jugendwohngemeinschaften
ist groß, nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Trägern. (D ^
Das zeigt doch, daß hier ein großes Interesse vorhanden ist und
daß die Panikmache, hier würde abgebaut, einfach nicht zutrifft.
[Beifall bei der F.D.P.J
Ein weiterer neuer und doch auch schon wieder anerkannter
Ansatz sind die Ausbildungsprojekte in der Jugendhilfe. Gerade
für benachteiligte Jugendliche sind Beruf und Arbeit von ent
scheidender Bedeutung für das Selbstwertgefühl, für Identität
und Selbstbewußtsein. Wegen der Arbeitslosigkeit, die uns lei
der begleitet, einer Arbeitslosigkeit, die besonders bei Jugend
lichen ohne qualifizierten Abschluß zum Tragen kommt, gewinnt
dieses sozialpädagogisch orientierte Jugendhilfeangebot zuneh
mend an Bedeutung. Denn, meine Damen und Herren, die
Nischen für nicht ausgebildete Jugendliche, als unqualifizierte
Arbeitskräfte doch noch irgendwo unterzukommen, verschwin
den mehr und mehr. Darum müssen wir in diesem Bereich auch
mehr und mehr tun; das ist meine feste Meinung, und das ist
auch ein Ziel meiner Arbeit.
[Beifall bei der F.D.P.J
In den vergangenen Jahren hat sich in Berlin eine vielfältige Trä
gerstruktur herausgebildet, und die Träger bedienen sich unter
schiedlichster Mittel und Methoden, und die Ausbildungsange
bote reichen von der althergebrachten Anstaltserziehung im Be
reich der klassischen Heimerziehung bis hin zu den betriebsähn-
iichen Ansätzen bei freien Projekten.
Ein paar Worte zur Frauenpolitik. In meiner einführenden Dar
stellung im Mai dieses Jahres habe ich bereits darauf hingewie
sen, daß es das Ziel des Senats ist, zur Verwirklichung der
Gleichberechtigung und zu einem neuen Verständnis von Part
nerschaft zwischen Mann und Frau beizutragen,
[Beifall bei der F.D.P.J
Dieses kann aber nur gemeinsam erreicht werden. Frauenpolitik
bietet die Chance, die Zukunft der Gesellschaft zu gestalten, in
dem sie zum Beispiel eine gerechtere und humanere Verteilung
anstrebt von Arbeit, Freizeit und Tätigkeit für die Gesellschaft,