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Volume Nr. 17, 6. Dezember 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1985, 10. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
17. Sitzung vom 6. Dezember 1985 
929 
Tiedt 
(A) müssen wir dafür Sorge tragen, daß diese eigentlich doch noch 
Jugendlichen in der Jugendbetreuung gehalten werden und daß 
dies auch formal abgesichert wird. 
[Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU] 
Jedenfalls dürfen sie unter keinen Umständen aus formalen 
Gründen zum Sozialfall werden. Das kostet Geld; aber dies ist ja 
I » auch ein Stück Zukunftsinvestition. Das müssen wir uns auch 
etwas kosten lassen. 
Zu den aktuellen Problemen, insbesondere zu dem Thema Kin 
dertagesstätten, ist hier gestern schon so viel gesagt worden 
s vom Vorsitzenden meiner Fraktion, Herrn Rasch, und heute von 
Herrn Preuss, daß ich darauf eigentlich nicht weiter eingehen 
I will. Ich will nur sagen: Maximalforderungen sind hier absolut 
ungeeignet und überhaupt nicht nützlich, sondern schädlich, 
weil sie nämlich Erwartungen schaffen, von denen alle wissen - 
auch diejenigen, die solche Forderungen stellen -, daß diese 
Erwartungen enttäuscht werden. Eine solche Politik ist unehrlich, 
und sie ist unredlich. 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Wir möchten allerdings anregen, daß zusätzliche Möglichkei 
ten künftig dadurch geschaffen werden, daß auch im öffentlichen 
Bereich - dem guten Beispiel der freien Träger folgend - künftig 
1 Halbtagsbetreuungsplätze angeboten werden. Ob zur weiteren 
Verbesserung der personellen Betreuung der Kinder nicht auch 
das in diesem Bereich nach wie vor angewendete System der 
Jahresarbeitsminuten auf Dauer durch ein adäquateres System 
der Personalberechnung abzulösen ist, sollte aus Sicht der Libe 
ralen sorgfältig geprüft werden. 
[Beifall bei der F.D.P.] 
Wenn wir schon dabei sind, dann lassen Sie mich noch im 
Nebensatz ein Wort zur Erzieherausbildung sagen; denn das ist 
ja auch eine Frage der Betreuung von Kindern. Die F.D.P. wird 
' die Haltung der Senatorin stützen und fördern, wenn sie weiter 
' ' die gegenwärtige Vorlage zur Neuordnung der Erzieherausbil 
dung dahin gehend zu korrigieren bemüht ist, daß Hauptschülern 
auch künftig der Zugang zu diesem Bereich erhalten bleibt, vor 
allem schon deswegen, weil wir den Bedarf in diesem Bereich 
auch künftig decken müssen. Die gegenwärtige Vorlage - so 
scheint mir - ist da nicht in jedem Punkte geeignet. Wir werden 
darüber weiter zu diskutieren haben. 
Die elterninitiativ getragenen Kindertagesstätten wurden 
ebenfalls schon hinreichend erwähnt und zahlenmäßig belegt. 
Ich will dennoch ein Wort dazu sagen, weil sie aus liberaler Sicht 
besonders zu unterstreichen sind und wir die Senatorin in ihrem 
j Bemühen unterstützen wollen, die positive Entwicklung voran- 
' zutreiben, die seit der Vorstellung des überarbeiteten Ratgebers 
und den damit gegebenen politischen Impulsen zu verzeichnen 
ist. Und es komme mir doch, bitte schön, keiner auf die Idee, 
solche EKT-Plätze womöglich als wohlfeile Billigausgabe von 
Kitaplätzen zu diffamieren, nicht nur deswegen, weil jeder Platz, 
der einem Kind zusätzlich zur Verfügung gestellt werden kann, 
wichtig ist, sondern auch deswegen - und das ist bedeutsa 
mer-, weil es keine andere Form gibt, die den elterlichen Vor 
stellungen über Kindererziehung in der Gruppe, die dem Mut zur 
Selbstverantwortung und zur Selbstorganisation auch ganz indi 
vidueller Vorstellungen so viel Spielraum läßt wie die elterninitia 
tiv getragene Kindertagesstätte. 
[Beifall bei der F.D.P.] 
Denken Sie bitte nur auch an das Beispiel des Hortes, der 
neben der Freien Schule auf der Ufa-Fabrik zusätzlich eingerich 
tet worden ist. 
Im Bereich der Erziehungshilfen freuen wir uns, daß die Sena 
torin wichtige Akzente gesetzt hat, deren Weiterentwicklung wir 
ihr ebenfalls sehr gern ans Herz legen möchten. Es geht um die 
Ausweitung der Riegekinderbetreuung und um die verstärkte 
Förderung entsprechender Projekte. Wer - wie die Liberalen - 
sich dafür einsetzt, daß weniger Staat und mehr Freiheit des ein 
zelnen stattzufinden hat, muß im Grundsatz weg von den Heimen 
und — soweit es irgend geht - zurück in die funktionierende Fami 
lie. Und wo das nicht geht, müssen wir andere Ansätze außer- (C) 
halb der Ursprungsfamilien suchen, möglichst aber immer An 
sätze alternativ zur Heimerziehung. Wir unterstützen Sie daher, 
Frau Senatorin, in dem Bemühen um Riegefamilien. 
Wir wissen auch, wie schwierig es ist, solche Riegefamilien, 
die für diese schwierige und wichtige Aufgabe geeignet sind, zu 
finden. Wir sind - anders als manche das vielleicht wünschen - 
etwas skeptisch, ob groß angelegte Werbekampagnen hier wirk 
lich weiterhelfen. Wir wissen aber auch, daß eine der Schwierig 
keiten, solche Familien zu finden, darin liegt, daß die Bezirke sich 
gelegentlich geradezu abschreckend verhalten, und möchten 
Sie, Frau Senatorin, bitten, soweit das möglich ist, auch auf die 
Bezirke einzuwirken, daß sie in diesem Bereich etwas offensiver 
an die Dinge herangehen. 
Und in diesem Zusammenhang noch eine Bitte: Versuchen 
Sie und wir gemeinsam, Möglichkeiten zu schaffen, daß auch 
andere Lebensformen nicht grundsätzlich als Hindernis für die 
Betreuung von Riegekindern anzusehen sind! Hier gilt - wie in 
den meisten Fällen -; Qualifizierte Einzelprüfung geht immer vor 
Schema F! 
Besonderen Stellenwert räumt der Senat dankenswerter 
weise auch den Jugendwohngemeinschaften und den therapeu 
tischen Wohngemeinschaften und anderen Formen betreuten 
Jugendwohnens ein. Sie sind aus unserer Sicht eben auch gute 
und wirkungsvolle Alternative zur Heimerziehung. 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Auch wenn nur in wenigen Bundesländern solche Wohngemein 
schaften qualitativ und quantitativ eine ähnliche Stellung erreicht 
haben wie in Berlin, so befinden wir uns ja auch hier immer noch 
in einer Phase des Experimentierens. Wir möchten Sie bitten, 
Frau Senatorin, hier Akzente zu setzen und die Möglichkeit der 
formalen und finanziellen Absicherung auch solcher Wohn- und 
Lebensformen von Jugendlichen zu erschließen. 
[Beifall des Abg. Biederbick (F.D.P.)] 
Ihre Förderung und Weiterentwicklung findet jedenfalls die volle 
Unterstützung der Liberalen. 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Gestatten Sie mir eine Anmerkung der Unzufriedenheit über 
das Verfahren hinsichtlich der Vergütungsregelung von Beratern 
dieser Jugendwohngemeinschaften. Wir wissen - und das ver 
langen wir auch nicht -, daß sie nicht bessergestellt werden 
sollen als entsprechende Bedienstete im öffentlichen Dienst. 
Aber es müssen selbstverständlich auch die Arbeitsbedingun 
gen geschaffen werden, die es ermöglichen, sinnvolle und sach 
gerechte Arbeit zu leisten und die Motivation der Berater - und 
das ist eben im Interesse dann auch derer, die betreut und bera 
ten werden - zu erhalten. Und wenn ich hier verhaltene Kritik 
äußere, dann deshalb, weil es unseres Erachtens eben nicht an 
geht, daß aus Gründen welcher Optik auch immer unpopuläre 
Entscheidungen liegenbleiben. Und deswegen möchte ich 
Ihnen, Frau Senatorin, ganz ausdrücklich dafür danken, daß Sie 
diese - ich darf es einmal „Altlast“ nennen - mutig angefaßt 
haben, und Sie ermuntern, Ihr Ressort auch im weiteren Verlauf 
dieser Legislaturperiode mit fester Hand auf diese Weise in den 
Griff zu nehmen. 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Ich möchte Sie auch ermutigen, die Förderung von Ausbil 
dungsprojekten weiter zu intensivieren. Solche Projekte verdie 
nen dann allemal Ihre Unterstützung, wenn sie vor allem beson 
ders benachteiligten Jugendlichen mit ansonsten geringen 
Chancen Möglichkeiten zum Arbeiten, zum Lernen, ja auch zum 
formalen Abschluß einer Lehre bzw. Ausbildung erschließen, 
Verstärkte ideelle und materielle Hilfe solcher Projekte, wie sie in 
der Jugendpolitik des Senats angelegt sind, wird die F.D.P. 
unterstützen. 
Jugend- und Familienpolitik ist langfristig angelegt. Sie ist un 
geeignet, wie manche vielleicht anders glauben, für spektakuläre 
Einzelmaßnahmen und in ihren unmittelbaren Auswirkungen oft 
ja nur am Einzelfall meßbar. Sie ist in ihrer Gesamtwirkung aber
	        
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