Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
17. Sitzung vom 6. Dezember 1985
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Tiedt
(A) müssen wir dafür Sorge tragen, daß diese eigentlich doch noch
Jugendlichen in der Jugendbetreuung gehalten werden und daß
dies auch formal abgesichert wird.
[Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU]
Jedenfalls dürfen sie unter keinen Umständen aus formalen
Gründen zum Sozialfall werden. Das kostet Geld; aber dies ist ja
I » auch ein Stück Zukunftsinvestition. Das müssen wir uns auch
etwas kosten lassen.
Zu den aktuellen Problemen, insbesondere zu dem Thema Kin
dertagesstätten, ist hier gestern schon so viel gesagt worden
s vom Vorsitzenden meiner Fraktion, Herrn Rasch, und heute von
Herrn Preuss, daß ich darauf eigentlich nicht weiter eingehen
I will. Ich will nur sagen: Maximalforderungen sind hier absolut
ungeeignet und überhaupt nicht nützlich, sondern schädlich,
weil sie nämlich Erwartungen schaffen, von denen alle wissen -
auch diejenigen, die solche Forderungen stellen -, daß diese
Erwartungen enttäuscht werden. Eine solche Politik ist unehrlich,
und sie ist unredlich.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Wir möchten allerdings anregen, daß zusätzliche Möglichkei
ten künftig dadurch geschaffen werden, daß auch im öffentlichen
Bereich - dem guten Beispiel der freien Träger folgend - künftig
1 Halbtagsbetreuungsplätze angeboten werden. Ob zur weiteren
Verbesserung der personellen Betreuung der Kinder nicht auch
das in diesem Bereich nach wie vor angewendete System der
Jahresarbeitsminuten auf Dauer durch ein adäquateres System
der Personalberechnung abzulösen ist, sollte aus Sicht der Libe
ralen sorgfältig geprüft werden.
[Beifall bei der F.D.P.]
Wenn wir schon dabei sind, dann lassen Sie mich noch im
Nebensatz ein Wort zur Erzieherausbildung sagen; denn das ist
ja auch eine Frage der Betreuung von Kindern. Die F.D.P. wird
' die Haltung der Senatorin stützen und fördern, wenn sie weiter
' ' die gegenwärtige Vorlage zur Neuordnung der Erzieherausbil
dung dahin gehend zu korrigieren bemüht ist, daß Hauptschülern
auch künftig der Zugang zu diesem Bereich erhalten bleibt, vor
allem schon deswegen, weil wir den Bedarf in diesem Bereich
auch künftig decken müssen. Die gegenwärtige Vorlage - so
scheint mir - ist da nicht in jedem Punkte geeignet. Wir werden
darüber weiter zu diskutieren haben.
Die elterninitiativ getragenen Kindertagesstätten wurden
ebenfalls schon hinreichend erwähnt und zahlenmäßig belegt.
Ich will dennoch ein Wort dazu sagen, weil sie aus liberaler Sicht
besonders zu unterstreichen sind und wir die Senatorin in ihrem
j Bemühen unterstützen wollen, die positive Entwicklung voran-
' zutreiben, die seit der Vorstellung des überarbeiteten Ratgebers
und den damit gegebenen politischen Impulsen zu verzeichnen
ist. Und es komme mir doch, bitte schön, keiner auf die Idee,
solche EKT-Plätze womöglich als wohlfeile Billigausgabe von
Kitaplätzen zu diffamieren, nicht nur deswegen, weil jeder Platz,
der einem Kind zusätzlich zur Verfügung gestellt werden kann,
wichtig ist, sondern auch deswegen - und das ist bedeutsa
mer-, weil es keine andere Form gibt, die den elterlichen Vor
stellungen über Kindererziehung in der Gruppe, die dem Mut zur
Selbstverantwortung und zur Selbstorganisation auch ganz indi
vidueller Vorstellungen so viel Spielraum läßt wie die elterninitia
tiv getragene Kindertagesstätte.
[Beifall bei der F.D.P.]
Denken Sie bitte nur auch an das Beispiel des Hortes, der
neben der Freien Schule auf der Ufa-Fabrik zusätzlich eingerich
tet worden ist.
Im Bereich der Erziehungshilfen freuen wir uns, daß die Sena
torin wichtige Akzente gesetzt hat, deren Weiterentwicklung wir
ihr ebenfalls sehr gern ans Herz legen möchten. Es geht um die
Ausweitung der Riegekinderbetreuung und um die verstärkte
Förderung entsprechender Projekte. Wer - wie die Liberalen -
sich dafür einsetzt, daß weniger Staat und mehr Freiheit des ein
zelnen stattzufinden hat, muß im Grundsatz weg von den Heimen
und — soweit es irgend geht - zurück in die funktionierende Fami
lie. Und wo das nicht geht, müssen wir andere Ansätze außer- (C)
halb der Ursprungsfamilien suchen, möglichst aber immer An
sätze alternativ zur Heimerziehung. Wir unterstützen Sie daher,
Frau Senatorin, in dem Bemühen um Riegefamilien.
Wir wissen auch, wie schwierig es ist, solche Riegefamilien,
die für diese schwierige und wichtige Aufgabe geeignet sind, zu
finden. Wir sind - anders als manche das vielleicht wünschen -
etwas skeptisch, ob groß angelegte Werbekampagnen hier wirk
lich weiterhelfen. Wir wissen aber auch, daß eine der Schwierig
keiten, solche Familien zu finden, darin liegt, daß die Bezirke sich
gelegentlich geradezu abschreckend verhalten, und möchten
Sie, Frau Senatorin, bitten, soweit das möglich ist, auch auf die
Bezirke einzuwirken, daß sie in diesem Bereich etwas offensiver
an die Dinge herangehen.
Und in diesem Zusammenhang noch eine Bitte: Versuchen
Sie und wir gemeinsam, Möglichkeiten zu schaffen, daß auch
andere Lebensformen nicht grundsätzlich als Hindernis für die
Betreuung von Riegekindern anzusehen sind! Hier gilt - wie in
den meisten Fällen -; Qualifizierte Einzelprüfung geht immer vor
Schema F!
Besonderen Stellenwert räumt der Senat dankenswerter
weise auch den Jugendwohngemeinschaften und den therapeu
tischen Wohngemeinschaften und anderen Formen betreuten
Jugendwohnens ein. Sie sind aus unserer Sicht eben auch gute
und wirkungsvolle Alternative zur Heimerziehung.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Auch wenn nur in wenigen Bundesländern solche Wohngemein
schaften qualitativ und quantitativ eine ähnliche Stellung erreicht
haben wie in Berlin, so befinden wir uns ja auch hier immer noch
in einer Phase des Experimentierens. Wir möchten Sie bitten,
Frau Senatorin, hier Akzente zu setzen und die Möglichkeit der
formalen und finanziellen Absicherung auch solcher Wohn- und
Lebensformen von Jugendlichen zu erschließen.
[Beifall des Abg. Biederbick (F.D.P.)]
Ihre Förderung und Weiterentwicklung findet jedenfalls die volle
Unterstützung der Liberalen.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Gestatten Sie mir eine Anmerkung der Unzufriedenheit über
das Verfahren hinsichtlich der Vergütungsregelung von Beratern
dieser Jugendwohngemeinschaften. Wir wissen - und das ver
langen wir auch nicht -, daß sie nicht bessergestellt werden
sollen als entsprechende Bedienstete im öffentlichen Dienst.
Aber es müssen selbstverständlich auch die Arbeitsbedingun
gen geschaffen werden, die es ermöglichen, sinnvolle und sach
gerechte Arbeit zu leisten und die Motivation der Berater - und
das ist eben im Interesse dann auch derer, die betreut und bera
ten werden - zu erhalten. Und wenn ich hier verhaltene Kritik
äußere, dann deshalb, weil es unseres Erachtens eben nicht an
geht, daß aus Gründen welcher Optik auch immer unpopuläre
Entscheidungen liegenbleiben. Und deswegen möchte ich
Ihnen, Frau Senatorin, ganz ausdrücklich dafür danken, daß Sie
diese - ich darf es einmal „Altlast“ nennen - mutig angefaßt
haben, und Sie ermuntern, Ihr Ressort auch im weiteren Verlauf
dieser Legislaturperiode mit fester Hand auf diese Weise in den
Griff zu nehmen.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Ich möchte Sie auch ermutigen, die Förderung von Ausbil
dungsprojekten weiter zu intensivieren. Solche Projekte verdie
nen dann allemal Ihre Unterstützung, wenn sie vor allem beson
ders benachteiligten Jugendlichen mit ansonsten geringen
Chancen Möglichkeiten zum Arbeiten, zum Lernen, ja auch zum
formalen Abschluß einer Lehre bzw. Ausbildung erschließen,
Verstärkte ideelle und materielle Hilfe solcher Projekte, wie sie in
der Jugendpolitik des Senats angelegt sind, wird die F.D.P.
unterstützen.
Jugend- und Familienpolitik ist langfristig angelegt. Sie ist un
geeignet, wie manche vielleicht anders glauben, für spektakuläre
Einzelmaßnahmen und in ihren unmittelbaren Auswirkungen oft
ja nur am Einzelfall meßbar. Sie ist in ihrer Gesamtwirkung aber