Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
16. Sitzung vom 5. Dezember 1985
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Helms
(A) eigentliche Sinn der Verwaltungsretorm ist. Da wird jahrelang
über die Verwaltungsreform diskutiert; aber ansonsten macht
der Senat seine Politik wie gehabt. Wenn er irgend etwas aus
politischen Gründen dezentralisieren will, dann tut er das, und
wenn er eben irgend etwas nicht dezentralisieren will, wie
zum Beispiel jetzt, den Umweltschutz in die Bezirke zu geben,
dann tut er es eben aus politischen Gründen nicht. Dem
Bürger wird aber immer vorgemacht, daß er - der Senat -
gegen die Bürokratie kämpfe.
[Beifall bei der AL - Pätzold (SPD): Das ist die
eine Seite, Herr Helms!]
Das einzige, was ich bei dieser Debatte um die Verwal-
tungsrefom interessant finde, ist die Frage des politischen
Bezirksamts in den Bezirken. Wenn sich da also etwas
bewegte, wenn da etwas gemacht würde, dann verdiente das
den Namen „Verwaltungsreform“. Zum politischen Bezirks
amt gehört aber mehr als die Zusage, daß eine oder zwei
Parteien alleine das Bezirksamt bilden sollen. Zum politi
schen Bezirksamt würde nach unserer Ansicht auch gehören,
daß eine gewisse Finanzhoheit vorhanden ist, daß also auch
Bezirke über einen ganz bestimmten Finanztopf verfügen, wie
das andere Gemeinden auch können. Dazu gehörte auch, daß
die Fachaufsicht, die zur Zeit die Hauptverwaltung gegenüber
den Bezirken wahrnimmt, zurückgenommen wird zugunsten
einer Rechtsaufsicht.
[Pätzold (SPD): Richtig!]
Alles, was davor liegt, kann man nicht als politisches Bezirks
amt bezeichnen. Wir haben in Kreuzberg schon lange Ärger
damit, daß wir gerade ein politisches Bezirksamt nicht haben,
daß unsere Stadträte dort andauernd durch Weisungen der
(B) Fachabteilungen gezwungen werden, im Bezirk eine Politik
durchzuführen, die dort gar nicht mehrheitsfähig ist.
Jetzt möchte ich etwas zur Kriminalität sagen. Dabei stelle
ich mich aber jetzt nicht hin und sage, wie Herr Pätzold oder
Herr Momper heute morgen, der Herr Lummer sei ein
Schwächling, der habe doch immer so starke Sprüche ge
macht und würde das gar nicht einhalten; nun wolle die SPD
beweisen, daß er gar nicht dieser starke Mann ist, wie er
immer tut. - Also, das mag zwar eine Art immanenter Kritik
sein, aber mich interessiert das eigentlich gar nicht; ich wäre
ja heilfroh, wenn er dieser schwache Mann wäre, wie ihn die
SPD darstellt. Insoweit habe ich also ein ganz anderes
Problem mit diesem Haushalt und diesem Herrn Senator.
Was ist eigentlich Kriminalität? - Einzelplan 05, das heißt
unter anderem auch Polizei, das hat etwas mit Kriminalität zu
tun. Weil es Kriminalität gibt, gibt es Polizei. Ich will jetzt nicht
sagen, daß Kriminalität Arbeitsplätze schafft;
[Heiterkeit bei allen Fraktionen)
aber es besteht ein innerer Zusammenhang. Kriminalität ist
eine Form, daß ein gesellschaftlicher Konsens aufgekündigt
wird von einem Individuum oder von einer Gruppe. Dazu
möchte ich jetzt folgendes sagen: Der Polizeipräsident hat vor
drei Tagen eine Presseerklärung herausgegeben und dabei
gesagt, daß die Kriminalität wieder steige. Ich will jetzt gar
nicht sagen, ob das statistisch stimmt; die kann auch geringer
werden, aber auf jeden Fall gibt es Kriminalität. Der Polizei
präsident hat gesagt, daß die Eigentumskriminalität zugenom
men habe. Da kann man natürlich schnell auf den Gedanken
kommen: Ja Mensch, wenn das Eigentum in Gefahr ist, dann
brauchen wir mehr Polizisten. - Ich komme auf diesen
Gedanken erst mal nicht.
[Rasch (F.D.P.): Nee, mehr Eigentum! - Gelächter
und Heiterkeit bei der CDU]
Ich frage mich zunächst einmal, woher diese Kriminalität (C)
kommt. Da fällt mir eine Mündliche Anfrage ein, die mein
Kollege Haberkorn hier gestern eingebracht hat, als er zum
Beispiel aufgelistet hat, was zum Beispiel der monatliche
Regelsatz für Sozialhilfeempfänger ist: für Ernährung
231,53 DM, für hauswirtschaftliche Bedürfnisse 64,17 DM und
für persönlichen Bedarf 122,42 DM.
[Haberkorn (AL): Ist aber nicht der aktuelle, der
ist noch niedriger!]
- Der aktuelle ist also noch niedriger; aber ich nehme an, daß
das eben Genannte schon niedrig genug ist.
Wenn ich Jugendlicher wäre, keine Arbeit bekäme und von
dieser Sozialhilfe leben müßte, zum Beispiel ein, zwei, drei,
vier Jahre, dann kann ich Ihnen garantieren, daß ich sozusa
gen im Rahmen der - wie nennt man das? -
[Bode (CDU): Mundraub! - Heiterkeit bei der
CDU]
Vermögensumverteilung—Ja, Mundraub kann man das auch
nennen. So war es früher mal klassisch, nicht war? - Aber
wenn ich von diesem Geld auf Dauer leben müßte, dann kann
ich Ihnen garantieren, daß mein Verhältnis zum Rechtsstaat
nicht ganz ungebrochen wäre und daß ich sagen würde: Okay,
da gehe ich - so geschickt, wie ich kann - mal zu Aldi und
mache da eine gewisse Verbesserung meiner Einkommens
verhältnisse.
[Heiterkeit und Unruhe bei der CDU und der
F.D.P.]
Solange diese Art der sozialen Ungerechtigkeit so in der
Gesellschaft vorhanden ist, solange braucht sich über Krimi- ^
nalität überhaupt niemand aufzuregen.
Stellv. Präsident Longolius: Gestatten Sie eine Zwischenfra
ge?
Helms (AL): Auch Herr Pätzold will mich unterstützen.
Pätzold (SPD): Herr Kollege Helms, ist Ihnen denn nicht
bewußt, daß das die eine Seite der Medaille ist - da folge ich
Ihnen sehr -, daß aber die andere Seite der Medaille eben
darin besteht, daß Leute mit kriminellen Methoden heute
Millionenbeträge verdienen und daß dieser Staat unter dieser
Regierung nichts Wesenstliches dagegen unternimmt, um
dies einzudämmen?
[Beifall bei der SPD]
Helms (AL): Ich war ja bisher erst bei der Kleinkriminalität.
Die Kriminalität ist Ja genauso aufgeteilt wie die sogenannte
nichtkriminelle Gesellschaft. Auch da gibt es ein Oben und ein
Unten; auch da gibt es Groß- und Kleinverdiener. Also, da gibt
es durchaus ein Spiegelbild.
Aber ich wollte noch bei der Kleinkriminalität oder bei der
sozialen Kriminalität bleiben. Da schreibt der Polizeipräsi
dent, Herr Hübner, daß 85% der Mehrfachdiebe und -hehler
rauschgiftabhängig seien. Nun ist seine Idee, daß er so ein
Turnschuh-Bataillon einstellen will, damit diese Leute dann
als verdeckte Ermittler oder als Beamte in Zivil die Leute
besser zu fassen kriegen. Ich kann mir vorstellen, daß die
Aufklärungsquote dadurch höher wird. Ich kann mir auch
vorstellen, daß die Knäste dann wieder etwas besser als zur
Zeit belegt sein werden; aber ich kann mir nicht vorstellen,
daß diese 85% Rauschgiftabhängigen, die nun einmal darauf
angewiesen sind, an Knete heranzukommen, von ihrer Krimi
nalität abgehen werden. Da können Sie so viel Polizisten