Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
15. Sitzung vom 4. Dezember 1985
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Frau Birkelbach
(A) Dieser Antrag kommt nicht aus heiterem Himmel, und wer
nach einer Begründung fragt, den bitte ich, sich einmal im Saal
umzuschauen, wo besonders auf der einen Seite des Hauses
die Frauen außerordentlich spärlich vertreten sind und wo
sich 50% der Bevölkerung fragen kann, wo und wie viele
Frauen in dieser Stadt die Geschicke mitbestimmen.
Frauenquoten sind seit einiger Zeit in aller Munde. Darüber
bin ich auch sehr froh. Ich denke, das ist auch etwas das
Verdienst von Frauen meiner Partei, indem wir ein bißchen
vorwärts geprescht sind und gesagt haben: Wir fordern für uns
die Hälfte des Parteihimmels - um das mal so zu sagen. Ich
freue mich, daß Frauen in der SPD diesen Gedanken aufgegrif-
ten haben und das bei sich durchzusetzen versuchen und daß
das auch in der CDU diskutiert wird.
Es geht aber nicht nur um die Repräsentanz von Frauen im
öffentlichen Leben, sondern es geht genauso um den - ich will
das mal so sagen - gerechten Anteil der Frauen an der
Berufswelt. Der wird ihnen nach wie vor, trotz Grundgesetz,
trotz diverser Abkommen, trotz diverser Vorschriften gesetzli
cher Art, die Diskriminierung verbieten, in der Praxis ver
wehrt. Ich könnte mir sogar vorstellen, daß wir uns in der
Situationsbeschreibung einig sind und daß wir uns zumindest,
wenn ich mich auf die Parteiprogramme und nicht auf die
Stammtische beziehe, auch in der Klage über diesen Zustand
einig sein könnten.
Eine besondere Aktualität kriegt es für mich nicht nur durch
die aktuelle Debatte, auch in den Gewerkschaften - über die
ich mich freue -, sondern auch aufgrund der realen Situation
auf dem Arbeitsmarkt. Diese reale Situation läßt sich vielleicht
mit kurzen Stichworten so kennzeichnen: Der Anteil der
Frauen an den Erwerbslosen steigt, obwohl wir eine leichte
Zunahme von Beschäftigungsverhältnissen verzeichnen kön
nen. Frauen sind insbesondere von ungesicherten Arbeitsver-
jgj hältnissen, von Flexibilisierungsstrategien bedroht. Mädchen
- das liegt mir auch in besonderer Weise am Herzen -
unterliegen im Konkurrenzkampf mit Jungen um Ausbildungs
verhältnisse, nicht um irgendwelche, sondern besonders um
qualifizierte, zukunftsorientierte Ausbildungsplätze. Sie er
halten nur ungefähr 40% der Lehrstellen. Ich denke, diese
Entwicklung ist insofern sehr bedrohlich, weil das alles
passiert, obwohl Frauen eine zunehmende Qualifikation vor
zuweisen haben und obwohl Frauen offensiv ihren zunehmen
den Wunsch an Beteiligung am öffentlichen Leben, an der
Berufswelt, an verantwortungsvollen Tätigkeiten einzuklagen
versuchen. Ich denke, das bedeutet, daß wir heute feststellen
können, daß Appelle, daß gute Worte, daß auch Leitlinien, wie
wir sie hierin Berlin haben, eben nichts nützen. Sie haben sich
tatsächlich als nutzlos erwiesen, vielleicht gerade wegen des
verstärkten Konkurrenzkampfes auf dem Arbeitsmarkt, und
das, obwohl wir - das muß man auf der anderen Seite
durchaus sehen - mindestens bei der jüngeren Generation
schon einen Einstellungswandel feststellen können. Aber
dieser Wandel führt deswegen nicht zu den notwendigen
Konsequenzen, weil es eben nicht nur darum geht, daß man
diese oder jene Einstellung haben kann oder auch nicht,
sondern es geht durchaus sehr handfest um Interessen, es
geht eben darum, daß die männliche Hälfte dieser Welt ein
paar Privilegien abgeben muß, und das, meine Herren, tun Sie
offensichtlich nicht so gern.
[Anhaltend starke Unruhe]
Die Konsequenz daraus ist, daß man es eben nicht bei
Appellen und schönen Worten belassen kann, sondern daß wir
Druckmittel brauchen, Mittel, mit denen Frauen ihr Grundrecht
auf gleichberechtigte Teilhabe am Berufsleben einklagen und
durchsetzen können.
Wir haben uns bei diesem Antrag zunächst einmal be
schränkt auf den öffentlichen Dienst des Landes Berlin, und
zwar aus verschiedenen Gründen, die sehr schnell einleuch
ten. Sehr oft wird von der Vorbildfunktion des öffentlichen
Dienstes gesprochen, und ich glaube, zu Recht. Der öffentli
che Dienst ist in besonderer Weise gehalten, den Auftrag des
Grundgesetzes ernst zu nehmen und sich um dessen Einlö
sung zu bemühen, und - was nicht zu unterschätzen ist - wir
haben hier den direkten Zugriff, ganz anders, als wenn wir uns
in Unternehmensentscheidungen einmischen würden.
[Ständige Unruhe]
- Wenn Sie etwas stiller wären, könnten Sie einige meiner
Argumente aufnehmen und sich dann später damit auseinan
dersetzen.
[Zuruf von der CDU: Wenn andere reden und Sie
dazwischenquatschen! - Weitere Zurufe]
- Ich mache Zwischenrufe, ich quatsche nicht dazwischen -
vielleicht im Gegensatz zu Ihnen. - Betrachtet man den
öffentlichen Dienst als Ganzes, so könnte man ihn vielleicht
sogar als quotiert bezeichnen, doch wenn man sich das
genauer ansieht, dann ist festzustellen, daß es im öffentlichen
Dienst ebenfalls eine geschlechtsspezifische Trennung gibt;
es gibt Frauendomänen und es gibt Männerdomänen. Da ich
annehme, daß Sie sich damit in aller Regel noch nicht so
befaßt haben, will ich noch ein paar Fakten nennen.
In der Anlage zu den Leitlinien können Sie beispielsweise
nachlesen, daß der Anteil der Frauen im mittleren Dienst in
den Bezirksverwaltungen bei 73% liegt,
[Weiterhin starke Unruhe -
Glocke des Präsidenten]
in der Hauptverwaltung nur bei 34%. Dieser hohe Anteil bei
den Bezirken liegt übrigens einzig und allein an den Lehrerin
nen. Im gehobenen und höheren Dienst der Hauptverwaltung
beträgt der Anteil der weiblichen Beschäftigten nur noch 25%
bzw. 19%. Das ist von Ihrem Senat selbst festgestellt worden.
Ein anderes Beispiel: Vor kurzem habe ich eine Kleine
Anfrage gestellt, die sich auf das Verhältnis von Lehrern und
Lehrerinnen bezog. Das war sehr interessant. Dabei kam
heraus, daß an den Grundschulen 76 bis 77% der Unterrich
tenden Frauen sind, bei den Rektoren sind es nur noch 27%.
Wenn man noch etwas höher in der Schulhierarchie geht; In
ganz Berlin haben wir nur sechs Oberstudiendirektorinnen,
das sind umgerechnet 6,2%, und nur zwei Gesamtschuldirek
torinnen, das sind 7,4%. Auch wenn man sich die Verteilung
der Fächer anschaut, ist nach wie vor eine sehr große
Ungleichgewichtigkeit festzustellen.
Ein weiteres Beispiel betrifft den Senator für Inneres, wobei
die Polizei bei diesen Zahlen ausgeklammert wurde. Hier
wurde beispielsweise festgestellt, daß im höheren Dienst -
Vergütungsgruppen II a und I - von 79 Leuten ganze acht
weiblich sind, und im gehobenen Dienst sind es immer noch
nur zwei Fünftel Frauen; im mittleren Dienst liegen die Zahlen
etwas höher. Wir haben also die typische Situation, daß in
bestimmten Bereichen Frauen als Schreibkräfte, Sachbear-
beiterinnen usw. eine gute Hälfte ausmachen, aber nicht bei
leitenden Funktionen. Wenn man sich bestimmte Sektoren des
öffentlichen Dienstes ansieht, dann können wir feststellen,
daß auch dort die Möglichkeit, zum Beispiel Frauen in
gewerblich-technischen Bereich zu beschäftigen - zu diesen
Berufen bietet der öffentliche Dienst Ausbildungsplätze an -,
nichts nutzt. Da wird zum Teil sogar mit Falschinformationen
gearbeitet, wofür ich Ihnen ein praktisches Beispiel nenne:
Meine Kollegin Luise Preisler-Holl hatte nach Frauen in
Umweltschutzberufen gefragt; dazu wurde sogar gesagt,
Wasserbauwerkerinnen dürften gar nicht ausgebildet werden.
Ich kann Ihnen sagen, wir hatten das unheimliche Glück, die
einzige Wasserbauwerkerin der ganzen Bundesrepublik war