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Volume Nr. 12, 24. Oktober 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1985, 10. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
12. Sitzung vom 24. Oktober 1985 
569 
Kern 
(A) Und, Herr Landowsky, Sie haben neulich ja beklagt - er ist lei 
der nicht hier -, daß wir etwa 5 000 Facharbeiter aus West 
deutschland holen mußten, um den Facharbeitermangel in Berlin 
zu beheben. Die Politik dieses Senats hat dazu beigetragen, daß 
nicht Jung-Facharbeiter aus Berlin, sondern westdeutsche Fach 
arbeiter diese freien Plätze besetzt haben. 
Den Sozialdemokraten geht es aber nicht nur um diese Art der 
Kritik, sondern ich hatte vorhin angekündigt, wir machen auch 
Vorschläge, und es ist die Aufgabe einer Oppositionsfraktion, 
Vorschläge zu machen. Nun hören Sie gut zu. 
Wir sind hoffentlich in dem Grundsatz einig: Jeder Ausbil 
dungsplatzbewerber muß versorgt werden, ob er nun Abiturient 
oder Hauptschüler ohne Schulabschluß ist. Ohne ein auswahl 
fähiges Platzangebot, das über den erkennbaren Bedarf hinaus- 
gehf, ist eine sinnvolle Versorgung der Bewerber nicht möglich, 
es sei denn, wir ignorieren die Berufswünsche der jungen Leute 
und sagen zu einem Elektroniker, er solle doch Bäcker oder Flei 
scher werden - und leider geschieht das in den überlasteten Be 
rufsberatungen auch noch immer viel zu häufig. 
Wir Sozialdemokraten haben die Ansicht vertreten und vertre 
ten sie weiter: Wer ohne Grund nicht ausbildet, soll zahlen. Die 
Umlagefinanzierung ist das einzige gerechte Mittel, die auszubil- 
dende Wirtschaft nicht noch für ihr Engagement zu bestrafen. 
[Krebs (CDU): Das ist doch ein alter Hut!] 
Und ich frage Sie: Sollen denn Hunderte von ausbiidungsfähi- 
gen Betrieben sich ständig an ihrer Verantwortung für die Ausbil 
dung vorbeimogeln? Ist das gerecht? Ist das trotz anhaltenden 
Ausbildungsplatzmangels auch sinnvoll, wenn rund 25% aller 
Ausbildungsplätze im Land Berlin bereits ganz oder zumindest 
zum Teil aus öffentlichen Mitteln finanziert werden? - Wir sagen 
nein, auch deshalb, weil diese öffentlichen Mittel dazu benutzt 
werden könnten, den arbeitslosen Jung-Facharbeitern und den 
vielen jugendlichen Arbeitslosen den Einstieg in das Arbeits- 
(B) leben zu ermöglichen. Wer der jungen Generation Zukunftsper- 
spekliven geben will, muß ihr nicht nur sinnvolle Ausbildungs 
plätze, sondern danach auch sinnvolle Arbeit verschaffen. Des 
halb fordern wir eine maßvolle und gerechte Umlagefinanzierung 
von der nichtausbildenden Wirtschaft zugunsten der ausbilden 
den Wirtschaft, zugunsten aber auch der vielen Mädchen, deren 
schulische Leistungen im Schnitt sehr oft weit über denen der 
Jungen liegen und die nur deshalb das Pech haben, keinen Aus 
bildungsplatz zu kriegen, weil sie dem falschen Geschlecht an 
gehören. Diesem Irrsinn einer völlig verzerrten Chancengleich 
heit muß aus unserer Sicht ein Ende gemacht werden! 
[Beifall bei der SPD] 
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Gesetzentwurf zur 
Finanzierung der beruflichen Bildung und zur Entlastung von 
Ausbildungsbetrieben in den Bundestag eingebracht. Es ist 
leider zu vermuten, daß die konservative Mehrheit dieses Gesetz 
in Bonn scheitern läßt. Wir fordern Sie deshalb auf, die Idee 
eines Ausbildungsfonds auf gesetzlicher Grundlage auch im 
Bundesrat zu unterstützen, 
[Beifall bei der SPD] 
Die Ziele eines solchen Fonds lassen sich einfach beschrei 
ben. Sie liegen erstens in der Sicherstellung eines auswahlfähi 
gen Angebots für alle Bewerberinnen und Bewerber. Sie liegen 
zweitens in der Sicherung und in der Verbesserung der Qualität 
der beruflichen Bildung. Sie liegen in der gerechten Versorgung 
von Mädchen und Frauen und von besonders benachteiligten 
Gruppen, und sie liegen beim Abbau von Verzerrungen der 
Wettbewerbsbedingungen zwischen den Betrieben durch eine 
Entlastung von Ausbildungsbetrieben. 
Vor nicht allzu langer Zeit hat ein Berliner Politiker einen 
bemerkenswerten Satz gesagt. Er lautet: 
Wer heute keinen Ausbildungsplatz anbietet, versündigt 
sich nicht nur an der jungen Generation, sondern an seiner 
eigenen Zukunft, und er kann auch nicht morgen über Fach 
arbeitermangel klagen, der dann kommen wird. 
- Das war ja wohl auch eine Kritik an der Wirtschaft dieser Stadt. (C) 
Der Politiker war übrigens der Regierende Bürgermeister Eber 
hard Diepgen, und der Text stammt aus der Regierungserklä 
rung! - Unterstützen Sie, meine Damen und Herren von der 
Regierungskoalition, den Regierenden Bürgermeister, gehen Sie 
auf unseren Vorschlag einer Umlagefinanzierung ein, dann kann 
Berlin es schaffen, die bildungspolitische und berufspolitische 
Misere relativ rasch zu überwinden! - Vielen Dank! 
[Beifall bei der SPD] 
Stellv. Präsident Longolius: Das Wort hat jetzt der Kollege 
Fabig. 
Fabig (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die 
Antwort des Senats auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion be 
friedigt zumindest im ersten Teil, in dem die Ausbildungserfolge, 
nicht zuletzt durch das Ausbildungsplatzprogramm des Berliner 
Senats, dargestellt werden. Und es ist in der Tat, Herr Kollege 
Kern, eine Leistung, die hier in Berlin vollbracht worden ist, über 
die der Senat zuerst einmal, was die Zahlen angeht, sehr stolz 
sein kann. 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Wir stehen hier in der Tat an der Spitze der Bundesländer, und 
das ist nicht wenig. 
Herr Kern, ich lasse mich mit Ihnen auch auf die Diskussion 
darüber ein, ob hier fehlausgebildet worden ist. Ich sage Ihnen: 
Nein, hier ist nicht fehlausgebildet worden. Als nämlich dieser 
neue Senat angetreten ist, hatte er die hohen Zahlen junger 
Leute zu bewältigen, die auf den Ausbildungsmarkt drängten, die 
aus den Schulen kamen, 
[Kern (SPD): Seit 1974, Herr Fabig!] 
und er hatte folgendes Phänomen zu bewältigen, Herr Kern, daß 
nämlich bis 1980 nur etwa 60 % der jugendlichen Schulabgän 
ger einen Ausbildungsplatz nachgefragt haben und das seit 0®) 
1981 auf 85%, heute fast 90%, angestiegen ist. Also, es war 
damals ein dringender Handlungsbedarf gegeben, und ich sage 
Ihnen: Die Philosophie die da lautet: Lieber ausbilden als nicht 
ausbilden, - ist zunächst mal richtig, wenn es darum geht, Quan 
titäten zu bewegen und zu versorgen. Da ist sie erst mal richtig, 
aber was nicht richtig ist, das ist die Resignation vor der Frage, in 
welche Richtung man ausbilden soll. Da, Herr Kern, gebe ich 
Ihnen recht. Nur, sie war zu dem Zeitpunkt, als Handlungsbedarf 
vorhanden war, nicht zu beantworten. Das ist meine Meinung, 
und sie ist auch richtig, denn wir wissen - alle Statistiken sagen 
es: Ohne Ausbildung ist die Chance auf dem Arbeitsmarkt 
gegen Null, aber sie ist wesentlich höher mit einer Ausbildung. 
[Kern (SPD): Was machen Sie denn nun mit 
500 Friseuren, Herr Fabig?] 
- Ach, die berühmten 500 Friseure, Herr Kern; ich bestreite ja 
gar nicht, daß Menschen nicht marktgerecht ausgebildet worden 
sind, aber sie haben zunächst einmal eine Ausbildung, und diese 
Philosophie, Herr Kern - ich sage es noch einmal ist richtig. 
Dieser Friseur wird sicher mit einer kleinen Anstrengung weiter- 
qualifiziert werden können, denn es ist leichter, mit einem Ausge 
bildeten ein Qualifizierungsprogramm zu bestreiten als mit einem 
Nichtausgebildeten. Wir wollen uns hier nicht über die Frage 
unterhalten: Wie qualifiziert man Friseure weiter? 
(Wagner, Horst (SPD): Das hätten wir jetzt aber gern 
von Ihnen gewußt, Herr Fabig!] 
- Ach, Herr Wagner, das wissen Sie doch ganz genau, daß das 
nur eine Scherzfrage ist! 
Jetzt sage ich aber einmal ganz genau, wo ich mit der Antwort 
des Senats auf die Große Anfrage nicht zufrieden bin, nämlich - 
Herr Kern, jetzt bewegen wir uns sozusagen aufeinander zu - mit 
Aussagen wie dieser hier: „Es läßt sich nicht Vorhersagen, für 
welche Ausbildungsberufe Beschäftigungschancen besonderer 
Art bestehen werden. Und wer das Gegenteil behauptet, gerät 
schnell in die Nähe der Kaffeesatzprognose.“ Ich bin mit dieser 
Aussage überhaupt nicht einverstanden; ich bin deshalb über-
	        
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