Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
12. Sitzung vom 24. Oktober 1985
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SenDir Hasinger
(A) Senators für Schulwesen, Jugend und Sport vom 28. Juli 1983
bestätigt worden ist.
Da der Senat die Gesundheitsvorsorge für seine Mitbürger
ernst nimmt, ist es selbstverständlich, daß die Maßnahmen über
prüft werden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlie
gen.
Den neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu
diskutieren, diente eine vom Senat Anfang des letzten Jahres in
Berlin durchgeführte internationale Expertentagung. Diese
erbrachte unter anderem das wissenschaftlich gesicherte
Ergebnis, daß die richtig dosierte Verabreichung von Fluorid-
Tabletten gesundheitlich unbedenklich ist. Neuere wissenschaft
liche Erkenntnisse sind dem Senat nicht bekannt.
Bekannt sind dem Senat dagegen gerade in letzter Zeit in der
Öffentlichkeit erhobene Behauptungen über eine gesundheit
liche Gefährdung durch Fluorid-Tabletten. Diese Behauptungen
erachtet der Senat für wissenschaftlich nicht abgesichert und
hält daher an seinem Programm der Karies-Prophylaxe fest.
Bei richtiger Dosierung der Fluorid-Tabletten sind nach Anga
ben insbesondere des Bundesgesundheitsamtes - basierend
auf internationalen wissenschaftlichen Erkenntnissen - uner
wünschte oder gar schädliche Langzeitwirkungen nicht zu
befürchten. Der Schwerpunkt bei der Information der Eltern liegt
daher bei dem Hinweis auf die richtige Dosierung.
Präsident Rebsch: Zur ersten Zusatzfrage, bitte sehr, der
Fragesteller.
Dr. Tolksdorf (F.D.P.): Herr Hasinger, sind Ihnen die Informa
tionsblätter bekannt, die der Senator an die Eltern weitergibt?
Ich habe mal eines mitgebracht. Ist Ihnen bekannt, daß diese
Informationsblätter von einer Privatfirma herausgegeben werden,
so daß vielleicht doch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist,
(B) daß die Betonung auf die Einnahme der Fluorid-Tabletten auch
im ökonomischen Interesse des Unternehmens liegt, das auch
diese Merkblätter den Eltern zur Verfügung stellt?
Präsident Rebsch: Zur Beantwortung - Herr Hasinger!
Hasinger, Senatsdirektor in der Senatsverwaltung für Ge
sundheit und Soziales: Herr Abgeordneter, das offizielle Material
des Senats in diesem Punkt ist ein Blatt, das die Überschrift trägt
„Karies-Prophylaxe mit Fluorid-Tabletten“. Dort wird objektiv der
Nutzen dieser Tabletten, aber auch der anderen Maßnahmen, die
ich vorhin erwähnt habe, dargestellt, und es wird eine objektiv
formulierte Einverständniserklärung den Eltern an die Hand
gegeben.
Präsident Rebsch: Bitte sehr, Herr Dr. Tolksdorf!
Dr. Tolksdorf (F.D.P.): Herr Hasinger, sind Sie nicht genauso
wie ich irritiert, wenn in diesen Handblättern den Eltern buch
stäblich gleichrangig mitgeteilt wird, daß die regelmäßige Ein
nahme von Tabletten für die Gesundheit ihrer Kinder unabding
bar ist? - Ich stelle diese Frage deshalb, weil ich das für eine Art
Konditionierung schon sehr kleiner Kinder an regelmäßige
Tabletteneinnahmen ansehe mit der Assoziation, daß nur durch
regelmäßiges Schlucken von Tabletten Gesundheit gewährlei
stet werden kann.
Präsident Rebsch; Herr Senatsdirektor!
Hasinger, Senatsdirektor in der Senatsverwaltung für Ge
sundheit und Soziales: Herr Abgeordneter, ich bin mit Ihnen der
Auffassung, daß derartiges Informationsmaterial, das offenbar
von der entsprechenden Industrie herausgegeben wird, nicht
offiziell in den Kindertagesstätten verteilt werden sollte. Wir
werden uns darum bemühen, daß dies unterbleibt. Die Informa
tion der Eltern sollte allein durch dieses Blatt des Senators für
Gesundheit und Soziales, das ich eben gerade erwähnt habe, (C)
erfolgen.
Präsident Rebsch: Nächste Zusatzfrage - der Abgeordnete
Schicks.
Schicks (CDU): Herr Senatsdireklor Hasinger, ist es richtig,
daß die Zahnärztekammer Berlin und die Kassenzahnärztliche
Vereinigung Berlin diese Karies-Prophylaxe mit Fluorid-Tabletten
ganz nachdrücklich unterstützen und dies ja wohl nicht im
eigentlichen wirtschaftlichen Interesse sein kann? Oder gibt es
da in der Zwischenzeit aufgrund irgendwelcher - für mich frag
licher - wissenschaftlicher Erkenntnisse eine neue Einschätzung
durch diese beiden Institutionen?
Präsident Rebsch: Bitte sehr, Herr Hasinger!
Hasinger, Senatsdirektor in der Senatsverwaltung für Ge
sundheit und Soziales: Herr Abgeordneter Schicks, es trifft in
der Tat zu, daß sowohl die Zahnärztekammer Berlin als auch die
Kassenzahnärztliche Vereinigung mit Nachdruck die Abgabe
dieser Fluorid-Tabletten und deren Einnahme durch die Kinder
unterstützen. Diese Institutionen befinden sich dabei in Überein
stimmung mit dem Bundesgesundheitsamt, das am 8. Oktober
1985 aufgrund der Publikationen, die ich vorhin erwähnt habe,
folgendes noch einmal klarstellte:
Fluoridhaltige Arzneimittel sind bei bestimmungsmäßigem
Gebrauch, insbesondere bei Einhaltung der Dosierungsvor
schriften, zur Vorsorge gegen Zahnkaries unverändert wirk
sam und unbedenklich.
Das Bundesgesundheitsamt tritt damit dem Eindruck entge
gen, den eine Fernsehsendung vom 1. Oktober 1985 offen
bar hinterlassen hat. Anlaß für den Hinweis des Bundes
gesundheitsamtes sind Mitteilungen von Kinderärzten,
Zahnärzten und Gesundheitsämtern verschiedener Bun
desländer, daß die jüngste Berichterstattung bei vielen
Eltern Zweifel an fluoridhaltigen Arzneimitteln hat aufkom-
men lassen.
Nun fährt das Bundesgesundheitsamt fort:
Diese Zweifel sind wissenschaftlich nicht begründet und
unberechtigt.
Präsident Rebsch: Nächste Zusatzfrage - der Abgeordnete
Tiedt.
Tiedt (F.D.P.): Herr Senatsdirektor, können Sie sich der Auf
fassung anschließen, daß eine mit gleicher Intensität betriebene
Aufklärung der Elfern über eine gesunde Ernährung von Kindern,
womöglich an derselben Stelle, wo Sie auch über die Wirksam
keit von Fluorid-Tabletten informieren, mindestens genauso wirk
sam und auf Dauer der Gesundheit der Kinder und der Bevölke
rung zuträglicher sein kann als das reine Abstellen auf eine
Symptom-Therapie durch Fluorid-Tabletten?
Präsident Rebsch: Herr Senatsdirektor!
Hasinger, Senatsdirektor in der Senatsverwaltung für Ge
sundheit und Soziales: Herr Abgeordneter, man sollte das eine
tun und das andere nicht lassen! Genau das ist ja die Linie, die
unser Zahnärztlicher Dienst verfolgt.
Ich habe eingangs schon darauf hingewiesen, daß wir eine
vierfache Strategie betreiben, nämlich - erstens - morgens und
abends Zähneputzen, am besten jedoch nach jeder Mahlzeit,
zweitens, harte, faserige und frische Nahrung wie Frischobst,
Frischgemüse und Vollkornbrot bevorzugen, wenig Süßes
essen, drittens, den Zähnen Fluorid zuführen, zum Beispiel durch
Fluorid-Zahnpasta, Fluorid-Gelee und Fluorid-Tabletten, und
- viertens schließlich - zweimal im Jahr zum Zahnarzt gehen.