Path:
Volume Nr. 11, 17. Oktober 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1985, 10. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
11. Sitzung vom 17. Oktober 1985 
536 
Behrendt 
(A) Im Rahmen des Artenschutzprogramms sind Maßnahmen zur 
Erhaltung und zur Pflege wildwachsender Pflanzen und wild 
lebender Tiere zu treffen. Die Dringlichkeit solcher Maßnahmen 
liegt darin begründet, daß in der Vergangenheit der Lebensraum 
der Tier- und Pflanzenwelt in Berlin über ein erträgliches Maß hin 
aus eingeschränkt worden ist. Bereits 116 Farn- und Blüten 
pflanzenarten sind in dieser Stadt ausgestorben. Weitere 482 
Arten sind gefährdet. Es besteht die Gefahr, daß sie ebenfalls 
aussterben, falls keine wirksamen Gegenmaßnahmen getroffen 
werden. Damit stehen bereits 48 % aller bei uns wildwachsen 
den Pflanzenarten auf der „Roten Liste der gefährdeten Pflanzen 
und Tiere in Berlin“. Noch bedrohlicher als bei den Pflanzen sieht 
es bei den Tieren aus. Von den Berliner Säugetierarten sind fast 
50 % ausgestorben oder gefährdet, die Brutvögel sind zu über 
50% betroffen. Alles das, Herr Senator, ist Ihnen bekannt, dies 
alles haben Sie zum Teil selbst dokumentiert, nur, Sie haben 
nichts getan, um dem wirksam entgegenzuwirken. 
Ursache für diese Erscheinung sind die zahlreichen Umweltbela 
stungen, die durch Industrie, Gewerbe, Verkehr, Schadstoff 
emissionen bedingt sind. Vor allem aber die Zerstörung der na 
türlichen Lebensräume durch Überbauung und Zersiedlung des 
Bodens hat schlimme Folgen. Das Artenschutzprogramm ist Teil 
des Landschaftsprogramms, für das der Senat verantwortlich ist. 
Wie lange noch, Herr Senator, wollen Sie dieser Entwicklung ta 
tenlos Zusehen? Sind Sie sich der Konsequenz bewußt, die 
diese Symptome für die Ökosysteme und damit letztendlich 
auch für die Menschen in dieser Stadt haben werden? - Weit 
gehend zerstört - und darauf haben wir letztens im zuständigen 
Ausschuß hingewiesen - ist auch der Lebensraum am Wasser. 
An der Havel sind die Tauchblattpflanzengürtel vollständig ver 
nichtet; die breiten Röhrichtstreifen sind stark dezimiert. Das 
Röhrichtschutzprogramm hat sich bisher nicht als sonderlich 
wirksam erwiesen. Die Auwälder sind nur noch als Relikte vor 
handen. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten sind an diesen 
Lebensraum gebunden, etliche sind mit seiner Zerstörung 
[B v bereits ausgestorben, viele in höchstem Maße gefährdet. 
Keinesfalls besser, sondern eher noch schlimmer ist die Situa 
tion bei den Gräben, Fließen und Seen. Die rein ingenieurmäßige 
Befestigung und Gestaltung der Uferbereiche sowie der über 
mäßige Ansturm der Erholungsuchenden bewirken, daß die 
Uferzonen nur noch spärlich bewachsen sind und die einstmals 
reichhaltige Tierwelt stark dezimiert ist. Hinzu kommt, daß mit der 
Zerstörung der Uferzonen nicht nur wertvolle Lebensräume ver 
schwinden, sondern auch der Erholungswert der Landschaft, 
der für einen Großstädter besonders wichtig ist, verringert wird. 
Ich erinnere an den Bereich Tiefwerder. Herr Senator, Sie sind 
persönlich dort gewesen. Was bisher an Maßnahmen erfolgt ist, 
ist mehr als unzulänglich. Dort muß doch endlich etwas getan 
werden, das müssen doch auch Sie sehen, nachdem Sie sich 
vor Ort von den wirklich tiefgreifenden Schäden überzeugt 
haben. 
Pfuhle und Gräben sind heute vielfach zugeschüttet, verrohrt, 
kanalisiert, ausgetrocknet. Von den ursprünglich etwa 150 Pfuh 
len in Berlin sind bereits 90% verschwunden. 
Auch die landwirtschaftlich genutzten Flächen haben in den 
letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen. Noch im Jahre 1951 
wurden 4 069 Hektar als Äcker, Wiesen und Weiden bewirt 
schaftet, heute sind es nur noch 1 060. Außer in Lübars gibt es 
zusammenhängende Feld- und Wiesenlandschaften nur noch in 
Spandau - wie könnte es anders sein? -, nämlich am Rande 
des Spandauer Stadtforstes und in Gatow. 
Der Senat hat zu dieser Problematik viel gedrucktes Papier 
produziert. Der Ist-Zustand ist zweifellos recht gut beschrieben, 
aber eine Bestandsbeschreibung reicht nicht aus. Der Umwelt 
senator muß endlich Farbe bekennen, wann und mit welchen 
Mitteln er die aus dem Naturschutzgesetz resultierenden Ver 
pflichtungen erfüllen will, wenn er nicht als „Unweltsenator“ in 
die Annalen des Umweltschutzes eingehen will. Die Land 
schaftsplanung ist dabei ein besonders sensibler Gradmesser 
für die fachliche wie auch politische Ernsthaftigkeit, mit der die 
Aufgaben des neu gestalteten Naturschutzgesetzes wahrge 
nommen werden. Die Fortschritte auf diesem Gebiet können 
daher eine Meßlatte abgeben für die Fragen, inwieweit der (C) 
Umweltsenator sich seiner Aufgabe gewachsen zeigt. 
Die Nichteinhaltung des für das Landschaftsprogramm gege 
benen Termins, der überfällig ist, die Tatsache, daß die Land 
schaftsplanverfahren aufgrund unzulänglicher Arbeitsbedingun 
gen in den Bezirken nicht über eine Anfangsphase hinausgekom 
men sind - bisher haben wir gerade die vorgezogene Bürgerbe 
teiligung und zum Teil das Einvernehmen hergestellt; die Träger 
öffentlicher Belange sind meines Wissens erst in einem einzigen 
Fall beteiligt worden -, machen deutlich, daß der Umwellsenator 
offenbar nicht die nötige Durchsetzungskraft gezeigt hat und 
schwere Versäumnisse zu verantworten hat. 
[Beifall bei der SPD] 
Herr Senator, man hat den Eindruck, daß Sie sich wirklich im 
Senat nicht durchsetzen können und von einer Niederlage zur 
anderen stolpern, wenn ich wieder sehe, wie das mit der Havel 
chaussee gelaufen ist, wo Sie erst vollmundig Erklärungen abge 
geben haben 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
und wo Sie nun wieder offenbar einer Minimallösung zugestimmt 
haben. Und Sie setzen im Grunde allem die Krone auf, wenn man 
heute in der Presse lesen kann, daß eine von allen Senatsverwal 
tungen getragene Kommission offenbar auch einen zwei Kilo- \ 
meter langen Kanal mitten in die Spandauer Rieselfelder bauen 
will, um da eine Regattastrecke zu bauen. Gut, Sie haben ja Ge 
legenheit, dazu Stellung zu nehmen, aber allein daß die Presse 
annimmf, daß Sie dazu Ihr Plazet geben, ist skandalös genug. 
Bisher existieren in den Bezirken nicht einmal die notwendigen 
Voraussetzungen, um die bisher eingeleiteten 32 Landschafts 
planverfahren ordnungsgemäß und zügig abzuschließen. In an 
deren Bereichen entstehen irreparable Schäden, weil weitere 
Verfahren, die dringend notwendig sind, nicht eingeleitet werden 
können. Die Bereichsentwicklungsplanung entgleitet immer 
mehr der einflußnehmenden Mitwirkung der Bezirke und entzieht (0) 
sich fast völlig dem Einblick der Öffentlichkeit und des Parla 
ments. Die für das Artenschutzprogramm zur Verfügung stehen 
den Haushaltsmittel lassen eine wissenschaftlich befriedigende 
Durchführung der notwendigen grundlegenden Untersuchungen 
nicht zu. Herr Senator, nun mögen Sie sagen, das ist alles unaus 
weichlich, weil Sie hier mit den Tücken der schwierigen Materie 
kämpfen, doch vorhin ist schon darauf hingewiesen worden - im 
Zusammenhang mit der Debatte über den Denkmalschutz -, daß 
es in anderen Städten auch anders geht. Ich will Ihnen einmal ein 
Beispiel verhalten, nämlich das Beispiel Hamburg, wo innerhalb 
der Hälfte der Zeit 63 Verfahren sehr viel weiter vorangetrieben 
worden sind als hier. Vielleicht ist es kein Zufall, daß in Hamburg 
Sozialdemokraten die Verantwortung tragen. 
[Beifall des Abg. Pätzold (SPD)] 
Wenn der Senat nicht unverzüglich handelt, wird der Schaden, 
der schon entstanden ist und weiterhin entsteht, nicht mehr zu 
beheben sein. Deshalb fordern wir unverzüglich, daß folgende 
Maßnahmen ergriffen werden: Rechtzeitig für den Haushalt 
1986 - und nicht erst in ferner Zukunft - müssen die Sach- und 
Personalmittel den Bedürfnissen der wichtigen Aufgaben der 
Landschaftsplanung angepaßt werden. Das ist etwas, was fest 
zugesagt worden ist, und zwar schon zu einem sehr viel früheren 
Zeitraum. Ich möchte das dem Innensenator mit allem Nach 
druck ans Herz legen, was die Personalmittel anbetrifft. Organi 
satorische und personelle Entscheidungen müssen sicherstel 
len, daß die Zusammenarbeit zwischen Bezirken und Hauptver 
waltung optimiert wird. Die Bezirke sind in die Lage zu versetzen, 
dort, wo dringend nötig, weitere Grünordnungspläne bzw. Land 
schaftsplanverfahren einzuleiten. Sie müssen doch einmal einen 
Anstoß geben und sich nicht immer bloß drängen lassen und 
dann die Bezirke über Monate und Jahre hinhalten! Die finanziel 
len Voraussetzungen zu einer auch wissenschaftlichen Kriterien 
genügenden Durchführung des Artenschutzprogramms sind zu 
gewährleisten. Schließlich sind bei der Bereichsentwicklungs 
planung eine ausreichende Mitwirkung der Bezirke durch Schaf 
fung personeller Voraussetzungen sowie wirkungsvolle Kontrolle 
des Parlaments zu gewährleisten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.