Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
10. Sitzung vom 26. September 1985
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Dr. RUter
(A) mengefaßt hat. Die Verfassung ist leider nicht so konturiert und
so systematisch wie andere Landesverfassungen und das
Grundgesetz. Wir legen allerdings auch keinen so großen Werl
darauf, daß die eindeutige Zuordnung nun beim Artikel 21 a
statffinden soll; sie kann auch ein Artikel 24 o.ä. werden.
Tut mir leid, daß eine solche Diskussion ein wenig trocken
gerät, aber die verfassungsmäßigen Grundlagen und Hinter
gründe mußten hier auch einmal geschildert werden; das ist ein
bißchen zu kurz gekommen in der Debatte am 27. Juni.
Lassen Sie mich schließen: Es steht außer Frage, wir brau
chen aktiveres, konkreteres Handeln im Umweltschutz, wir brau
chen aber auch seine Verankerung in der Verfassung. Beides
sind zwei Seiten einer Medaille. Und wir brauchen diese Verfas
sungsänderung im Lande Berlin um so eher, gerade auch was
diesen Bereich angeht, als die Politik in Bonn immer konfuser
und kurzatmiger wird und wir auf längerfristige Konzepte, bei
spielsweise in Gestalt einer Grundgesetzänderung, noch lange,
lange Zeit warten müssen.
[Beifall bei der SPD]
Wir erwarten, daß - anders als in der letzten Legislaturperiode
- unser Anstoß zur Aufnahme des Umweltschutzes in die Verfas
sung bei den anderen Parteien eine Änderung des Bewußtseins
bewirkt, wir uns zusammensetzen und in kürzester Frist diesen
Auftrag erfüllen können. - Vielen Dank!
Stellv. Präsident Longolius; Dann darf ich die Beratung
eröffnen und dem Kollegen Tiedt das Wort geben.
Tiedt (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
F.D.P. begrüßt den Tenor und die Zielrichtung dieses Antrages.
Das wird denen, die etwas rückwärts schauen, auch gar nicht
so überraschend Vorkommen: Erstens hat sich die F.D.P. mit
(B) diesen Dingen, wie Sie alle wissen, schon sehr frühzeitig be
schäftigt und zweitens hat es schon in der vergangenen Wahl
periode einen gemeinsamen Antrag mit der CDU gegeben, der
sich zum Ziel setzte, einmal das, was ja von Herrn Dr. Rüter
schon im Detail vorgetragen worden ist, in die Berliner Verfas
sung aufzunehmen, zweitens auch eine Bundesratsinitiative zu
einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes anzu-
stoßen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Daß auch wir aus unserer Sicht die Staatszielbestimmung
sehr stark in den Vordergrund stellen, wird dazu führen, daß wir
in der Ausschußberatung später noch einige Änderungs- und Er
gänzungsanträge stellen werden. Aber darauf brauche ich jetzt
im einzelnen nicht einzugehen.
Tatsache ist allerdings - damit muß man leider rechnen, jeden
falls muß man die Gefahr sehen -, daß allein die Aufnahme in
eine Verfassung ja eben nicht schon garantiert, daß dann alles
auch schon so prima laufen wird. Verfassungswirklichkeif und
Verfassungstext sind ja da gelegentlich abweichend, denken Sie
an die Gleichberechtigung von Mann und Frau und eine ganze
Reihe anderer Beispiele. Wir meinen aber dennoch, daß es
wichtig ist, eine solche Bestimmung in die Berliner Verfassung
aufzunehmen, wenn es schon nicht möglich ist, in kurzer Zeit -
davon wird man ausgehen müssen - das Grundgesetz in der
entsprechenden Richtung zu ändern. Wir meinen, daß damit
auch ein politisches Zeichen gesetzt wird, nicht nur um dem Bür
ger zu zeigen, daß wir es ernst meinen mit dem Umweltschutz,
sondern auch weil sich hier eine Veränderung im Verständnis
des Verhältnisses von Staat, Bürger und Umwelt niederschlägt;
es gibt also vernünftige und richtige Gründe dafür, die Verfas
sung unseres Landes auch entsprechend zu verändern.
Wir haben in Berlin - auch wenn die Kolleginnen und Kollegen
von der AL das nicht gerne hören - eine ganze Menge Fortschrit
te gemacht im Bereich des Umweltschutzes. Wann immer die
Aufnahme dieses Artikels in die Verfassung stattfinden wird, so
wird uns auch ein späterer Zeitpunkt nicht davon abhalten,
schon jetzt weiter intensiv in dieser Richtung zu arbeiten mit dem ((
Erfolg, den wir bisher schon gehabt haben. - Vielen Dank!
[Beifall bei der F.D.P.]
Stellv. Präsident Longolius: Das Wort hat jetzt die Kollegin
Preisler-Holl.
Frau Preisler-Holl (AL): Herr Präsident und fast leeres
Haus! Die Initiative der SPD, in die Berliner Verfassung ein
Staatsziel zum Umweltschutz einzufügen, wird von uns begrüßt.
Mittlerweile haben alle Parteien begriffen, daß sie die öffentliche
Umweltdiskussion aufgreifen müssen, wenn sie politisch glaub
würdig bleiben wollen. Über das Wie sind wir von der AL aller
dings anderer Meinung. Wir sind die einzigen in dieser Stadt, die
die Skandale um Neuling und „Sonnenschein“, die nur Ausfluß
einer wachstumsfreudigen Wirtschaftspolitik waren, systema
tisch aufgegriffen und angeprangert haben.
[Beifall bei der AL]
Wir sind fast die einzige politische Kraft in dieser Stadt, die die
überholten und gigantischen Großprojekte, wie die Autobahn
durch den Tegeler Forst, die verlängerte Westtangente, den
Süd-Güterbahnhof, von Anfang an bekämpfen und bekämpft
haben. Die Abgeordneten aller Parteien kennen zwar inzwischen
die einschlägigen Umweltbegriffe der Umweltmedien Boden,
Wasser, Luft, Pflanzen und Tierwelt, sie benutzen sie nur wiede
rum für falsche Inhalte. Bei den Diskussionen um die Buga wurde
der ökologische Wert der künstlich geschaffenen Landschaft für
Pflanzen und Tiere und die Spontanvegetation besonders be
tont. Daß dieser Wert in Teilen der landwirtschaftlich und klein
gärtnerisch geprägten Kulturlandschaft vorher allerdings höher
war, wird dabei unterschlagen. Die F.D.P. benutzt Naturschutzar-
gumenfe, um sich für einen flächenfressenden Golfplatz in Berlin
einzusetzen; die CDU/F.D.P.-Koalition will den Großen Tiergar
ten durch eine historisch äußerst fragwürdige Gartendenkmal
pflege in seinem Rlanzenartenbestand reduzieren. Die Abwä- (E
gung zugunsten der Denkmalpflege im Großen Tiergarten wird
dabei einseitig vorgenommen. Alles, was dem ästhetischen Be
dürfnis einer Architektenschickeria entspricht und einigen Fir
men die Aufträge sichert, ist Grund genug, ohne Beachtung der
Wirkungszusammenhänge den klimatisch wichtigen Ausgleichs
raum in der Berliner Mitte zu zerstören und zu verlärmen.
[Beifall bei der AL]
Wir meinen, daß der Umwelschutz nicht nur als Staatsziel in
die Verfassung des Landes Berlin aufgenommen werden sollte,
sondern daß stärker die bestehenden Gesetze, Verordnungen
und Richtlinien auf ihre Umweltauswirkungen hin untersucht und
geändert werden sollten.
[Beifall bei der AL]
Warum sind Parkplätze und Gaststätten Wald im Sinne des
Landeswaldgesetzes? Warum können die Tiefbauämter und die
Verkehrsplaner ohne Beteiligung der Bürger ihre Ordnungsvor
stellungen zur Straßenversiegelung ausleben? Warum werden
die Naturschutzverbände nur unzureichend beteiligt? Es stellen
sich Fragen über Fragen, die es wert wären, einmal aufgearbeitet
zu werden. In den zuständigen Ausschüssen werden wir den vor
liegenden Antrag so diskutieren, daß sich die subjektive Rechts
stellung des Bürgers in Umweltfragen verbessert. Wir hoffen,
daß die SPD und die anderen hier im Hause vertretenen Parteien
nicht nur bei diesem Antrag stehenbleiben, sondern daran mitar-
beiten, eine Rechtsbereinigung zugunsten des Umweltschutzes
zu erreichen.
[Beifall bei der AL]
Stellv. Präsident Longolius; Der Kollege Heide ist der
nächste Redner.
Heide (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mich an dieser Stelle nicht in die verästelten Diskus
sionspunkte der verfassungsrechtlichen Diskussion begeben,