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Volume Nr. 1, 18. April 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1985, 10. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
1. Sitzung vom 18. April 1985 
5 
Frau Künast 
Wir haben auch nicht vor, hier nachts in schlaftrunkenem oder 
sogar betrunkenem Zustand Parlament zu spielen und Tages 
ordnungspunkte durchzuziehen. Wir fordern an dieser Stelle, 
daß in Zukunft - so ernst nehmen wir den Parlamentarismus - 
solche Sitzungen zu zivilen Zeiten ablaufen und daß Sonderter 
mine freigehalten werden, auf die keine Ausschußtermine 
gesetzt werden, so daß man, wenn man behauptet, ein Parla 
ment zu sein, die zu behandelnden Themen auch ernsthaft be 
handeln kann. 
[Beifall bei der AL] 
Zum Schluß: Auf die Arbeitsbedingungen der Verwaltung will 
ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen, das hat auch 
etwas mit der Länge der Sitzungen zu tun. Das gehört wohl eher 
in den Redebeitrag des unglückseligen Herrn Rebsch. Der Än 
derungsantrag zu Immunitäfsangelegenheiten kann von uns 
nicht akzeptiert werden; er liegt uns erst jetzt vor und ist uns vor 
her nicht zur Kenntnis gegeben worden. 
[Beifall bei der AL] 
Alterspräsident Poritz: Weitere Wortmeldungen sehe ich 
nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen nun 
mehr ab, ob die Geschäftsordnung der 9. Wahlperiode ein 
schließlich der Anlagen 1 bis 4 unter Berücksichtigung der von 
mir vorgeschlagenen Änderung als vorläufige Geschäftsord 
nung weiter gelten soll. Wer dem zustimmen will, den bitte ich 
um das Handzeichen. - Danke! Die Gegenprobe! - Stimment 
haltungen? - Bei Gegenstimmen der AL ist diese Geschäfts 
ordnung angenommen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat 
möchte ich bitten, die Überarbeitung der Geschäftsordnung 
möglichst schnell vorzunehmen. Änderungsanträge liegen 
bereits vor. 
[Momper (SPD): Richtig!] 
Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zu 
Punkt 3 der Tagesordnung: 
Wahl des Präsidenten 
Die stärkste Fraktion - das ist die Fiaktion der CDU - ist vor 
schlagsberechtigt. Sie schlägt vor, Herrn Abgeordneten Peter 
Rebsch zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses der 
10.Wahlperiode zu wählen. Weitere Vorschläge liegen nicht 
vor. Gibt es hierzu Wortmeldungen? - Bitte sehr! 
Ich möchte anregen, die Redezeit auf bis zu zehn Minuten 
festzulegen; wenn sich kein Widerspruch ergibt, werden wir so 
verfahren. 
Lohauß (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 
Nach dem Brauch des Hauses schlägt die stärkste Fraktion den 
Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten vor. Sie hat 
damit aber auch eine Verantwortung dafür, daß tatsächlich ein 
Präsident gewählt wird, der Präsident des ganzen Hauses sein 
kann. Aus der Gewaltenteilung folgt, daß es einen notwendigen 
Konflikt zwischen dem Parlament und der Regierung gibt, und 
daraus folgt, daß diese Kontroverse im Abgeordnetenhaus aus 
getragen wird. Allein die Geschäftsordnung sieht deshalb 
schon vor, daß der Präsident des Abgeordnetenhauses in 
seiner Verhandlungsführung unparteiisch und gerecht zu sein 
hat. Sie verlangt also von ihm ein hohes Maß an politischer 
Kultur. 
Wir von der AL wünschten uns darüber hinaus eine Präsiden 
tin, die in der Lage ist, zu verstehen, daß in diesem Land, das 
von einer übermächtigen Bürokratie und von finanzstarken In 
teressengruppen beherrscht wird, die Bürgerrechte zu oft zu 
kurz kommen. 
[Zuruf: Was?] 
Wir wünschen uns deshalb eine Präsidentin, die sich für die (C) 
Dezentralisierung politischer Macht, für die Selbstbestimmung 
der Bürger und für direkte Demokratie einsetzt. Wir könnten uns 
sogar vorstellen, daß es ein Fortschritt in der demokratischen 
Kultur wäre, wenn die Parlamentspräsidentin dieser Stadt als 
eine unabhängige und aufrechte Verfechterin von Bürgerinter 
essen bekannt wäre. Die Entfremdung zwischen der etablierten 
Politik und den Alltagsanliegen der Bürger könnte ein wenig 
überwunden werden, wenn es hier eine Änderung in der poli 
tischen Kultur gäbe, durch die endlich die Betroffenen selber 
mehr zu Wort und mehr zu Entscheidungen kommen würden. 
[Beifall bei der AL] 
Aber auch das Parlament kann etwas dazu beitragen. Dazu 
wäre mindestens die Voraussetzung, daß sich die Parlaments 
mehrheit nicht teils als hilfloser, teils als abhängiger Arm von 
Regierung und Verwaltung verstehen würde. Dazu wäre auch 
wichtig, daß die Opposition nicht schläft bis zu dem Tag, wo sie 
mal wieder selber die Regierungsfraktion stellen kann. Dazu 
wäre auch notwendig, daß der Parlamentspräsident etwas für 
die Würde dieses Hauses tut, die nach unserer Meinung einzig 
und allein darin liegt, wie entschieden die Bewahrung und der 
Ausbau der demokratischen Rechte der Bürger vertreten wer 
den. 
Der Personalvorschlag der CDU ist mehr als peinlich. 
[Beifall bei der AL] 
Der Kandidat hat nur mit Mühe eine Mehrheit in der eigenen 
Fraktion gewonnen. Jeder weiß, daß Herr Rebsch als Präsident 
eines Schützenvereins geeignet ist, aber jeder weiß auch, daß 
er nicht geeignet ist, Präsident des Abgeordnetenhauses zu 
sein. 
[Teilweiser Beifall bei der AL] 
Schon zu Beginn unserer Mandatszeit mußte unsere Fraktion 
erleben, wie Herr Rebsch selbstherrlich und autoritär unser 
Recht auf Einberufung des Ältestenrats beschnitten hat. Unmit- (D) 
telbar darauf verurteilte er in einer Pressemitteilung in aller 
Schärfe - wie er sagte - die Vorschläge meiner Fraktion und 
besaß auch noch die Unverfrorenheit, unsere Auffassung zur 
Gestaltung des Gedenkens an den Faschismus, an den Krieg 
und an die Bewältigung der Vergangenheit als außerhalb des 
Konsenses der demokratischen Parteien zu bezeichnen. Dieser 
Art ist die „unparteiische und gerechte Amtsführung“ dieses 
Präsidenten gewesen, der bei seiner letzten Wahl in dieses Amt 
auch noch vollmundig behauptete, er sei ein Präsident des gan 
zen Hauses, auch derjenigen, die ihn damals nicht gewählt 
haben. 
Aber noch ein anderer Aspekt ist zu berücksichtigen: Der 
Präsident ist der Arbeitgeber der Beschäftigten in diesem Haus. 
Herr Rebsch hat leider bewiesen, daß er in dieser Funktion 
nicht in der Lage ist, die Interessen der Mitarbeiter zu achten, 
die Zusammenarbeit zu erleichtern und für ein gutes Betriebs 
klima im Haus zu sorgen. 
Aus allen diesen Gründen können wir Herrn Rebsch nicht 
wählen. Wir haben geheime Wahl beantragt, um allen Abgeord 
neten die Möglichkeit einer eigenen Entscheidung zu geben, 
sofern sie dazu in der Lage sind. Sie können ein Zeichen 
setzen, daß sie wenigstens die parlamentarischen Umgangsfor 
men wahren wollen, daß Sie wenigstens noch eine Vorstellung 
von Fairneß in diesem Hause haben, daß Ihnen die Unparteilich 
keit des Präsidenten noch etwas bedeutet und daß Sie sich 
nicht an der Ausgrenzung derer beteiligen wollen, die die 
berechtigten Interessen von vielen vertreten, die keine großen 
Lobbys hinter sich haben. - Ich danke Ihnen. 
[Beifall bei der AL] 
Alterspräsident Poritz: Weitere Wortmeldungen - sehe 
ich nicht. Von der Fraktion der AL ist die Wahl mit verdeckten 
Stimmzetteln beantragt worden. Wird dieser Antrag aufrecht- 
erhalten? 
[Zuruf von der AL: Ja!]
	        
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