Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
5. Sitzung vom 13.iuni 1985
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Schicks
(A) Insofern muß ich doch — stimmen Sie da mit mir über
ein? — die Frage der Freiwilligkeit völlig getrennt von
diesen Anträgen extra und gesondert diskutieren, wozu
wir bereit sind.
Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt ansprechen.
(B) Es wird immer viel von Verantwortung geredet. Ich neh
me das in der Tat ernst: Herr Lummer, Sie sagen mit
Recht, daß Sie Verantwortung zu tragen haben. — Ich
möchte doch einmal betonen, auch Parlamentarier haben
Verantwortung zu tragen. Es nutzt nichts, daß Sie nach
einer Verwaltungsentscheidung sagen, wie Sie, Herr
Schicks, es getan haben; Das war nicht ganz richtig und
nicht ganz schön. — Wenn Sie nämlich der Verwaltung
die Möglichkeit geben, Ihr politisches Wollen zu unter
laufen, und die Verwaltung tut das, können Sie nicht auf
die Verwaltung schimpfen, sondern dann tragen Sie mit
die Verantwortung, eben weil Sie die Möglichkeiten dazu
geschaffen haben.
[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der AL]
innern sich sicher, daß ich die Frage gestellt habe an
Senatsdirektor Conen und an Herrn Lummer, wieviel Per
sonen morgen zu Abschiebung in den Libanon anstün
den, Palästinenser und andere, es ist ein Palästinenser
darunter —, es hat sich eben in der Kruppstraße ereignet,
daß diesem Palästinenser, der kein Straftäter ist, der
bisher keine Freiwiliigkeitserklärung unterschrieben hat,
soeben versucht worden ist, eine Freiwiliigkeitserklärung
vorzuiegen, er hat gesagt, er unterschreibt nicht, darauf
hin wurde sie zerrissen, und es wurde gesagt: Es ist
egal, du fliegst doch morgen früh! — So viel zur Freiwil
ligkeit und zur Umsetzung unseres wunderbaren Antrags
und den Vorinformationen zu den Fünfen. Vielleicht ist
er schon dabei, und Sie haben auch zugestimmt, aber
eben haben Sie gesagt, Palästinenser nicht. Also, ich bin
gespannt, was mit diesem Mann ist, ob er noch in der
Kruppstraße sitzt oder auch bald in den Tod deportiert
wird.
[Schicks (CDU): Ich bin davon überzeugt, daß
Herr Lummer zu dieser Sache Stellung nimmt!]
— Ja, das hoffe ich, daß er dazu Stellung nimmt.
ich werde jetzt noch einmal zu einigen Dingen Stellung
nehmen, die allerdings auch im Zusammenhang damit
stehen, und warum ich gesagt habe, daß es notwendig
ist, daß dieser Beschluß anders und konsequenter aus-
sehen muß. Die Umsetzung — darüber hatten wir gespro
chen —, wie sie erfolgt ist, ist ein Unding, und das Parla
ment hat sich bisher seiner Verantwortung auch entzogen.
Wir hatten zweimal die Chance, hier einen Abschiebe-
stopp zu beschließen, wo der Innensenator gesagt hat,
er trägt zwar die Verantwortung, aber diesen Konflikt mit
dem Parlament würde er nicht so gern eingehen. Sein
Anerbieten, Konsequenzen zu ziehen, das war nicht Ihre
Idee, Herr Lummer, aber wir werden es tun, und wir wer
den auch Strafantrag stellen. Ich werde auch Beweise
vorlegen. Ich glaube aber, Sie sind derjenige, der Be
weise vorlegen müßte, daß alles in Ordnung ist, daß
alles richtig gelaufen ist, auch im Fall Atris, den können
wir leider nicht ganz getrennt davon sehen. Ich muß
Ihnen dazu sagen, es dürfte Ihnen als zuständiger Innen
senator auch bekannt sein, daß es ein Bundesverwal
tungsgerichtsurteil vom 31. Juli 1984 gibt, Nr. 9C 15 683,
darin geht es auch um einen jugendlichen Palästinenser.
Darin heißt es — — Darf ich noch einmal stören, Herr
Lummer? — Es heißt unter anderem, was Sie vorhin
sagten
[Zuruf von Bm Lummer]
— nein, das habe ich vorhin nicht erzählt, Sie haben auch
nicht zugehört —, daß das Geburtsdatum nicht bekannt
ist. Nun steht hier drin, daß zum gesetzlichen Prinzip
eines umfassenden Schutzes Minderjähriger von dem
innerhalb des bekannten Geburtsjahres möglichen späte
sten Geburtsdatum auszugehen ist. Das heißt, Sie können
sich jetzt nicht herausreden, er war ja vielleicht doch
schon 17, er gilt weiterhin als Sechzehnjähriger! Damit
ist gegen das Minderjährigenschutz-Abkommen versto
ßen worden. Und dieser junge Mann war auch nach Aus
sage des Gerichtsurteils nicht prozeßfähig und nicht
handlungsfähig und — ich zitiere:
Gegenüber einem Handlungsunfähigen darf die Be
hörde ohne Einschaltung des gesetzlichen Vertreters
kein Verwaltungsverfahren durchführen. Insbesondere
darf unmittelbar ihm gegenüber kein belastender
Verwaltungsakt erlassen werden.
— Das ist die eine Sache, wo schon ein eindeutiger Ver
stoß vorliegt.
Und deshalb geht es also darum, derartige Möglichkei
ten auszuschließen durch eine klare Regelung. Und wenn
Sie das, was Sie gesagt haben — daß grundsätzlich nie
mand in den Libanon abgeschoben werden sollte, daß
die Lage dort gefährlich ist und man es deshalb verant
worten könne, jemanden dorthin zu schicken —, ernst mei
nen, dann gibt es nur eine Entscheidung, nämlich unse
rem Änderungsantrag im Sinne eines Abschiebestopps
für das nächste halbe Jahr, wie wir es hier gefordert
haben, zuzustimmen. — Danke schön!
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Nächster Redner ist
Frau Bischoff-Pflanz.
Frau Bischoff-Pflanz (AL): Herr Präsident! Meine Da
men und Herren! Herr Schicks, ich muß leider damit an
fangen, daß ich sage, diese Freiwilligkeit haben wir hier
bei unseren Beschlüssen sehr wohl mitzudiskutieren. Es
hat mich soeben eine Anwältin angerufen — und Sie er-
Barthel (SPD): Herr Schicks, wir reden hier über Ab
schiebung in den Libanon und unseren Versuch, durch
eine Regelung das möglichst zu begrenzen oder ganz
auszuschließen — das sind ja die beiden Positionen. Und
wenn diese Regelung durch eine Freiwilligkeit unterlau
fen werden kann, dann gehört das mit zu diesem Antrag.
Ob in anderen Bereichen auch unterlaufen werden kann,
ist doch unstrittig, darüber brauchen wir doch nicht zu
reden. — Wir wollen den Freiwilligkeits-Fall etwas anders
formuliert haben: Wir haben Sorgen, daß diese Freiwillig
keitsregelung das Sesam-öffne-dich nach dem Libanon
bieten kann. Deshalb möchten wir gerne, daß die Leute,
die erklärt haben, sie wollen freiwillig ausreisen, uns ge
nannt werden, damit wir doch noch einmal nachhaken und
nachfragen können, ob das auch wasserdicht ist. Denn
wenn z. B. ein 17jähriger, der zudem noch Deserteur ist,
erklärt, er fährt freiwillig rüber — gestatten Sie, dann
habe ich erst einmal die Vermutung, daß hier irgend etwas
nicht stimmen kann.
[Bm Lummer: Das sind sozialdemokratische
Beamte, die Sie da verdächtigen!]
— Also, das war wohl nichts, Herr Lummer.
Kurz: Uns geht es mit unserem Änderungsantrag da
rum, diese unklare und der Verwaltung Schlupflöcher
öffnende Regelung zu ersetzen durch einen klaren, zeit
lich begrenzten Stopp für Abschiebung nach dem Liba
non.