Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
5. Sitzung vom 13. Juni 1985
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Sen Pieroth
(A) und damit ihre Verantwortlichkeit gestärkt. Diese Men
schen besitzen jetzt ein größeres Selbstvertrauen; sie set
zen mehr auf ihre eigene Leistungsfähigkeit. Das sind
genau die Berliner, mit denen wir Berlin zu einer blühen
den Wirtschaftsmetropole machen werden.
Ich habe noch zu beantworten, wie wir die gegebenen
Möglichkeiten des Beschäftigungsförderungsgesetzes
sehen. Der Senat begrüßt und unterstützt al'e gesetz
lichen und sonstigen Maßnahmen, die geeignet sind,
Menschen Arbeit zu geben. Aus diesem Grundsatz heraus
findet das Beschäftigungsförderungsgesetz die Zustim
mung des Senats. Das Gesetz bietet die Chance. Arbeits
losen Zugangsbrücken zum Arbeitsmarkt zu eröffnen. Ins
besondere wird den Betrieben ein Anreiz geboten, zu
sätzliche Arbeitnehmer auch dann einzustellen, wenn es
noch nicht gesichert erscheint, daß eine verbesserte Auf
tragslage von Dauer sein wird. Und wenn es um Über
stunden und die Einstellung von Arbeitnehmern geht,
dann ist es besser, befristet eingestellt zu werden, als
unbefristet arbeitslos zu bleiben.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Aber in diesem Zusammenhang auch ein Wort an die
Berliner Unternehmen, an die Personalchefs, an die Mei
ster, die ihre Firmen auf Personalbedarf aufmerksam
machen können: Es gibt noch zuviel Überstunden in Ber
lin! Jetzt sage ich nicht so plump dahin: Baut Überstun
den ab! — Das wissen die Unternehmer im al’gemeinen
selbst, ob es sinnvoll ist oder nicht. Ich möchte vielmehr
sagen: Wenn man bisher sagte, man könne nicht ein
stellen, weil man nur auf Zeit die Beschäftigung über
blicke, so gilt diese Ausrede jetzt nicht mehr. Jetzt kann
man auch auf Zeit einstellen; das ist jetzt möglich. Eine
B) Initiative des Landes Berlin, mitgetragen von allen Bun
desländern, auch den SPD-geführten Bundesländern, wird
uns dazu verhelfen, daß solche befristeten Arbeitsver
hältnisse auch mit Einarbeitungszuschüssen kombiniert
werden können, damit die Unternehmer nicht sagen kön
nen, es lohne sich nicht, für nur kurze Zeit einzustellen;
bis die Fachkraft ausgebildet sei, wäre der Auftrags
schwung vielleicht schon wieder abgearbeitet, und das
wäre zu teuer. — Nein, ich sage von hier aus den Ber
liner Unternehmen: Jetzt lohnt es sich zu rechnen, ob
teure Überstunden wirklich preiswerter sind als die
Kostenvorteile des Beschäftigungsförderungsgesetzes zu
nutzen. Wir könnten in Berlin Zehntausende von Über
stunden einsparen, abbauen und damit vielen Hundert
Berliner Arbeitslosen Arbeit verschaffen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Die Rechtsstellung der Arbeitnehmer wird mit solchen
befristeten Arbeitsverträgen nicht beeinträchtigt. Auch
künftig wird das Dauerarbeitsverhältnis die Regel sein.
Der Senat erhofft sich, daß aus den zeitlich begrenzten
Arbeitsverträgen Dauerarbeitsverhältnisse werden. Da
auch mit Zeitarbeitsverträgen eingestellte Arbeitnehmer
einer gewissen Einarbeitungszeit bedürfen, ist es im Sinn
einer Kostenrechnung für die Betriebe doch wirklich un
wirtschaftlich, einen befristeten Arbeitsvertrag nicht in
einen unbefristeten umzuwandeln, wenn entsprechende
Auftragseingänge da sind. Deshalb schließt sich der Senat
der vielfach geäußerten Kritik am Beschäftigungsförde
rungsgesetz nicht an. Es kommt nicht zu einer Umgehung
von Kündigungsvorschriften. Arbeitslose haben überhaupt
keinen Kündigungsschutz! Wir müssen diesen Streit jetzt
beenden. Das Beschäftigungsförderungsgesetz gilt, das
Beschäftigungsförderungsgesetz, Norbert Blüms große
Leistung,
[Ach! von der SPD]
ist ein Gesetz, das das Einstellen, aber nicht das Kündi- (C)
gen erleichtert, und deshalb sollte es genutzt werden.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Die vorletzte Frage will ich bewußt nur ganz kurz be
antworten. Ein Politiker sollte nicht meinen, er wisse, wo
zusätzliche Beschäftigungspotentiale zu sehen sind. Wir
haben andere Aufgaben. Die Unternehmer müssen die
Beschäftigungspotentiale suchen. Diesen Suchprozeß
haben wir zu erleichtern, indem wir alies tun, daß die
Kapitalausstattung und die Ertragskraft der Unternehmen
so stark bleibt oder stärker wird, daß sie in ihrem Such
prozeß möglichst viel Erfolge — nämlich neue Beschäf
tigungspotentiale — finden können. Wir haben — zwei
tens — die Rahmenbedingung für ein Hochlohnland zu
beachten. Wir wollen unsere hohen Löhne mit Wett
bewerb mit Japan, mit Amerika verteidigen. Das heißt,
wir müssen das produzieren, was andere Länder noch
nicht an Qualitätsarbeit leisten können. Deshalb l aben
wir das Berlinförderungsgesetz geändert, das früher die
Massenproduktion stärker begünstigte — was Kollege
Riebschläger gegen den Widerstand des Berliner DGB
aber nicht verändern wollte — und das dazu geführt hat,
daß viele allzu teuer subventionierte Arbeitsplätze nach
Berlin kamen, die heute wegrationalisiert werden. Und
wir haben als Hochlohnland die Aufgabe, das zu produ
zieren, was neu ist, was andere einfach noch nicht liefern
können. Deshalb das gentechnologische Institut, deshalb
das Maskenzentrum, deshalb das Lasermedizinzentrum.
Und wir haben — damit komme ich zur letzten Frage —
alles zu tun, daß Berlin mit seinen Bildungs- und For
schungskapazitäten einen Standortvorteil nutzen kann.
Ich fasse unsere Qualifizierungsoffensive in drei
Schwerpunkten zusammen, die gleichzeitig Voraussetzung (D)
für einen weiteren wirtschaftlichen Erfolg Berlins sind:
1. Wir müssen die Arbeitslosigkeit durch bedarfsorien
tierte Qualifizierung der Berliner Arbeitslosen abbauen.
2. Von Januar bis Mai dieses Jahres kam es wieder
zu 2 000 Arbeitsneuaufnahmen westdeutscher Arbeitneh
mer in Berlin. Wir müssen diesen sich darin manifestie
renden Fachkräftemangel in Berlin beseitigen, was sich
der Senat gerade von der Qualifizierung Berliner Arbeits
loser erhofft.
3. Wir müssen den Strukturwandel fördern, indem wir
technologische und betriebswirtschaftliche Erneuerung
durch Qualifikation und Innovation vorbereiten und er
möglichen.
Diese Aufgaben können wir nur erfüllen, wenn wir uns
auf ganz konkrete Einzelaufgaben einstellen, denn da hat
sich einiges entscheidend geändert. In Zeiten stetigen
Wachstums bei geringer Arbeitslosigkeit, als die Masse
der Menschen in gut funktionierenden Betrieben beschäf
tigt war, gab es im betrieblichen oder auch im regionalen
Kreislauf einen unmerklichen Qualifizierungsprozeß. Da
man arbeitete, wurde man auch immer weiter qualifiziert.
Wenn es aber Arbeitslosigkeit in höherem Umfang gibt,
sind diese Arbeitslosen aus der allgemeinen Qualifizie
rung ausgeschlossen. Eine am Bedarf orientierte und
erfolgreiche Qualifizierung von Arbeitslosen ist nur mög
lich, wenn wir die Betriebe durch Information, durch Moti
vation, durch andere Hilfestellungen dafür gewinnen, bei
ihren innerbetrieblichen Personalplanungen auch die
81 000 Arbeitslosen und das dahinterstehende qualifikato-
rische Potential mehr als bisher zu nutzen. Dafür müssen
wir die Betriebe, dafür müssen wir die Menschen gewin
nen. Diese Qualifizierungsoffensive und nicht weitere
Sach- und Betoninvestitionen, diese Humaninvestitionen,
diese Investitionen in die Fähigkeiten der Menschen sind