Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
3. Sitzung vom 9. Mai 1985
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Wagner, Horst
(A) Sie haben ja recht, wenn Sie sagen, die Arbeitnehmer
leben davon, daß ihre Arbeitskraft angenommen wird.
Da stimmen wir überein.
[Landowsky (CDU): Na also!]
Nur, 85 000 Arbeitnehmer in Berlin wollen Arbeit haben,
und deren Arbeitskraft wird zur Stunde nicht angenom
men. Deswegen bleibt das das brennendste Problem, das
es zu lösen gilt.
[Landowsky (CDU): Richtig!]
Heute verkündet der Senat ein Programm zur Förde
rung von Innovationen und Arbeitsplätzen — das war Herr
Pieroth, der gerade nicht im Saal ist. Das ist nun wieder
so ein großer Titel, dahinter verbergen sich wohlklingende
Überschriften und ein Programm, das insgesamt 7,87 Mio
DM ausweist —
[Landowsky (CDU): Das ist doch was!)
innerhalb der nächsten vier Jahre, nicht einmal 2 Millionen
Mark pro Jahr. Ich hätte es begrüßt, wenn wir nun irgend
wann einmal zur realistischen Beschreibung von solchen
Vorgängen gekommen wären. Inhaltlich widersprechen
wir ja gar nicht an dieser Stelle, aber man sollte doch
auch anfangen zu beziffern, was dabei eigentlich an
Arbeitsplätzen herauskommt; denn es heißt ja nicht nur
„Förderung von Innovationen“, sondern auch „Förderung
von Arbeitsplätzen“. Ich hätte es begrüßt, wenn Herr
Pieroth neben seiner seitenlangen Erklärung, die er nun
zum zweitenmal im Landespressedienst veröffentlicht hat,
auch irgendwo einmal gesagt hätte, wie viele Arbeits
plätze wir in Berlin aus diesem Programm denn nun
(B) haben werden; denn dann erst werden doch diese Maß
nahmen, dann erst wird das Geldausgeben auf diesem
Sektor interessant.
Sie haben als eine zentrale Aufgabe auch die Förde
rung der City bezeichnet. Da war mein Zwischenruf mit
„Konsummetropole“ ein bißchen früh gekommen, Herr
Landowsky, aber unsere Furcht ist doch wirklich, daß Sie
dem Versuch Ost-Berlins, in der Tradition Preußens die
sen Teil der Stadt zur 750-Jahr-Feier vorzustellen, hier
in West-Berlin eben nicht nur die geistige Vielfalt gegen
überstellen, sondern in starkem Maß die Konsum-City,
die wir uns rund um den Kurfürstendamm geschaffen
haben. Das ist die Sorge, die wir haben. Und wenn Sie
von der Bevorzugung der City auch in der Zukunft spre
chen, dann darf ich sagen, daß wir Sorge haben, daß die
Stadtbezirke Berlins mit ihren Zentren in zu starkem
Maß vernachlässigt werden und Stadtstrukturen kaputt
gehen wegen der einseitigen Bevorzugung der City.
[Frau Schmid-Petry (F.D.P.): Dann stimmen Sie
doch den flexiblen Ladenschlußzeiten zu! Das ist
die einzige Konsequenz!]
Herr Landowsky, die acht Punkte eines Beschäftigungs
programms oder — wenn Sie das Wort nicht so gern
hören — die acht Punkte, die Sie vorgeschlagen haben,
die zur Beschäftigung dienen sollen — wenn das dann so
ist, sind wir ja miteinander froh —, haben wir uns an
gesehen.
[Frau Schmid-Petry (F.D.P.): Doll!]
— Das war nun nicht der geistreichste Zwischenruf; Sie
können besser! —
[Frau Schmid-Petry (F.D.P.): Danke für das
Vertrauen!]
Diese acht Punkte haben wir uns angesehen, und dabei (C)
haben wir festgestellt, daß alle acht Punkte von uns schon
bei den Etatberatungen 1983 und 1984 beantragt wor
den sind.
[Landowsky (CDU): Das ist doch nicht wahr,
Herr Wagner!]
— Ich mache Ihnen doch nicht zum Vorwurf, daß Sie jetzt
die klugen Erkenntnisse nachvollziehen und das jetzt ein-
bringen wollen. Wir sind doch froh darüber, wenn Sie die
Wege beschreiten. Und ich verstehe ja auch den Regie
renden Bürgermeister, daß er sich wundert, daß wir, ob
wohl Sie vieles von dem aufgreifen, was wir vorgeschia-
gen haben, trotzdem nicht zustimmen können. Aber an
der Stelle wissen Sie uns an Ihrer Seite. Wir sind dafür,
daß dieses Beschäftigungsprogramm — und wir nennen
das weiter so — auch Wirklichkeit wird, damit Menschen
in dieser Stadt Beschäftigung finden.
[Beifall bei der SPD und der CDU —
Landowsky (CDU): Na also!]
Ich habe aus meiner Sicht noch einiges zu diesen Fra
gen des Arbeitsmarktes zu sagen. Der Wahlkampf ist ja
nun vorbei, vielleicht gibt das die Chance, mit Ihnen
gemeinsam zu einer realistischen Einschätzung der Situa
tion zu kommen. Ich denke, wir sollten uns verständigen,
wie die Lage ist. Wir haben dank der günstigen konjunk
turellen Entwicklung in den letzten Monaten eine leichte
Beschäftigungszunahme im verarbeitenden Gewerbe, die
allerdings nicht ausreicht, die Arbeitslosigkeit abzubauen.
Die Arbeitslosenzahl in Berlin erreichte einen traurigen
Nachkriegsrekord. Ich habe dabei die Hoffnung, daß zu
mindest in einem Teilbereich der Berliner Wirtschaft — in ,q.
der Metall- und Elektroindustrie — es nicht zu weiterem
Personalabbau in diesem Jahr kommen wird. Hier greift
die Arbeitszeitverkürzung, sie hat zumindest stabilisie
rende Wirkung.
In einer Reihe von Betrieben wird es sicher auch zu
Neueinstellungen kommen. Aber Sie werden mir nicht
verübeln, wenn ich Ihnen sage, daß das wahrlich nicht das
Verdienst des Senats, sondern das Verdienst vernünftiger
Tarifabschlüsse war.
Was wir brauchen, sind weiterhin mehr Arbeitsplätze
im industriellen Bereich und im Bereich der Stadterneue
rung und des Umweltschutzes. Natürlich wäre es gut,
wenn es gelänge, auf dem Dienstleistungssektor neue
Arbeitsplätze zu schaffen. Allerdings teilen wir Ihre Hoff
nungen auf diesem Sektor nicht, weil in der Vergangen
heit immer wieder bewiesen worden ist, daß Berlin eben
nicht der geeignete Standort für zentrale Dienstleistun
gen in stärkerem Maße ist.
Es gibt zur Industrieansiedlung keine Alternative, denn
ohne Neuansiedlung und ohne Ausbau der vorhandenen
Kapazitäten wird es im industriellen Bereich weitere
Arbeitsplatzverluste geben, weil die Produktivität je Ar
beitsplatz auch künftig stärker ansteigt als das volkswirt
schaftliche Wachstum.
Und sehen Sie: Rationalisierungsgewinne gehen heute
zu Lasten der Beschäftigung. Auf diese Binsenweisheit
haben Sie keine Antwort. Die Frage der Maschinensteuer
ist für Sie tabu; heute haben Sie dazu nun etwas von
Umverteilung gesagt und daß die Arbeitnehmer daran
auch beteiligt werden müßten, auf welchem Wege auch
immer.
[Landowsky (CDU): Die Verteilung des
Mehrerlöses!]