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Volume Nr. 3, 9. Mai 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1985, 10. Wahlperiode, Band I, 1.-18. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
3. Sitzung vom 9. Mai 1985 
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Landowsky 
(A) bereit, diese Öffnung zu vollziehen. Ich werde mir erlau 
ben, im Laufe dieser Rede darzutun, in welchen Berei 
chen dies besonders der Fall ist. Für die Union sage ich 
also: Eine Partei, die den Anspruch erhebt, weit mehr als 
50 % der Bevölkerung anzusprechen, muß zu dieser Öff 
nung bereit sein, und wir sind es. Übrigens, die Berliner 
Arbeitnehmer — das wissen Sie auf der linken Seite des 
Hauses viel besser als wir — sind traditionell konservativ 
und antikommunistisch —, die Arbeitnehmer haben die Frei 
heit der Stadt nach dem Kriege gegen die Kommunisten 
verteidigt, die Arbeitnehmerschaft ist es gewesen! 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Und sie haben mit Positionen, die heute von der AL ar 
beitsmarktpolitisch vertreten werden — und auch von wei 
ten Teilen der Sozialdemokraten — überhaupt nichts ge 
mein, nicht einmal die Sprache. Arbeitnehmer sind mehr 
als andere Bevölkerungskreise darauf angewiesen, daB 
das Vermögen, das sie haben, nämlich ihre Arbeitskraft, 
auch von den politischen Parteien angenommen und diese 
Arbeitkraft auch benötigt wird. Sie leben davon! Diese 
Zukunftschance wollen wir Ihnen sichern. 
Wir legen Wert auf ein gutes Verhältnis mit den Ver 
tretern der Arbeitnehmer, den Gewerkschaften, mit dem 
Deutschen Gewerkschaftsbund, bis hin zum Deutschen 
Beamtenbund. Und weil wir diese Vertretung der Arbeit 
nehmerpolitik in diesem Land Berlin langfristig angelegt 
haben, haben wir auch diese Koalition mit den Liberalen 
langfristig angelegt. Wir sind der Meinuneg, daß diese 
Koalition bis weit ins nächste Jahrzehnt hinein ohne Alter 
native ist. Dafür planen wir Politik. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
B) 
Wir besprechen heute die Erklärung des Regierenden 
Bürgermeisters, von dem die „Süddeutsche Zeitung“ in 
der Überschrift sagte: „Eberhard Diepgen setzt Berlin 
hohe Ziele.“ Ja, meine Damen und Herren, dazu bekennen 
wir uns auch. Wir setzen bewußt hohe Ziele — nicht ande 
ren, sondern uns selbst. Wir fordern Sie auch auf, uns an 
diesen Zielen am Ende dieser Legislaturperiode zu mes 
sen. 
Nun erwarte ich natürlich nicht, Herr Momper, daß Sie 
diese Regierungserklärung und das, was in der Koalitions 
vereinbarung und in der Regierungserklärung steht, so 
durchweg positiv betrachten. Das ist auch nicht Ihre Funk 
tion. Die Funktion der Opposition ist mehr, das Kritische, 
das Negative herauszufiltern. Nur, das, was Sie vorhin ge 
tan haben, das muß man mal im einzelnen prüfen. Sie 
haben Begriffe, die der Regierende Bürgermeister als zen 
trale Begriffe in seiner Regierungserklärung verwendet 
hat, aufgenommen. Das begrüßen wir! Sowohl der Begriff 
der „republikanischen Tugenden“, der des „neuen Ge 
meinsinns“, der der „Metropole“ — „Metropole“, das war 
der Begriff, mit dem Richard von Weizsäcker das bürger 
liche Bündnis in dieser Stadt begründet hat — wir finden 
es richtig, daß Sie sich dazu bekennen und von Herrn 
Stobbe Abschied genommen haben. Es ist auch ein gewis 
ser Abschied von der Mittelmäßigkeit. Ich hoffe, daß sich 
das in den nächsten Jahren bei Ihnen auch deutlich hervor 
hebt. 
Hin und wieder sagen Sie natürlich, daß es Leerformeln 
sind, Sie kritisieren, daß es nicht so sehr ins Detail geht, 
wie zum Beispiel beim Pflegefallrsiko. Bei Entgegnungen 
zu Regierungserklärungen ist das Muster immer gleich, 
— das wissen Sie selbst und das hat Ihre Rede ja ganz 
deutlich gemacht —, wenn sie zu sehr ins Detail gehen, 
dann heißt es: „Neckermann-Katalog“; gehen sie zu sehr 
ins Grundsätzliche, dann sagen Sie, es fehle die Konkreti 
sierung. Und dann kommt bei Ihnen noch immer so ein (C) 
bißchen die Verelendung hinein; das ist ein typisches so 
zialdemokratisches Produkt. Aber wir finden es zunächst 
einmal positiv, daß Sie die Diskussion über das Gesell 
schaftsbild aufgenommen haben, das wir in dieser Stadt 
realisieren wollen. 
Wir haben auch zur Kenntnis genommen, daß es — trotz 
aller Kritik und wenn man einmal die Polemik herausnimmt 
— eine Reihe von Bereichen gibt, Herr Kollege Momper, 
wo es in Ihrer Rede immer hieß: „Wir stimmen dem zu, wir 
stimmen dem zu.“ Das fängt mit der Deutschlandpolitik an, 
obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das auch so durchhält. 
Sie haben Sätze Ihrer Rede bewußt im Nebel gelassen. 
Darüber werden wir noch einmal reden. Aber zur Deutsch 
landpolitik haben Sie positive Kritik geäußert. Zur Struk 
turpolitik des Senats haben Sie sich positiv geäußert. Und 
wenn ich die AL über die „taz“ richtig verstanden habe, 
dann hat der Wirtschaftssenator noch einen positiven 
Tenor erfahren. Auch die Stadtgestaltungspolitik, so, wie 
Herr Legner in dem Kommentar schrieb, ist ja durchaus 
positiv gewürdigt worden. 
Wenn das aber so ist, daß in wesentlichen Punkten die 
Opposition — vielleicht unterschiedlich und mit verteilten 
Rollen — die Regierungspolitik positiv bewertet, dann ist 
das für uns eigentlich ein zielsicherer Beweis dafür, daß 
die Richtung stimmt. Über Modalitäten können wir gerne 
diskutieren. Dazu, nämlich zu einem Ideenwettbewerb, 
hat der Regierende Bürgermeister aufgerufen. Wir wären 
Ihnen dankbar, wenn Sie auch konkrete Ideen der Realisie 
rung zu diesem Wettbewerb beitragen könnten. 
Sie aber, Herr Kollege Momper, haben aus meiner Sicht 
für die Sozialdemokratie heute eigentlich eine Chance 
vertan. Sie haben bewußt die Probleme dieser Stadt auf 
gelistet, aus Ihrer Sicht noch einmal dargetan mit einer 
unterschiedlichen Bewertung, ohne daß Sie die Chance 
ergriffen hätten, konkret Ihr Gegenkonzept zu entwickeln. 
Die Problemstellungen dieser Stadt sind vielfältig und 
bekannt. Da gibt es oft auch keine Differenzen. Entschei 
dend aber ist doch, mit welchen Lösungsansätzen man an 
sie herangeht. 
Ich habe in einer Zeitung kürzlich gelesen, daß Sie über 
ein „Berliner Godesberg“ diskutieren. Herr Kollege Mom 
per, ich darf Ihnen sagen, das war es noch nicht, das „Ber 
liner Godesberg“. Ich glaube, Sie befinden sich immer 
noch in der unmittelbaren Umgebung von Waterloo. Aber 
vielleicht befinden Sie sich auf dem Weg nach Godesberg. 
[Heiterkeit und Beifall bei der CDU] 
Wer Politik für Berlin macht — das ist meine feste Über 
zeugung —, der muß sich als erstes intellektuell mit grund 
sätzlichen Fragen auseinandersetzen; Welche Aufgaben 
hat Berlin, haben seine Menschen? Welche Funktion hat 
die Stadt national und international? Welche Gesellschaft 
und welche Formen des Zusammenlebens erstrebe ich 
eigentlich für die zwei Millionen Menschen? Wie wollen 
wir eigentlich Stadtgestaltung betreiben, ohne zu wissen, 
welche Aufgabe Berlin hat? Dient das kulturelle Angebot 
Berlins nur der Eigenversorgung, oder haben wir vielleicht 
Deutschland insgesamt oder sogar darüber hinaus etwas 
zu geben? Für wen und wofür betreiben wir eigentlich Wis 
senschafts- und Forschungspolitik? Alle diese Fragen ver 
langen zuerst natürlich keine technischen Antworten, son 
dern die grundsätzliche Antwort, mit welchem Bewußtsein 
ich an die Lösung der Fragen gehe. 
Herr Kollege Momper, auch wenn Sie Nell-Breuning und 
die katholische Soziallehre zitieren und vielleicht auch 
noch die evangelische Sozialethik — mit sozialistischem 
Gedankengut hat das wirklich nichts zu tun. Glauben Sie 
es mir! Für Sozialisten und Marxisten
	        
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