Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
3. Sitzung vom 9. Mai 1985
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Momper
(A) nahmen zur Einschränkung der Wohnungsspekulation gar
nicht zu erwarten sind. Nicht eine einzige Initiative haben
Sie, Herr Regierender Bürgermeister, bisher in diese
Richtung in Bonn ergriffen. Sie streuen den Mietern Sand
in die Augen. Sie versprechen, das Angebot an Wohnun
gen durch Wohnungsneubau, Modernisierung und In
standhaltung zu vergrößern, gleichzeitig aber verringern
Sie die öffentlichen Mittel für diesen Bereich drastisch.
Zur Abrißpolitik Ihres Bausenators sagen Sie vorsichts
halber gar nichts. Sie versprechen bezahlbare Mieten,
haben aber nicht den Mut, das System der Wohnungs
baufinanzierung gegen bestimmte Geschäftsinteressen in
dieser Stadt und in der F.D.P. zu ändern. Dadurch könn
ten die Mieten im sozialen Wohnungsbau deutlich ge
senkt werden — kein Wort dazu in der Regierungserklä
rung! Prüfen Sie endlich unseren Vorschlag zur Woh
nungsbaufinanzierung, der auch von der IG Bau-Steine-
Erden unterstützt wird.
Der Regierende Bürgermeister spricht vom Engagement
für die Mieter in Bonn, setzt sich aber ohne Umschweife
für die Aufhebung der Mietpreisbindung für Altbauwoh
nungen ein. Sie wollen, daß Berlin in den Jahren 1988/90
weißer Kreis wird. Wir Sozialdemokraten setzten da
gegen, daß die Mietpreisbindung für Altbauten zum
Dauerrecht wird.
[Beifall bei der SPD]
Eine Obernahme des im übrigen Bundesgebiet gelten
den sozialen Mietrechts lehnen wir ab. Die Politik der
Sozialdemokraten wird sein, für Berlin — möglichst ge
meinsam mit anderen Großstädten, die ähnliche Mietpro
bleme haben — eine verbesserte Mietpreisbindung durch
zusetzen und unbezahlbare Mietpreissteigerungen und
(B) damit die Vertreibung der Mieter zu verhindern.
[Beifall bei der SPD]
Unsere Stadt war immer stolz auf ihre Weltoffenheit und
Liberalität. Ich habe nicht durchgezählt, aber der Regie
rende Bürgermeister hat diese Worte in seiner Rede
mehrfach gebraucht. Sie unterstreichen dies in Ihrer Frem
denverkehrswerbung. Gäste, zahlende Gäste zumal, sind
bei uns immer herzlich willkommen. Weltoffenheit und
Liberalität zeigen sich aber eigentlich erst beim Umgang
mit denjenigen, die auf Hilfe und Schutz angewiesen sind.
[Beifall bei der SPD]
In diesen Tagen sprechen wir oft von der Bitternis des
politischen Asyls, das Tausende Deutsche im Ausland su
chen mußten. Unsere Gedenkveranstaltung hier vor zwei
Tagen haben wir mit zwei Asylanten — ich möchte Ihnen
das noch einmal ins Gedächtnis rufen — von damals ge
schmückt. Und wie verhalten wir uns gegenüber Asylanten
heute? Wir hören die Kritik des Flüchtlingskommissars der
Vereinten Nationen an der Asylpolitik der Bundesrepublik
' Deutschland, wobei Pläne dieses Senats ausdrücklich als
besonders bedenklich genannt werden. Der Flüchtlings
kommissar hat darauf hingewiesen, daß ausweislich der
hohen Anerkennungsquote das Gerede von einem Asyl
mißbrauch bedenklich ist. Er hat davor gewarnt, die Lage
in der Bundesrepublik zu dramatisieren. Aus durchsichti
gen innenpolitischen Erwägungen wird dennoch von Mit
gliedern Ihres Senats — offenkundig mit Ihrer Billigung,
Herr Diepgen — eine Scheinasylantenpropaganda betrie
ben, die die liberalen Traditionen dieser Stadt wirklich
verhöhnt.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Damit es keinen Zweifel gibt: Wir Sozialdemokraten und (C)
ich sind dafür, das Asylverfahren zu beschleunigen, wobei
Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden muß. Ich wende mich
aber gegen die Diffamierung von Asylantengruppen. Denn
dem Problem der Wirtschaftsflüchtlinge aus der dritten
Welt kann man nur dadurch begegnen, daß wir den Hei
matländern bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse
helfen. Berlin muß mehr als bisher einen Beitrag zum
Nord-Süd-Ausgleich leisten.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Die berechtigten Fragen vieler, insbesondere jüngerer
Berliner nach der Legalität und Legitimität alliierten Han
delns in Berlin können nicht allein mit Hinweis auf den
Status der Stadt beantwortet werden. Tatsächlich geht es
— und darüber schweigen Sie sich beharrlich aus — um die
Frage des Rechtsschutzes bei Handlungen der Besat
zungsbehörden. Wohlgemerkt, es geht nicht um die Ver
änderung der obersten Gewalt und des Status von Berlin.
Bei solchen Forderungen widersprechen wir Sozialdemo
kraten wie bisher energisch.
(Beifall bei der SPD]
Es geht darum, das System der Balance von Macht und
Gegenmacht im Bereich öffentlicher Gewalt in einer Stadt
zu verwirklichen, die notgedrungen seit 40 Jahren besetzt
ist und es aus gutem Grunde auch weiterhin bleiben wird.
Es gehört zum Grundbestand unserer westlichen politi
schen Kultur, daß die Exekutive von einer unabhängigen
Gerichtsbarkeit kontrolliert wird. Es ist doch für uns alle
beschämend, daß die Öffentlichkeit nachhaltig erst durch
das Buch des amerikanischen Bundesrichters Herbert
Stern auf die Problematik fehlenden Rechtsschutzes hier
in Berlin aufmerksam gemacht worden ist. In den Vereinig-
ten Staaten, im Vereinigten Königreich und in Frankreich
stehen der exekutiven Gewalt die Verfassungs- und Ver
waltungsgerichte gegenüber. So wie dort Entscheidungen
der Exekutive im Lichte der Rechte der Bürger überprüft
werden, so muß auch die Legalität des Handelns der Be
satzungsbehörden in Berlin überprüfbar werden.
[Beifall bei der SPD]
Die oberste Gewalt der Besatzungsmächte in Berlin wird
durch eine Überprüfung durch unabhängige Richter der
Besatzungsmächte nicht in Zweifel gezogen, so wenig wie
die Souveränität der Vereinigten Staaten, Frankreichs und
des Vereinigten Königreiches dadurch in Zweifel gerät,
daß ihre Exekutivbehörden einer gerichtlichen Kontrolle im
Lande unterliegen. Wir Sozialdemokraten fordern nicht
mehr als den gleichen Rechtsschutz, wie er in diesen Län
dern für die Bürger dort gewährt wird.
Wir Sozialdemokraten meinen, daß es wegen der kom
plizierten Lage unserer Stadt nicht gut ist, diese Fragen
zur parteipolitischen Profilierung zu benutzen. Wir haben
daher schon im Jahre 1984 darauf aufmerksam gemacht,
daß diese Frage für Berlin von verfassungsrechtlicher Qua
lität ist. Mit Rücksicht auf die Sensibilität der Materie ha
ben wir darum gebeten, die Beteiligten zu vertraulichen
interfraktionellen Gesprächen einzuladen, Herr Regieren
der Bürgermeister. Wir stehen auch heute noch zu dieser
Meinung. Dieses Thema muß aus der Tagespolitik heraus
gehalten werden. Herr Regierender Bürgermeister, wir er
neuern unseren Vorschlag. Fragen von Verfassungsrang
sollten nicht von der parlamentarischen Mehrheit allein
verantwortet werden. Nicht ohne Grund ist für Verfas
sungsänderungen eine Zweidrittelmehrheit vorgeschrie
ben. Deshalb sollte in dieser Frage ein Konsens aller Par
lamentsfraktionen gesucht werden.