Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
82. Sitzung vom 7. Dezember 1984
Braun
(A) nannt: Diese Heimentgelte sind seit unserer Verantwor
tung ab 1981 bis 1984 nicht um 16,8%, sondern um 7%
gestiegen.
[Momper (SPD): Sie werden doch schon
wieder erhöht ab 1. Januar!]
— Das ist berücksichtigt! — Und sie liegen weit unter der
Rentenerhöhung.
[Momper (SPD): Sie sind bei Ihnen
noch nicht berücksichtigt!]
— Herr Momper, ich habe eigentlich die Zahlen schon im
Hauptausschuß vorgetragen. Aber Sie können sich ja
den Schauauftritt nicht versagen, Sie müssen das ja lei
sten. Wissen Sie, Sozialpolitik, sozialpolitische Aussagen
müssen sich einer höheren und strengeren Qualität und
in einem höheren und strengeren Maß der Glaubhaftig
keit und Realisierbarkeit stellen.
[Dr. Kunze (AL): Als zum Beispiel?]
— Es ist schon denkbar. — Es geht um persönliche Not
lagen und Ängste und Hoffnungen der betroffenen Bür
ger. Es geht um die wirtschaftliche Belastbarkeit der
jenigen, die durch ihre Arbeit soziale Umverteilung er
möglichen. Und diese gesteigerte Gewissenhaftigkeit und
Verantwortlichkeit gilt insbesondere für eine Partei, die
während 12 Jahren des wirtschaftlichen Wachstums die
Regierungsverantwortung getragen hat und langfristig
für die Notsituation hätte Vorsorge treffen können.
^ [Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Wenn Sie heute, meine Damen und Herren von der
SPD, über die „neue Armut“ diskutieren und polemisie
ren, über die Ausgrenzung von Arbeitslosen aus der
Arbeitslosenunterstützung, dann muß als Ausgangslage
gelten, daß bereits im Jahr 1977 davon 185 000 arbeits
lose Bürger betroffen waren und daß die Zahl auf 330 000
im Jahr 1981 und auf eine Quote von 26% gestiegen war.
Was haben Sie damals, vor acht Jahren dafür getan,
welche wirksame Vorsorge haben Sie dafür getroffen? —
Keine! Aber heute mißbrauchen Sie die soziale Not, das
Ergebnis Ihrer Politik, zu wahlpolitischen Zwecken!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Sie wollen sich aus Ihrer Verantwortung herausstehlen.
Die Finanzkrise der sozialen Sicherungssysteme ist doch
Ihr politischer Nachlaß. In die Zeit Ihrer Regierungsver
antwortung fällt die Explosion der Sozialhilfeaufwendun
gen; zwischen 1969 und 1982 stiegen die Sozialhilfeaus
gaben um rund 470 %, die Zahl der Empfänger nahm um
rund 57 % zu.
Nun noch ein kleiner Beitrag zur Wahrhaftigkeit der
politischen Selbstdarstellung: In einer Zeitungsbeilage
informierte die Bundesregierung im September 1981 über
die Sparbeschlüsse zum Bundeshaushalt 1982. Darin heißt
es: „Im Sozialhaushalt wird an mehr als 50 Stellen ge
spart, damit Leistungen auch künftig finanzierbar bleiben.
Unter dem Druck von 1,3 Millionen Arbeitslosen wird die
Anspruchsvoraussetzung für Arbeitslosengeld verschärft,
die Sperrzeit verlängert und neben anderen Maßnahmen
die Urlaubsabgeltung angerechnet.“ Gleichzeitig wird in
derselben Mitteilung trotz wachsender Arbeitslosigkeit
ein Stellenabbau von 3 000 Stellen angekündigt.
[Momper (SPD): Was ist daran falsch?]
— Genau! — Was ist daran falsch? — Was bei Ihnen rieh- (C)
tig war, das kann bei uns ja wohl nicht falsch sein. Das
sind die wirtschaftlichen Zwangslagen, die Sie hinterlas
sen haben!
[Momper (SPD): Herr Braun, Sie sind doch gar
nicht in der Opposition!]
— Herr Momper, ich kann es Ihnen nicht ersparen, Ihnen
Ihre Heuchelei hier im einzelnen offenzulegen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Seit 1975 folgte Spargesetz auf Spargesetz: Haushalts
strukturgesetze, Rentenanpassungsgesetze, Kostendämp
fungsgesetze, Haushaltsbegleitgesetze. Ich gehe den Jah
ren nach vor: 1975 Gesetz zur Verbesserung der Haus-
haitsstruktur; 1975 Gesetz zur Verbesserung der Haus
haltsstruktur im Bereich des Arbeitsförderungs- und Bun
desversorgungsgesetzes; 19. Rentenanpassungsgesetz;
Krankenversicherungsweiterentwicklungsgesetz zur Ko
stendämpfung; Rentenanpassungsgesetz; Gesetz zur
Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturver
besserung in der gesetzlichen Krankenversicherung;
21. Rentenanpassungsgesetz — die Folgen habe ich schon
dargestellt —; 6. Gesetz zur Änderung der Bundesausbil
dungsförderung; Gesetz zur Anpassung der Renten 1982;
die Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, das Konso
lidierungsgesetz, das Haushaltsstrukturgesetz 1981, und
so geht es weiter. Eine wissenschaftliche Stellungnahme
bezeichnet dieses Verfahren, ich zitiere: In der Praxis er
innerte die Vorgehensweise — Ihrer Regierung — mitunter
an die mittelalterlichen Kipper und Wipper, die durch Ab
feilen und Abknapsen Goldmünzen erleichterten und aus
Geld mehr Geld machten.
(D)
[Momper (SPD): Ooh! —Schicks (CDU); Er zitiert!]
Herr Momper! Ich muß sagen, ich bin etwas enttäuscht
über Ihren Beitrag.
[Momper (SPD): Das tut mir leid!]
Sie haben keine Stellung genommen zum Haushalt im
einzelnen, nicht einmal zu Ihren eigenen Kürzungsanträ
gen. Sie haben einen Kürzungsantrag gestellt zum Fami
liengeld. Das Familiengeld schmerzt Sie. Sie sehen uns
zum einen in der Verantwortung für die Kürzung des Mut
terschaftsgeldes, zum anderen müssen Sie sich mit der
zusätzlichen Leistung des Familiengeldes auseinanderset
zen. Sie reden vom Speck in der Falle zu einem fakti
schen Berufsausstieg auf Lebenszeit — das werden die
13 000 Bezieher sicher genüßlich lesen. Sie reden von
einer familienpolitischen Krücke. Um eine unsoziale Spar
maßnahme kann es sich ja nicht handeln, denn der Zah
lenspiegel führt ja zu einem Mehr an Leistung, auch die
Umverteilung stimmt. Wir finanzieren es über die Finanz
masse des Familiengründungsdarlehens durch Einführung
einer Einkommensgrenze; auch die soziale Ausgewogen
heit stimmt: es gibt die Einkommensgrenze, und vor allen
Dingen, es gibt das Elternwahlrecht. Ihre Kritik, Ihre Wort
wahl „Speck“ und „Krücke“ lassen erkennen, daß es Ihnen
nicht um die Wahlfreiheit der Elternteile geht, auch nicht
um das Wohl des Kindes, sondern letztendlich um den
alten, verstaubten gesellschaftspolitischen Zielkonflikt
zwischen wachsender personaler Bindung — Eltern-Kind —
und vorbehaltenem Erziehungsanspruch des Staates. Ich
übernehme hierbei gern eine Absichtserklärung Ihres
Sozialexperten Glombig in der Debatte über die Einfüh
rung des Mutterschaftsurlaubs: „Wir halten es für notwen
dig, politisch und finanziell realisierbare Lösungen zu ent
wickeln, die die Betreuung und Erziehung von Kleinkin-
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