Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
82. Sitzung vom 7. Dezember 1984
Sen Pieroth
(A) sonst? — Sie haben doch die Struktur in Berlin ge
kannt; Sie haben die überholte, die unmodern gewordene
Struktur verschiedentlich gebrandmarkt in den ersten
anderthalb Jahren, in denen wir hier in Berlin die Verant
wortung übernommen hatten. Sie hatten uns doch schon
für den Winter 1982/83 geweissagt, daß die Zahl der
Arbeitslosen 100 000 erreichen würde. Sie haben das aber
nicht polemisch getan, um der Stadt Schwierigkeiten zu
machen, Sie hatten wissenschaftliche Unterstützung durch
das DIW. Das D1W hat im April 1983 für das Jahr 1983
noch eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von 90 000
bis 100 000 Menschen in Berlin gewissermaßen als zwangs
läufige Entwicklung prognostiziert. Wir haben verhindert,
daß diese schreckliche Zahl Wirklichkeit geworden ist.
Hätten wir diese mutige Politik nicht gewagt, dann wären
es in Berlin wirklich 100 000 Arbeitslose geworden.
[Starker Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Und wen meinen Sie noch, wer da diese Entwicklung in
die Arbeitslosigkeit verursacht hätte? — Wir sind ja im
westlichen Wirtschaftssystem verbunden; Sie müssen also
auch die Bundesregierung meinen. Jahr für Jahr stieg die
Arbeitslosigkeit: 1979, 1980, lo'si, bis sie 1982 zum Schei
tern der SPD/F.D.P.-Koalition führte. Die neue Bundes
regierung hat es nach einem Jahr geschafft, den Anstieg
der Arbeitslosigkeit zu begrenzen, und sie hat uns damit
die Möglichkeit gegeben, die Berliner Mittel so einzuset
zen, daß wir langsam einen Abbau der Arbeitslosigkeit
herbeiführen können.
Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen zum Schluß
noch gerne bestätigen: Wir greifen auch jede Maßnahme
auf, die ganz kurzfristig zu Beschäftigung führt. Gerade
weil Herr Striek recht hat, daß die Maßnahmen erst mit-
(B) telfristig greifen, möchte ich natürlich keine Maßnahme
unterlassen, die jetzt schnell zu mehr Arbeitsplätzen führt.
Kurzfristig hat Beschäftigung gebracht die Leistung der
Haushaltsgruppe, mehr Investitionen im Haushalt zu indu
zieren und damit eine Berliner Baukonjunktur zu ermög
lichen. Kurzfristig hat Beschäftigung gebracht, was ich mit
einem Dank an Sie alle verbinde, daß wir mit 1,5 Mio DM
mehr für die Tourismuspolitik die Beschäftigung in der
Gastronomie und in der Hotellerie — in Berlin über 23 000
Beschäftigte! — stabilisieren und ausbauen konnten.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Kurzfristig hat Beschäftigung gebracht, daß die Mitarbei
ter der Wirtschaftsverwaltung und vieler anderer Institu
tionen jetzt Unternehmen auf Unternehmen retten konn
ten. Sie haben gestern feststellen können, daß die alte
Bauspanplattenfertigung, die immer noch nicht in besten
Händen war, von einem tüchtigen westdeutschen Unter
nehmer übernommen werden konnte. Sie haben feststellen
können, daß die Deutschen Industrie-Werke, diese für
Berlin so notwendige Werft, durch einen Bremer Unter
nehmer übernommen werden konnte. Wir machen alles,
was Sie uns vorschlagen, wenn es einigermaßen sinnvoll
ist, wenn die Menschen dafür bereitstehen: Ausbau von
Gewerbehöfen, Industrie- und Gewerbeflächen, Umrüstung
des öffentlichen Fuhrparks; Sie nennen es Forst-, wir
Waldgesundungsprogramm. All diese Maßnahmen wurden
von uns auf den Weg gebracht. Wir haben Ihre Vorschläge
nicht ignoriert, wir haben sie examiniert, und wir haben sie
realisiert.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Wir sind auf gutem Weg. Sie werden gerade in den
nächsten sechs bis zwölf Monaten von einer Vielzahl von
neuen Firmen hören, die sich hier in Berlin niederlassen, (C)
oder von anderen Firmen, die hier ausbauen.
[Abg. Striek (SPD) meldet sich zu einer
Zwischenfrage.]
— Bitte schön, Herr Kollege Striek!
Präsident Rebsch: Herr Senator, gestatten Sie eine Zwi
schenfrage des Abgeordneten Striek?
Pieroth, Senator für Wirtschaft und Verkehr: Dem Kol
legen Striek ist sie schon im voraus gestattet.
Präsident Rebsch: Das geht aber nach unserer Ge
schäftsordnung nicht.
Pieroth, Senator für Wirtschaft und Verkehr: Das ist
schon das zweite Mal, daß ich in dieser Woche etwas da
zulernen kann. Vielen Dank, Herr Präsident!
[Allgemeine Heiterkeit]
Striek (SPD); Herr Senator, sehen Sie es mir nach, daß
ich gewartet habe, bis der Präsident mir das Zeichen gab,
zu fragen.
Ich frage zu Ihren letzten Bemerkungen, ohne noch ein
mal zu reflektieren, daß Sie meine Fünfjahresfrist ja
anders interpretiert haben, als ich sie immer begründet
habe: Können wir — nach Ihren letzten Bemerkungen —
mit der Zustimmung des Senats zu unseren noch einmal
eingebrachten Anträgen zum Haushalt 1985 hinsichtlich (D)
eines Beschäftigungsprogramms rechnen? — Ihre letzten
Aussagen deuten ja darauf hin, daß eine Zustimmung dazu
zu erwarten ist.
Pieroth, Senator für Wirtschaft und Verkehr: Ich werde
meinen Freunden in der CDU und in der F.D.P. wie in
allen anderen bisherigen Fällen vorschlagen, daß es bei
sinnvollen Vorschlägen keinesfalls am Geld mangeln darf.
Wenn die Menschen, die Fachkräfte dafür da sind, sinn
volle Maßnahmen anzugehen, dann wird auch das Geld
dafür da sein, und dann werden zusätzliche Arbeitsplätze
in Berlin geschaffen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Ich will einen letzten Gedanken dazu geäußert haben,
wenn es heißt: Da stimmt es noch nicht und dort auch
nicht. — Als wir anfingen, stimmte es überhaupt nicht im
Flugverkehr; wir starrten gebannt auf die wachsenden
Passagierzahlen in Schönefeld und auf die zurückgehen
den Zahlen in Tegel. Ich kann Ihnen heute sagen: Wir
hatten im November im Berlin-Flugverkehr einen Zuwachs
bei den Passagieren von 12%, und aufgrund der Entwick
lung der letzten eineinhalb Jahre werden deshalb in Tegel
allein 90 zusätzliche Arbeitskräfte als Stewardessen und
Bodenpersonal eingestellt. Das alles sind Entwicklungen,
die seismographisch zeigen, wie es in Berlin vorangeht;
denn der Flugverkehr ist ein Beweis für die touristische
Beliebtheit und die wirtschaftliche Attraktivität einer Stadt;
offensichtlich ist beides gegeben.
Wir werden unsere Wirtschaftspolitik deshalb weiterhin
so fortführen, um mehr Menschen Arbeitsplätze zu geben
und weniger Empfänger von Arbeitslosenunterstützung
oder Sozialhilfe zu haben. Diejenigen, die sich selbst
durch Arbeit helfen können, helfen sich am besten — wo-
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