Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
80. Sitzung vom 5. Dezember 1984
Sehr
(A) nutzen würde, um einen Oktroi auszusprechen. Ich habe
immer gezögert zu glauben, daß so billig vorgegangen würde.
Jetzt hat sich vor zwei Tagen gezeigt: Es wurde so billig
vorgegangen. Der Senator hat tatsächlich einen Brief ge
schrieben an die Fachhochschule für Wirtschaft: Innerhalb von
14Tagen soll sie zu seinem Vorschlag Stellung nehmen, wenn
dann nichts kommt, wird er die Einsetzung des Kandidaten Nr.
1 der Professorenmehrheitsliste vornehmen. Warum nun die
Kritik daran? - Es bestehen hier Behauptungen - ich sage
ausdrücklich: Behauptungen -, daß die Gutachten, die der
Senator über diesen Betreffenden eingeholt hat, nicht ausrei
chen. um die Bestellung auf diese Professur durch ihn zu
rechtfertigen - ja mehr noch: daß sich der Senator entgegen
seiner Pflicht überhaupt nicht darum bemüht hat, über die
Kandidatin, die vom Akademischen Senat vorgeschlagen
wurde, Gutachten einzuholen.
Nun zu diesem offenbar geplanten Oktroi: In einem solchen
Fall muß das Parlament handeln, wenn es überhaupt in seiner
Kontrollfunktion glaubwürdig bleiben will. Ich wähle nur
ungern starke Worte, muß aber sagen, wenn das Parlament
auf diese Aufgabe verzichtet, dann haben wir eine Diktatur.
[Gelächter bei der CDU]
Ich wähle dieses Wort bewußt, denn zu diesem Oktroi hat der
Senator rechtlich die Möglichkeit, die ihm keiner bestreitet.
Wenn sich aber ein solcher Oktroi der Kontrollmöglichkeit
entzieht, verzichtet ein Parlament auf die Kontrollaufgaben,
die ihm die Wähler übertragen haben. Genau das ist hier mein
Argument.
[Elsner (CDU): Na also! Was willst du denn?
Für jeden einen Ausschuß?]
(B) - Nein, wenn ein solcher Verdacht besteht und auf andere
Weise eine Lösung nicht möglich gewesen ist.
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Bitte, nicht mehr so
lange, die Leute sind hier alle fertig. Es hört
Ihnen doch keiner mehr zu!]
- Ja, ich mache auch schnell. Ich erspare mir alle anderen
Anschuldigungspunkte. Ich bin gleich fertig. Sie können mir
nicht den Vorwurf machen, ich rede weitschweifig. Darüber
haben wir uns doch gerade kürzlich unterhalten.
Stellv. Präsident Longolius: Meine Damen und Herren! Ich
bitte um mehr Aufmerksamkeit. Im Augenblick verzögern die
Zwischenrufe nur die weitere Debatte.
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU):
Das sehen Sie falsch, Herr Präsident!]
Behr (AL): Meine Forderungen sind: Erstens sollte sich das
Parlament ernst nehmen in seiner Kontrollfunktion. Also sollte
auch die CDU einem solchen Untersuchungsausschuß, wie
wir ihn fordern, zustimmen. Zweitens ist es demokratische
Tradition, daß dann, wenn gegen einen Senator oder Regie
rungsvertreter massive Beschuldigungen erhoben werden -
und das ist eine -, dieser als erster großen Wert darauf legen
sollte, die Möglichkeit zu bekommen, zu diesen Beschuldigun
gen Stellung zu nehmen. Das kann er nur in einem Untersu
chungsausschuß, denn nur dieser hat die Möglichkeit, Gutach
ten, um die es hier unter anderem ging, zu überprüfen. Herr
Kewenig sollte das also ausdrücklich unterstützen.
Weiter: Es ist jetzt der Vorschlag gekommen, einen solchen
Antrag in die Ausschüsse für Wissenschaft, für Inneres und für
Frauenfragen hineinzubringen, Frauenfragen aus dem Grund,
weil hier die Behauptung besteht, daß der Senator entgegen
seinem eigenen Anspruch, sich bei gleichwertiger Qualifika
tion für die Einsetzung einer Frau zu bemühen, nicht bereit ist, (C)
dem Vorschlag zu folgen. Ob das so richtig ist, muß der
Untersuchungsausschuß zeigen. Unser Verdacht ist nun, daß
die Beschäftigung von drei Ausschüssen, von denen noch
nicht einmal feststeht, daß sie noch tagen werden, zu einer
nicht zu rechtfertigenden Verzögerung führt.
Da Sie bissig waren, komme ich ebenfalls zu einer bissigen
Abschlußbemerkung und schlage vor, diese Sache auch noch
in den Sportausschuß zu bringen, weil das Verhalten des
Senators
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU):
Unsportlich war!]
den Blutdruck so hoch gebracht hat, daß ich denjenigen, die
sich aufgeregt haben, nur sagen kann: Treibt Sport! Also, auch
in den Sportausschuß.
[Beifall bei der AL]
Stellv. Präsident Longolius; Nächster Redner Ist der Kollege
Dr. Kremendahl.
Dr. Kremendahl (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren!
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU);
Mensch, der hat zwei Pfund Papier mit!]
Ich versuche das angesichts der vorgerückten Stunde einmal
im Telegrammstil.
[Beifall]
Für den Antrag auf Untersuchungsausschuß liegen mehrere (®)
Ausschußüberweisungen vor, dort sollten wir in der Sache
weiter diskutieren. Ich halte es allerdings im Sinne des
Selbstverständnisses des Parlaments für unannehmbar, dem
Senator durchgehen zu lassen, daß er zu einem zentralen
Gegenstand des möglichen Untersuchungsausschusses-und
damit einer parlamentarischen Entscheidung - durch seinen
Brief vom 3. Dezember an die Fachhochschule, in dem er eine
bestimmte Berufungsentscheidung ankündigte, vollendete
Tatsachen geschaffen hat, ehe das Parlament mit seinen
Überlegungen zu Ende gekommen ist. Dies halte ich - wie ich
gestern in einer Presseerklärung sagte-für ein im doppelten
Sinne wilhelminisches Vorgehen, das wir als Parlament nicht
hinnehmen können.
Ich möchte deshalb dem Senator fünf konkrete Forderungen
stellen, die sich auf unseren Dringlichkeitsantrag beziehen,
die ihn auffordern, keine vollendeten Tatsachen zu schaffen.
Erstens: Nehmen Sie, Herr Senator, Ihren Brief vom 3.
Dezember an die Fachhochschule zurück. Zweitens; Erklären
Sie sich vor dem Parlament bereit, vor Abschluß des parla
mentarischen Entscheidungsprozesses, der hier in Gang
gekommen ist, keine Berufung auszusprechen und keine
vollendeten Tatsachen zu schaffen. Drittens: Erklären Sie sich
bereit, für alle für die Stelle „Wirtschaftssoziologie“ in Rede
stehenden und auf Listenvorschlägen plazierten Bewerber
vergleichende Gutachten einzuholen. Viertens; Erklären Sie
sich bereit, diese Gutachten der FHW zur Kenntnis zu bringen.
Fünftens: Unternehmen Sie von sich aus einen Versuch, um in
der Hochschule eine einvernehmliche Lösung herbeizufüh
ren, die einen Oktroi überflüssig machen würde.
Dies sind fünf konkrete Forderungen. Eigentlich müßten Sie
alle im Sinne der Selbstachtung des Parlaments unserem
Antrag, der den Senator dazu auffordert, zustimmen. Nun höre
ich, daß von den Koalitionsfraktionen ein Ersetzungsantrag
kommt, der im Grunde dem Senator freie Fahrt gewährt. Wenn
dies so ist, beantrage ich hier vorsorglich die Überweisung
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