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Volume Nr. 71, 28. Juni 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1984/85, 9. Wahlperiode, Band V, 71.-86. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
71. Sitzung vom 28. Juni 1984 
Ueberhorst 
i (A) daß alle Gesellschaften, die sich herausreden wollen, 
nicht genügend Mittel für die notwendigen umweltpoli 
tischen Maßnahmen zu haben, sich von ihren Bürgern 
fragen lassen müssen, woher sie die Milliarden für Rü 
stungsausgaben haben, nicht aber für die umweltpoliti 
schen Maßnahmen, auf die die Bürger in Ost und West 
gleichermaßen so stark warten, wie sie in Ost und West 
auf die Abrüstung warten. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Deshalb meine ich, daß es richtig ist, diesen Zusammen 
hang hier zu unterstreichen. Da vertun wir uns gar nichts, 
ganz im Gegenteil. Wir haben die Aufgabe, hier deutlich 
zu machen, daß solche Konferenzen — und da gibt es in 
den Zeitungen Überschriften wie „Umweltkonferenz 
konnte sich auf gemeinsame Abschlußerklärung einigen“ 
— doch nur zu beschönigenden Formeln führen. Worauf 
die sich wirklich geeinigt haben — ich habe das eben an 
gesprochen —, wird in zu kurzem Umfang erwähnt. Das 
Prinzip dieser Einigung — und das ist für internationale 
Konferenzen nicht unüblich — ist doch das, daß man sich 
auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Wir als 
( Parlamentarier sollten deutlich sagen: Der kleinste ge 
meinsame Nenner zwischen all diesen Staaten greift viel 
zu kurz und kann nie die umweltpolitischen Anstrengun 
gen zustande bringen, die wir in Europa brauchen. 
Wir sollten auch darüber reden, welche Themen auf 
dieser Konferenz gefehlt haben. Da hat wohl auch das 
Thema gefehlt, daß man nicht nur isoliert auf Schwefel 
dioxid und andere Schadstoffe eingehen soll, sondern 
daß bei einer Behandlung in Europa auch davon auszu 
gehen sei, daß im 19. und 20. Jahrhundert in Europa eine 
Industriekultur entwickelt worden ist, die zu den entsetz 
lichen Umweltbelastungen im Laufe von Jahrzehnten oder 
(B) der letzten über hundert Jahre geführt hat. Was wir aber 
zur Zeit von unseren Regierungen in Westeuropa erwar 
ten müssen, ist die ökologische Wende in der Industrie 
kultur, wenn nicht das Ende dieser Industriekultur einge 
läutet werden soll. Darüber ist aber überhaupt nicht ge 
sprochen worden, es ist viel zu punktuell, zu isoliert ge 
sprochen worden. Es ist eben nicht über eine umfassende 
ökologische Wirtschaftspolitik auf dieser Konferenz ge 
sprochen worden. Das hätte ich aber erwartet, und das 
erwarte ich auch von diesem Senat, denn das ist hier 
ebenso überfällig wie bei vielen nationalen westlichen 
Regierungen. Daß das nicht rüberkommt, macht eben 
deutlich, daß ich zum Abschluß sagen muß: Wir haben 
allen Grund, die Aktuelle Stunde zum Anlaß zu nehmen 
und zu sagen, daß es viele überfällige Maßnahmen gibt, 
gerade auch in Berlin, wo der Senat nicht rüberkommt. 
Wir sollten nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner 
warten bzw. ihn noch als Fortschritt ausgeben, sondern 
sollten im westlichen und östlichen Europa besser in eine 
Konkurrenz der Vorbilder eintreten. Da ist Berlin (West) 
aber noch weit davon entfernt, ein Vorbild zu sein. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Das Wort hat Senator 
Vetter. 
I 
Vetter, Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz: 
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt sicher 
nicht wenige Menschen und insbesondere engagierte Um 
weltschützer, die die Frage stellen, ob der Aufwand einer 
solchen Konferenz in einem gesunden Verhältnis zum Er 
folg steht. Ich habe auch Verständnis dafür, wenn gerade 
junge Menschen — aufgrund der Versäumnisse über Jahr 
zehnte in diesem Bereich von Ungeduld getrieben — sich 
sofort greifbare Ergebnisse wünschen. Aber trotzdem hat 
eine solche Konferenz ihre Eigenwirkung. Wenn man be 
denkt, wie viele internationale Wirtschaftskonferenzen es (C) 
in den letzten 30 Jahren gegeben hat, und vergleicht, wie 
wenig über Umweltschutz gesprochen worden ist, dann 
sage ich, daß hier doch erstmals deutlich wird — das geht 
auch aus der Rede des Bundesinnenministers und anderer 
Redner hervor —, daß auf einer großen internationalen 
Konferenz die Ökologie doch mindestens als gleichwertig 
mit politischen Zielen der Ökonomie und anderen Berei 
chen angesehen wurde. Dies sollte man nicht herunter 
spielen. Selbstverständlich ist das Umweltbewußtsein 
noch nicht überall gleich groß. Ich gebe zu, es ist auch 
bei uns erst in den letzten Jahren gewachsen. 
Es gibt nun einmal andere Länder — z. B. Spanien —, wo 
Natur und Hochindustrialisierung nicht so dicht beieinan 
der liegen, wo man die Dinge eben nicht so scharf wie 
bei uns sieht. Ich halte es deshalb für bedeutsam, daß 
es unabhängig von Wirtschaftssystemen und Ideologien 
möglich war, eine solche Konferenz mit 31 Staaten durch 
zuführen, die auch eine einheitliche Zielsetzung hatte. 
Herr Kollege Ueberhorst, selbstverständlich ist eine 
Senkung des Schwefeldioxidgehalts um 30 % bis 1990 nicht 
ausreichend. Darüber gibt es keine Diskussion. Sie wissen, 
daß selbst unsere Pläne — ich komme noch darauf zurück — 
noch zu beschleunigen sind. Da soll der Schwefeldioxid 
gehalt in diesem Zeitraum bei den Kraftwerken um 80% 
gesenkt werden. Eine Gesamtsenkung der Emissionen 
ist um 50 % vorgesehen. Ich sage aber auch genauso deut 
lich, was durch eine solche Konferenz nicht geschehen 
darf. Es darf nicht dazu kommen, daß man sagt: Jetzt 
haben wir zusammengesessen, wir haben festgestellt, 
in diesem oder jenem Land ist man noch weiter zurück 
als bei uns, jetzt können wir uns auf unseren Lorbeeren 
ausruhen. — Wenn man nur wieder auf den Nachbarn 
schielt, was der tut, wäre das nur die Fortsetzung einer 
Politik der hohen Schornsteine, die in dieser Beziehung (D) 
geradezu eine Perversion darstellt, indem man die eigenen 
Emissionen weit weggepustet und bei anderen abgeladen 
hat. 
Gerade dann, wenn man auf Belastungen von außerhalb 
hinweist — ich habe das vor 14 Tagen auch in der Debatte 
hier getan, glaube aber, dies objektiv getan zu haben —, 
auf die Emissionen der DDR, die bei uns als Immissionen 
wirken, eingeht, dann muß man natürlich im eigenen Be 
reich alle Anstrengungen unternehmen — darüber gibt es 
keinen Dissens —, um seinen eigenen Anteil an der Mini 
mierung von Luftschadstoffen zu bringen. 
[Freudenthal (AL): Und was passiert?] 
— Ich komme noch darauf zurück. Ich will ganz deutlich 
werden: Wenn man auf weiteres wirtschaftliches Wachs 
tum setzt — und wir tun das —, dann muß man natürlich 
dafür sorgen, daß Kraftwerke und Industrie ihren Schad 
stoffausstoß ganz gewaltig senken. Gerade wenn man 
das Kraftfahrzeug nicht verteufelt, es als sinnvoll für die 
Lebensqualität ansieht, dann muß man dafür kämpfen, daß 
der Schadstoffausstoß aus den Kraftfahrzeugen radikal ge 
senkt wird. Wenn man davon ausgeht, daß auch Millionen 
städte oder eben die Millionenstadt Berlin (West) sinn 
vollen Lebenshintergrund haben sollen, dann muß man da 
für sorgen, daß die Hausbrandversorgung eben entschwe- 
felt, entgiftet wird. Deshalb werden wir unsere Maßnah 
men hier in Berlin mit aller Intensität fortsetzen. 
Erste Erfolge wurden bereits erzielt. In der Zeit von 
1976 bis 1979 lagen die Schwefeldioxidkonzentrationen in 
Berlin im Mittel bei 100 Mikrogramm. 1983 lagen sie nur 
noch bei 70 Mikrogramm. Diese Verbesserung ist neben 
Witterungseinflüssen im wesentlichen auf Emissionsmin 
derungen im Bereich Hausbrand zurückzuführen. Die Haus 
brandemissionen betrugen 1977 noch 16 900 Tonnen 
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