Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
76. Sitzung vom 25. Oktober 1984
Kollat
auf die Gründung einer Akademie der Wissenschaften? Ich
frage weiter-und das steht nicht darin, ich will es aber einmal
ergänzen: In welcher Form wird die Rolle der Frau in der
Geschichte Berlins dargestellt? - Das ist eine lange und, ich
glaube, äußerst wichtige und interessante Geschichte: die
Rolle der Frau in dieser Stadt.
[Beifall bei der AL, teilweise bei der SPD]
Ich frage weiter: Wann erhält der Berliner Kulturrat eine
Antwort auf sein Drehbuch? Ich gebe zu: Es sind 247 Seiten;
aber wenn Abgeordnete diese 247 Seiten schon durchgearbei
tet haben, dann darf man das wohl mit Fug und Recht auch von
der Verwaltung und damit vom Senat erwarten.
[Rasch (F.D.P.); Der hat mehr Zeit!]
-Darüber gibt es keinen Streit, Flerr Rasch. Das sollten Sie aus
eigener lustvoller oder leidvoller Erfahrung wissen.
[Rasch (F.D.P.); Ich stimme Ihnen völlig zu. Sie
haben recht.]
- Das ist sehr nett von Ihnen. Ich bedanke mich für diese
Übereinstimmung.
Meine Damen und Herren! Aber ich muß noch weiter fragen.
Es heißt hier in dem Antrag, den das Haus 1983, und zwar
bereits im Mai, beschlossen hat, daß in Darstellungen und
Publikationen, wissenschaftlichen Veranstaltungen und Doku
mentationen die Kenntnis der wechselvollen Geschichte un
serer Stadt vertieft werden soll. Ich frage nur mit einem
Beispiel: Hat die Historische Kommission im Hinblick auf ihr
umfangreiches Publikationsprogramm, das sie am 7.12.1983
erstmalig eingereicht hat, bereits eine Antwort? Wie steht es
damit?-Wir haben keine Kenntnis und wären dankbar, wenn
wir hier Aufklärung erhielten.
Als letzte meiner Fragen für heute, nicht etwa die allerletzte,
es gibt noch viele: Es heißt in Punkt 11 unseres gemeinsamen
Antrages: „Zur Vorbereitung soll ein Ausschuß berufen wer
den, der vom Regierenden Bürgermeister geleitet wird.“ Der
ist berufen, das weiß ich; aber damit stelle ich die Frage, die
wird nachher noch diskutiert werden: Wann wird der Beirat,
von dem hier die Rede ist- und wenn ich mich nicht irre, kam
der erste Antrag zu einem solchen Beirat von der CDU-
Fraktion im Jahre 1982; ich glaube, wir könnten jetzt ein
zweijähriges Jubiläum feiern -, wann wird dieser Beirat zu
Stuhle kommen? - Sie sehen also, meine Damen und Herren:
Fragen überFragen. Aber manchmal muß man, damit es keine
Mißverständnisse gibt, wiederholen.
Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermei
ster! Ich sage das jetzt als gebürtiger Berliner, ich sage es an
den Regierenden Bürgermeister, der ebenfalls ein gebürtiger
Berliner ist: Uns ist es mit diesem Jubiläum ernst! Uns geht es
nicht um Wahlkampf, sondern uns geht es um das Jubiläum
unserer Vaterstadt, uns geht es um das Jubiläum unserer
Heimat. Deswegen erlauben Sie mir, daß ich an den Schluß
meiner Ausführungen ein Wort von Tucholsky setze. Es ist in
diesem Hause schon einmal zitiert worden, Sie wissen aber,
Wiederholung ist zuweilen das Salz bei Lernprozessen. Tu
cholsky sagt in einem seiner Aufsätze: „Im Patriotismus
lassen wir uns von jedem übertreffen. Wir fühlen international,
ln der Heimatliebe von niemand - nicht einmal von jenen, auf
deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser
ist es. Deutschland ist ein gespaltenes Land; ein Teil von Ihm
sind wir. Und in allen Gegensätzen steht unerschütterlich -
ohne Fahnen, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und
ohne gezücktes Schwert-die stille Liebe zu unserer Heimat.“
[Beifall bei der SPD, teilweise bei ler CDU und
der F.D.P.]
Stellv. Präsident Longolius: Nächster Redner ist der Abge
ordnete Wohlrabe.
Wohlrabe (CDU); Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ich darf dem Kollegen Kollat danken
dafür, daß er in weiten Teilen seines Beitrages versucht, die
Gemeinsamkeit, die uns im Ausschuß für Bundesangelegen
heiten bisher in vielen Fragen verband, hier deutlich zu
machen. Ich möchte nicht den Eindruck entstehen lassen, daß
gerade dieses Thema ein typisches Thema für parteipolitische
Kontroversen sein könnte. Nur, wenn die Sozialdemokraten
das partiell auch dachten oder schrieben, dann bitte ich für die
Durchsetzung der Redlichkeit dieses Anliegens auch beizu
tragen, indem in den Schriftstücken des Hauses polemische
Worte wie „Kompetenzwirrwarr“ oder „Programmwirrwarr“
oder „Kompetenzgerangel“ in Zukunft entfallen und eine
sachlichere Ausdrucksweise Platz greift. Ich glaube, das
würde der Sache sehr zweckdienlich sein.
Das zweite: Ich möchte dem Regierenden Bürgermeister
sehr herzlich danken für seine umfassende, ausführliche
Darstellung der bisher getroffenen Vorbereitungen. Es ist
unstrittig, daß es dazu verschiedene Auffassungen geben wird
an der einen oder anderen Stelle. Das ist auch gut so. Er selbst
hat zu der Begleitdiskussion aufgerufen. Wir, die Fraktionen
des Hauses, werden in guter Absicht dies aufnehmen und
dazu unsere Beiträge zu leisten haben.
Bei der Diskussion über das Konzept und die Vorbereitun
gen der 750-Jahr-Feier Berlins sollten wir - und das scheint
sich ja zu einem wesentlichen Grundsatz herauszukristallisie
ren - einen wichtigen Grundsatz nicht aus dem Auge verlie
ren: Was 1987 in unserer Stadt sichtbar gemacht und gefeiert
werden soll, ist nicht nur eine Sache des Senats von Berlin
oder der Ausstellungs- und Programmacher, dieses Dreivier-
tel-Jahrtausend-Jubiläum ist auf jeden Fall eine Sache aller
Berliner, unabhängig davon, wo sie politisch stehen. Und ich
meine damit nicht nur die West-Berliner, sondern auch unsere
Mitbürger jenseits der Mauer; ich meine damit ebenso eine
gute Million Berliner, die heute, eben weil sie anderswo
arbeiten, nicht mehr zwischen Spree und Havel leben, die wir
nicht vergessen sollten und die in dieses Jubiläum einzube
ziehen sind.
[Beifall bei der CDU]
Ein großer Teil von ihnen sind ganz wichtige Botschafter für
uns draußen und fühlen sich auch heute noch mit Berlin und
dem Schicksal der Stadt eng verbunden - das zeigt allein die
große Wirksamkeit zum Beispiel des Bundes der Berliner im
In- und Ausland. Alle jene müssen mit einbezogen werden in
unsere Gedanken, unsere Vorbereitungen - was werden die
draußen denken, wenn wir hier kleinkarierte Diskussionen
betreiben für eine so wichtige Sache?
[Beifall bei der CDU, teilweise bei der F.D.P.]
Ich möchte in dem Zusammenhang aber auch die vielen
tausend ehemaligen Berliner nennen, die 1933 und in den
Jahren danach aus rassischen und politischen Gründen zur
Emigration gezwungen wurden oder die als Opfer der schlim
men Verfolgungszeit überlebten. Über 16000 von ihnen sind
inzwischen wieder gern als Gäste in ihre alte Heimatstadt
zurückgekommen, obwohl sie heute in Israel, in den Vereinig
ten Staaten, in Kanada, in Argentinien, in Australien, in
Großbritannien leben. Und es ist gut, daß der Regierende
Bürgermeister gerade wieder vor wenigen Tagen eine Grup
pe dieser emigrierten Berliner empfangen hat. Sie ebenfalls
einzubeziehen in unsere Vorbereitungen, sie mit für das
Anliegen der 750-Jahr-Feier Berlins zu gewinnen, ist für mich
und für meine Fraktion eine ganz wichtige Aufgabe.
Wenn wir also über die Vorbereitungen reden, dann sollten
wir den Begriff des Berlinertums wirklich kosmopolitisch
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