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Volume Nr. 74, 24. September 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1984/85, 9. Wahlperiode, Band V, 71.-86. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
74. Sitzung vom 27. September 1984 
Frau Zieger 
(A) Eine schwangere Frau kann normalerweise erst zehn Tage 
nach Ausbleiben der Regel feststellen - das ist meist die fünfte 
bis sechste Woche-, daß sie schwanger ist. Der Zeitpunkt, in 
dem ein ambulanter Abbruch für die Frau am ungefährlichsten 
ist, liegt in der achten bis neunten Woche. In diesen drei 
Wochen hat eine Frau andere Dinge zu tun, als solche 
Fragebögen auszufüllen, Herr Schicks! 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
In diesen drei Wochen muß man sich überlegen, ob man das 
Kind will, ob man es haben kann. Das sind ganz schwierige 
Entscheidungen, da habe ich keine Zeit, mir zu überlegen, ob 
ich noch 2000 DM brauche. 
[Zurufe aus der CDU] 
-Sie lächeln so, weil Sie nicht verstehen, daß wir das als einen 
ungeheuren Eingriff auf unsere Person begreifen, daß man 
meint, diese Entscheidung mit einer läppischen Geldsumme 
von 2- bis 3000 DM gleichsetzen zu können. Sie wollen nicht 
verstehen, daß wir das ganz bitter ernst nehmen. 
[Beifall bei der AL und der SPD - Schicks (CDU); 
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, Frau Zieger, daß 
auch ich das sehr ernst nehme!] 
- Herr Schicks, ich habe selber eine Tochter, ich bin alieiner- 
ziehende Mutter. Wenn ich ein zweites Kind bekommen 
möchte, was mir da für Überlegungen durch den Kopf gehen. 
Dabei geht es nicht um 2000 DM. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Da geht es vielleicht darum, ob ich mein Kind in derselben Kita 
(B) unterbringen kann, ob ich noch eine Arbeitsstelle finde, wo ich 
erst um 9 Uhr anfangen und mein Kind um 4 Uhr wieder 
abholen kann. Solche Fragen bewegen mich dann. Dann 
überlege ich mir, ob ich allein eine Berufsausbildung für zwei 
Kinder bezahlen kann. Das sind die Fragen, die einen dann 
bewegen. 
[Dr. Mahlo (CDU): Das ist heroisch, was Sie da 
machen! - Zuruf von der SPD: Das ist ja unerträg 
lich!] 
Und da braucht man dann Hilfe. 
Das Problem ist, daß diese Debatte, in der Herr Fink sich ja 
immer zu profilieren versucht, eine Debatte der Männer über 
die Frauen ist. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Man denkt, daß man mit Stiftungsgeldern und solchen Taten 
die Probleme lösen kann. Ich bin da viel pragmatischer. Was 
man braucht, ist ein Kita-Platz, eine Arbeit, wo man nicht 40 
Stunden arbeiten muß, wo man den Haushalt versorgen kann. 
Das sind so zwei Grundsäulen, und wenn die nicht sicher sind, 
ist alles andere nebensächlich. Solange Sie diese beiden 
Grundsäulen nicht sicherstellen können, Herr Fink, können 
Sie mir noch soviel über Kita-Ausbauprogramme erzählen. Es 
gibt immer noch genügend Frauen, die das nicht können. Ich 
weiß - ich habe es noch einigermaßen leicht gehabt, weil ich 
Dringlichkeitsstufe 1 habe -, aber ich weiß, wie es den Frauen 
geht, die nicht die Dringlichkeitsstufe 1, sondern 3 haben. Die 
warten, warten und warten und müssen zu Hause Sitzenblei 
ben. 
Solange Sie diese zentralen Fragen nicht beantworten 
können, ist Ihr ganzes Familienprogramm, ist Ihre ganze 
Gleichberechtigungsaktion nichts wert. Damit wird sich auch 
Frau von Braun auseinandersetzen müssen. Es geht um 
ernstere Fragen als um 2000 DM. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Präsident Rebsch: Das Wort hat nun der Abgeordnete 
Krüger. 
Krüger (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr verehrten 
Damen und Herren! Die Zahlen, die Herr Senator Fink für die 
erste Phase dieses Gesetzes vorgelegt hat, reden eine sehr 
gute Sprache. Frau Reichel-Koß, wenn Sie im Zusammenhang 
milder Stiftung über die Sozialhilfe gesprochen haben, die für 
viele Dinge zuständig ist, so haben Sie recht; Es ist deren 
Aufgabe. Aber man muß auch sehen, daß diese Stiftung nicht 
nur alleinstehenden Frauen im Zusammenhang mit dem § 218 
StGB gilt, sondern insgesamt für notleidende Familien ge 
dacht ist. Bitte beziehen Sie sich also nicht immer nur auf 
diesen einen Punkt. 
Ich habe gestern vor dem Zimmer des Regierenden Bürger 
meisters eine Diskussion mit 20, 25 Leuten gehabt, in der es 
um die BAföG-Leistungen ging; Sie wissen, daß für den Monat 
August diese Studierenden an das Sozialamt verwiesen 
wurden. Ich habe in dieser Diskussion feststellen können, daß 
viele dieser durchaus vernünftigen Leute eine Scheu vor dem 
Sozialamt haben. Sie können sicherlich davon ausgehen, daß 
auch bei den Familien oder auch bei der alleinstehenden 
Frau, die Hilfe brauchen, das Sozialamt eine gewisse Hemm 
schwelle bedeutet. 
[Ulrich (SPD): Ein schlimmes Beispiel!] 
- Das ist aber keine neue Erfahrung, Herr Ulrich; die Angst vor 
der Sozialhilfe ist uralt. 
[Ulrich (SPD): Wenn Ihre Regierung in Bonn das 
streicht!] 
-Seien Sie doch zufrieden, wenn wir in Berlin und anderswo 
jetzt Möglichkeiten finden, um zu helfen. Das ist ja nicht das 
einzige Beispiel. Wir haben heute und auch schon vor einigen 
Wochen darüber gesprochen, was der Senat in Bonn tut, um 
die Notlagen zu mildern. 
[Ulrich (SPD): Unsoziale Politik!] 
Wir haben eine Möglichkeit hierfür gefunden. 
Hier ist die Formalität der Fragebögen kritisiert worden. Ja, 
meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man 
irgendwo hingeht und Geld haben möchte, wird man Auskünf 
te geben müssen, muß man Fragebögen ausfüllen. Die 
Stiftung für die Familie kann doch nicht einfach das Geld so 
ausgeben; auch hier werden Fragebögen auszufüllen sein. 
Ich möchte mich kurz fassen; ich hatte vorhin gesagt, ich 
brauche nur einige Minuten. Das Wesentliche wurde schon 
gesagt. Ich betone noch einmal: Stützen Sie Ihre Argumente 
nicht allein auf den § 218 StGB, 
[Glocke des Präsidenten] 
sondern beachten Sie, daß hier Hilfe für die ganze Familie 
geleistet wird. Wenn das eine oder andere nicht funktioniert, 
wenn das eine oder andere verbesserungswürdig ist: Sie 
wissen alle so gut wie ich, daß es eine neue Stiftung ist, die 
Erfahrungen sammeln muß. Wir alle in diesem Hause sind 
aufgerufen, zu gegebener Zeit Änderungen vorzunehmen, 
wenn sich dies aus der Praxis als notwendig erweisen sollte. 
Stimmen wir heute dieser Vorlage zu! Ich glaube, wir werden 
gute Erfahrungen damit machen. - Ich danke Ihnen. 
[Beifall bei der CDU] 
(C) 
(D) 
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