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Volume Nr. 74, 24. September 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1984/85, 9. Wahlperiode, Band V, 71.-86. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
74. Sitzung vom 27. September 1984 
(A) Tietz (AL): Meine Damen und Herren, es ist schon komisch, 
wenn selbst der Herr Preuss hier noch einmal die Bestätigung 
dafür liefert, welches Dilemma die derzeitige Ausbildungs 
platzsituation darstellt, daß es nämlich 20 bis 25% Abbrecher 
gibt. Genauso sehe ich es als eine Bestätigung, wenn der Herr 
Senator berichtet, daß 10% angeblich nicht willig seien. Ich 
glaube, Herr Wronski, daß Sie darüber eigentlich einmal 
nachdenken müßten, welche Ursachen und welche Probleme 
dahinter stehen. 
[Wagner (SPD): Sehr wahr!] 
Daß das eine entscheidende Frage ist, mit der wir uns 
beschäftigen müssen, liegt offensichtlich auf der Hand; und 
das ist auch eine jugendpolitische Frage oder, genauer 
gesagt, eine sozialpädagogische Frage. Es gilt, darüber 
nachzudenken, in welcher Situation sich Jugendliche in unse 
rer Stadt überhaupt befinden; das ist nach meiner Meinung 
der Punkt, über den auch weiter diskutiert werden muß. ln 
diesem Zusammenhang kann ich nur immer wieder auf 
unsere Große Anfrage hinweisen, zu der es wirklich interes 
sant wäre, bei diesen ganzen Problemen einmal in die Tiefe zu 
gehen. Wenn Sie dann aber, Herr Preuss, noch einmal 
erzählen, daß wir Modellfall für die Ausbildung seien, dann 
kann ich eigentlich nur darüber lachen. Wenn man sich die 
Zahl, die Herr Wagner eindrucksvoll vorgetragen hat, noch 
einmal vor Augen führt, daß nämlich im Verhältnis zur 
gesamten Arbeitnehmerschaft nur eine Ausbildungsquote von 
5,7% in dieser Stadt im Vergleich zum Bundesdurchschnitt 
von 8% existiert, und wenn das modellhaft sein soll, dann 
kann man nur feststellen, daß es eben nach wie vor einen 
großen Mangel gibt, dem unbedingt abgeholfen werden muß. 
Und jetzt etwas zu den Zahlen: Die Problematik - Herr 
Wronski, das wissen Sie selbst, und das wird auch allgemein 
(B) von der Öffentlichkeit, von Fachleuten usw. anerkannt - liegt 
doch darin, daß es hier Dunkelziffern gibt. Wenn man aber von 
der bekannten Zahl ausgeht, die in der Statistik erfaßt ist, das 
heißt also, alle die, die sich arbeitslos gemeldet haben - bis 20 
Jahre -, dann sind es 4250. Dann haben Sie eben selber die 
Zahl genannt: 15000 sind es aber insgesamt bis zum Alter von 
25 Jahren. Ich gehe ausdrücklich von dieser Zahl aus, nämlich 
daß es jugendliche Arbeitslose bis zum Alter von 25 Jahren 
gibt, und halte mich dabei praktisch an die EG-Norm. 
Wenn man dann die Zahl von 3500 in berufsfördernden 
Maßnahmen hinzunimmt und auch die Zahl von 6652 Perso 
nen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, schließlich noch die 
Zahl der Sozialhilfeempfänger - bekanntlich ist ja von der 
Gesamtzahl der Sozialhilfeempfänger ein Drittel junge Leute, 
das heißt ca. 15000-, dann komme ich allein dadurch auf eine 
Gesamtzahl von ca. 30000 bis 40000. Ich habe vorhin von 
40000 bis 50000 gesprochen. Das heißt, das ist genau diese 
Dunkelziffer und eben eine hohe Zahl, mit der wir uns 
auseinandersetzen müssen. Da müssen also Maßnahmen 
ergriffen werden. 
Dann komme ich noch zu dem Punkt, wo Sie Appelle in die 
Welt setzen. Ich meine, das ist doch im Grunde genommen 
neben den Maßnahmen, die der Senat ergriffen hat-. Für wen 
eigentlich diese Appelle? Entweder gibt es dieses Problem 
seit drei oder vier Jahren oder nicht. Ich meine, daß man 
Maßnahmen ergreifen muß. 
Zwei Punkte, die ich vorhin wegen meiner ablaufenden 
Redezeit nicht nennen konnte, möchte ich hier noch einmal 
herausstellen. Der erste Punkt ist eine bekannte gewerk 
schaftliche Forderung, daß nämlich eine Meldepflicht für alle 
Betriebe eingeführt werden sollte, wonach sie anzugeben 
hätten, wie viele Ausbildungsplätze sie zur Verfügung haben 
und wie viele sie belegt haben. Dadurch sollte erkennbar 
werden, daß entweder hier noch Kapazitäten frei sind oder 
eben nicht. Und damit verbunden ist eine weitere bekannte 
gewerkschaftliche Forderung, nämlich eine überbetriebliche 
Umiagefinanzierung aller Betriebe in den jeweiligen Bran- (C) 
chen zu schaffen, um somit eine Finanzierung für die berufli 
che Bildung zu schaffen. Letztendlich hat ja doch die Wirt 
schaft - und um die geht es ja hier auch, wenn es um 
Ausbildung geht - ein großes Interesse daran, qualifizierte 
Arbeitskräfte ’zu bekommen. Solche brauchen wir ja eher in 
der Zukunft noch mehr als weniger. Das bedeutet also, daß der 
Staat hier nicht immer nur subventionieren kann, sondern daß 
es darum geht, daß die Ausbildungsangebote durch die 
Unternehmer verbessert werden. 
Und da kommt dann auch noch eine interessante Zahl, daß 
nämlich in unserer Stadt nur 20% der Betriebe überhaupt 
ausbilden. 80% der Betriebe in Berlin bilden also überhaupt 
nicht aus. Deshalb steht diese Forderung unbedingt auf der 
Tagesordnung. 
Ich möchte äuch noch erwähnen, daß es dieses Beispiel 
schon im Bauhauptgewerbe gibt. Dort findet eine Umlage statt 
für die Berufsausbildung. Sie beträgt 1,7% der Bruttolohn 
summe, so daß das Bauhauptgewerbe im Bundesmaßstab 
1,78 Milliarden DM zusammengebracht hat. Dieses Geld fließt 
dann in die berufliche Ausbildung im Baugewerbe. Diesem 
Beispiel und dieser Forderung müssen sich andere Branchen 
der Wirtschaft anschließen. Das sollte auch dieser Senat 
fordern und eben nicht nur immer mit Appellen an die 
Wirtschaft herantreten. 
[Beifall bei der AL] 
Stellv. Präsident Longolius: Das Wort hat Senator Wronski. 
Wronski, Senator für Arbeit und Betriebe: Herr Präsident! 
Meine Damen und Herren! Hier sind noch einige Fragen 
gestellt worden. Ich halte mich - der Achtung des Parlaments 
entsprechend - für verpflichtet, diese zu beantworten. 
Darf ich einmal mit dem letzten Beitrag von Herr Tietz 
beginnen und das Stichwort von der Umlagefinanzierung 
aufgreifen. Ich mache das ohne Leidenschaft. Wissen Sie, der 
Knüppel mit der Umlagefinanzierung - „Knüppel“ ist übrigens 
kein Wort von mir, sondern eines von einem Kollegen aus 
einem A-Land, der das neulich bei der Arbeits- und Sozialmi 
nisterkonferenz benutzt hat; - der hält das auch für ein 
probates Mittel: Ich habe Sorgen; denn wir haben in Deutsch 
land Erfahrungen mit Zwangsmaßnahmen. Ich verweise auf 
die Ausbildereignungs-Verordnung der 70er Jahre, die ver 
heerende Folgen angerichtet hat. Man mag das bedauern, 
aber die Wirkung war die, daß die Ausbildungsbereitschaft 
ganz entschieden zurückging. Nicht zuletzt aufgrund dieser 
Reaktion auf einen damals „Ausbildereignungs-Verordnung“ 
genannten Knüppel haben wir auch heute noch Probleme mit 
Ausbildungskapazitäten. 
Herr Tietz, Sie haben zu Recht die Frage gestel It, warum das 
so sei mit den nur 10%, die überhaupt Interesse an einer 
Ausbildung haben. Ja, das ist eine Frage, der nachgegangen 
werden muß. Nur, im Augenblick kriegen wir die nicht-selbst 
wenn wir die Ausbildungsplätze hätten - da hin. Deswegen 
machen wir doch berufsvorbereitende Maßnahmen, deswe 
gen machen wir doch seit einem Jahr Arbeitsbeschaffungs 
maßnahmen für Jugendliche mit dem Zwang zur Weiterqualifi 
zierung, damit sie eben den Abschluß der Hauptschule 
erreichen. Das sind alles notwendige Voraussetzungen, die 
auch auf Anregungen hier aus dem Abgeordnetenhaus zu 
rückgehen, die aufgegriffen und umgesetzt worden sind. 
[Zuruf von der SPD] 
- Ich darf das doch jetzt einmal erwähnen, Herr Kern, wir 
haben uns gestern besucht. Deswegen fördern wir doch 
Maßnahmen wie die der AWO, die jetzt sozusagen aus ABM 
heraus in 24 Ausbildungsplätze in Maler- und Tischlerbetrie- 
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