Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
74. Sitzung vom 27. September 1984
Momper
Wäre es nicht besser gewesen - und dieses hat der Senat
verabsäumt wenn ein paar Beamte aus ihren Stuben
losgegangen wären und einzelne Arbeitgeber besucht hätten,
um ihnen die Notwendigkeit und die moralische und menschli
che Verpflichtung klarzumachen, Schwerbeschädigte einzu
stellen?
[Beifall bei der SPD]
Und dann ist herausgekommen - das hat auch gestern der
Herr Senatsdirektor in seiner manchmal bemerkenswerten
Offenheit dargestellt-, daß diese Anzeige 42000 DM gekostet
hat und auch noch - und das ist so peinlich, daß einem fast die
Worte fehlen - aus der Schwerbehindertenabgabe bezahlt
worden ist. Dazu kann ich allerdings nur sagen: Dieser Senat
möge sich schämen, so etwas noch nicht einmal aus Steuer
mitteln zu finanzieren, was schon schlimm genug wäre,
sondern auch noch aus der Schwerbehindertenabgabe.
[Beifall bei der SPD und des Abg. Petersen
(fraktionslos)]
Wenn hier jemand „trockene“ und „sachliche“ Information
sagt, dann lese ich, was dem Herrn Senator Franke zum
Lebensinhalt geworden ist. Das ist bemerkenswert. Ich lese
also, daß es in dieser Stadt keine Wohnungsnot mehr gebe -
nein, wir haben inzwischen einen Leerstand, weil die Wohnun
gen inzwischen so teuer sind, daß sich dieses niemand mehr
leisten kann -,
[Beifall bei der SPD]
ich lese also - und das hält der Herr Franke - ich muß sagen,
auch schlecht beraten - für Wahlwerbung für sich und seine
Partei, deshalb unterschreibt er das wohl auch -, daß eine
Wohnung 728,- DM kostet. Das ist ganz schön teuer, deshalb
haben wir ja auch den Leerstand.
Ich lese ferner von einem prominenten und - wie ich von
einem anderen Staatsrechtler in diesem Hause gehört habe -
bedeutenden Staatsrechtler eine Anzeige, die anscheinend
eine Illustration zum Anhang des Bundesverfassungsge
richtsurteils von 1977 ist - natürlich eine beispiellose Schön
färberei eines Elitesenators-, ich lese also, wie das illustriert
wird, was eigentlich nach dem Bundesverfassungsgerichtsur
teil nicht mehr sein soll. Ich muß sagen, daß das auch noch
schlechte Werbung und Schönfärberei ist.
Es ist völlig richtig, Herr Kollege Neuling, daß dies auch eine
Anstands- und nicht nur eine Rechtsfrage ist. Zu der Anstands
frage möchte ich Ihnen sagen: Schönfärberei, Verschleude
rung von Steuergeldern, schamlose Ausnutzung des Fehlens
eines Verfassungsgerichts. Eines prophezeie ich Ihnen, das
hat die Kampagne, die Sie gegen Willy Brandt 1972 gemacht
haben, gezeigt: Die Berliner Bürger sind nicht so dumm, als
daß sie darauf hereinfallen. So wie 1972 die Wahl für Sie unter
anderem verloren gegangen ist, weil die Anzeigenkampagne
der CDU und ihrer Hilfskräfte überzogen war, so bin ich
überzeugt, werden Sie auch die Wahl 1985 verlieren, weil
solches Klotzen vom Bürger richtig bewertet wird, nämlich als
Verschleuderung von Steuergeldern.
[Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU]
Stellv. Präsident Longolius: Das Wort zur Geschäftsordnung
hat der Kollege Dr. Köppl.
Dr. Köppl (AL); Ja, meine Damen und Herren, heute in der
Fernsehzeit wird hier hart gekämpft.
[Heiterkeit bei der AL und der SPD]
Ich stehe nämlich deswegen hier, weil sich als nächster
Redner der Regierende Bürgermeister angemeldet hat. Aber
dies hier ist eine Parlamentsdebatte und keine Senatsrunde!
[Beifall bei der AL und der SPD]
Es geht hier nicht an, daß in einem abgekarteten Spiel die
F.D.P. hier eine Aktuelle Stunde mit dem ganzen Palaver
vorneweg durchsetzt und dann, bevor alle Fraktionen hier
sprechen konnten, der Regierende Bürgermeister kraft seines
Amtes und der Möglichkeiten, die ihm die Geschäftsordnung
bietet, sich schon wieder meldet und hier sprechen möchte.
Ich protestiere dagegen und möchte ihn von dieser Stelle
auffordern, die Parlamentsrunde abzuwarten und sich erst
dann zu Wort zu melden.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Stellv. Präsident Longolius: ln der Frage der Rednerreihen
folge ist die Geschäftsordnung eindeutig. Der §63 Abs. 5 gibt
hierzu ganz klare Hinweise. Wenn der Regierende Bürgermei
ster dem Appell des Kollegen Dr. Köppl zu folgen bereit ist,
werde ich ihn nicht aufrufen. Wenn er dazu nicht bereit ist, hat
er jetzt das Wort. - Er ist offensichtlich nicht zu folgen bereit.
[Beifall bei der CDU - Ah-Rufe von der SPD und
der AL -Kunzeimann (AL): Als ob ein Buwitt-
Beitrag nicht genug ist! - Glocke des Präsidenten]
Ich muß darauf hinweisen, daß die Sitzung geordnet fortge
setzt werden muß. Dies ist keine Gelegenheit, die Geschäfts
ordnung zu verändern. Es war durchaus möglich, zu ihr zu
sprechen. Das andere werden wir an anderer Stelle tun, wenn
entsprechende Anträge eingebracht werden. Vollkommen
legal und legitim hat nunmehr der Regierende Bürgermeister
das Wort.
[Wachsmuth (AL): Legal schon, aber nicht legitim! -
Zuruf des Abg. Kunzeimann (AL)]
- Herr Kunzeimann, ich habe es sehr bewußt gesagt, wir
wollen hier keine Unterschiede konstruieren. Sie haben zur
Geschäftsordnung gesprochen, das ist völlig richtig. Eine
Änderung der Geschäftsordnung ist jedoch so nicht möglich. -
Herr Regierender Bürgermeister!
Diepgen, Regierender Bürgermeister; Ich glaube, ange
sichts dieser Debatte und der Art der vorgetragenen Argu
mente ist es richtig, zunächst einmal eine Grundlage für eine
sachgemäße Auseinandersetzung zu schaffen. Diese Grund
lage ist, daß wir gemeinsam Übereinstimmung zumindest
über das erzielen müßten, worüber geredet wird. Denn ich
habe den Eindruck, daß jedenfalls so, wie die Auswahl von
Daten vorgenommen wird, hier keine Übereinstimmung be
steht.
Ich habe auch nicht die Absicht, zu den einzelnen Punkten
der Rede des Herrn Momper Stellung zu nehmen, vor allem zu
den Fragen, wie vorangegangene Senate das eine oder
andere gehandhabt haben. Mir fällt allerdings auf, daß hier
zum Teil aus Mißverständnissen - ich will das, Herr Momper,
einmal so formulieren -, aus einem Mißverständnis der
Information, die der Sprecher des Senats gestern im Haupt
ausschuß gegeben hat, Sie hier in die Debatte Fehlinformatio
nen eingeführt haben. Wenn beispielsweise die Rede davon
ist, was im Jahre 1979 gemacht worden ist, dann ist einfach
festzuhalten, daß kurzfristig vor den Wahlen im März 1979
15 Anzeigen des damaligen Senats aufgegeben worden sind.
[Landowsky (CDU): Unerhört!]
Ich möchte mich aber gar nicht damit auseinandersetzen,
diese 15 Anzeigen sozusagen als eine Berechtigung für das
(C)
(D)
4481