Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
71.Sitzung vom 28.iuni 1984
Sen Dr. Hassemer
haben, und ich hoffe, wenn die Hektik der Diskussion der
letzten Wochen — und die war in der Tat leider hek
tisch —
[Dr. Kunze (AL): Also doch!]
— Sie war hektisch; sie war zugespitzt; sie war aggressiv.
— Ich hoffe, wenn dies vorbei ist, kommen wir vielleicht
doch wieder zu einer Linie, die nach meiner Auffassung
Gemeinsamkeit in der zukünftigen Arbeit bringen könnte.
Nach meiner tiefen Oberzeugung gibt uns das Kabelpilot
projekt die Möglichkeit, in die neuen Medien kontrolliert,
in die neuen Medien mit Vielfalt, in die neuen Medien
auch mit kleinen Anbietern einzutreten. Einer meiner
Vorredner hat mit Recht darauf hingewiesen, daß wir
bereits im nächsten Jahr die ersten direkt abstrahlenden
Satelliten haben werden. Von diesem Zeitpunkt an hört
jegliche Form von Kontrolle und Einflußnahme aus einer
Stadt wie Berlin auf die neuen Medien auf. Von diesem
Zeitpunkt an wird alles, was wir sehen können, was vor
gestellt wird, was als neue Attraktivität die Leute gefan
gennehmen will, bestimmt werden von weit entfernt sit
zenden Medienkonzernen. Das ist einer der beiden ganz
wichtigen Gründe für Eile. Wir haben noch die Chance,
die Menschen daran zu gewöhnen, daß sie sich über die
— Gott sei Dank! — sehr viel geringeren Kosten des
Kabels mit den neuen Medien beschäftigen. Wir haben
die Chance, daß sie die Senderangebote, die über das
Kabel kommen, als die Form der Begegnung mit den
neuen Medien akzeptieren.
Sie haben in der Diskussion gesagt, wenn sich jemand
einen „Teller“ auf das Dach stellen und die Satelliten
empfangen will, dann kann er das immer noch tun. Das
ist sehr richtig. Wenn wir aber 1986 in der Situation
wären, daß nur das die Möglichkeit ist, neue, zusätzliche
Programme zu empfangen, dann wird doch ganz ohne
Zweifel die Zahl derer, die sich diese „Teller“ auf das
Haus setzen und die dann beliebig viele Programme —
aus Sri Lanka, aus Brasilien, wo auch immer einer genug
Geld hat, um einen Satelliten hochzuschießen — empfan
gen können, viel größer sein, als wenn man bereits per
Kabel ein Zusatzangebot im Hause hat. Auch die „Tel
ler“ sind sehr viel teurer; das habe ich gestern bereits
im Hauptausschuß erwähnt. Sie müssen damit rechnen,
daß jeder, der dann noch ein zusätzliches Programm per
Satellit haben will, für jedes Programm, das er emp
fängt, rund 2 000 DM bei der Antennenanlage aufwenden
muß. Das wird er sich dann sehr überlegen. Rundfunk
politisch und im Hinblick auf den Versuch, von den Leu
ten negative Folgen soweit wie möglich fernzuhalten, müs
sen wir eine gemeinsame Verantwortung begreifen, jetzt
nicht durch das Behindern des Kabels den Weg für die
Satelliten zu öffnen.
Ich habe gestern gesagt, die AL ist insoweit eine Spon
sor-Truppe für die Satelliten. Natürlich weisen Sie das
zurück und sagen: Das haben wir nie gewollt. — Das mag
alles sein, daß Sie das nicht gewollt haben; Sie sind es
halt nur! Wenn Sie das machen, werden Ihnen irgend
wann einmal Herren gegenübertreten, die Sie nicht ken
nen; ich gehe davon aus, daß Sie die wirklich nicht ken
nen. Diese Herren werden sich dann bei Ihnen bedanken.
Wenn Sie dann nachfragen, wofür, werden diese Herren
sagen: Mit Ihnen sind wir mit unseren Satelliten ziemlich
gut in Berlin gelandet. — Dann wird es ein bißchen spät
sein, falls Sie bereuen wollten. Herr Meisner, bei den
negativen Folgen haben Sie sich ja etwas zurückgehal
ten, was die Beispiele angeht, als Sie sagten, ich hätte
das nicht weiter verfolgt. — Ich habe das weiter verfolgt!
Ich bin froh, daß ich das durcbgesetzt habe, ich bin froh,
daß ich das auf den Weg gebracht habe, weil der andere
Weg, den ich jetzt beschrieben habe, jedenfalls von mir
rundfunkpolitisch nicht verantwortet werden könnte; den (C)
möge verantworten, wer will.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Präsident Rebsch: Das Wort hat Herr Senator Oxfort.
Oxfort, Senator für Justiz: Herr Präsident! Meine Da
men und Herren! Die Herren Abgeordneten Dr. Meisner,
für die Fraktion der SPD, und Dr. Kunze, für die Fraktion
der AL, haben, bestärkt durch zwei juristische Sachver
ständige, die vom Kulturausschuß angehört worden sind,
wiederholt und vehement die Verfassungswidrigkeit des
Gesetzentwurfes behauptet. Damit soll der Öffentlichkeit
suggeriert werden, daß der Senat und die Regierungs
koalition bei der Verfolgung des angeblichen Ziels, Me
dienkonzernen den ihnen bisher verschlossenen Zugang
zu Rundfunk und Fernsehen zu öffnen, sogar vor Ver
fassungsverletzungen nicht zurückschrecken. Prüfen wir
diese Argumente kritisch, so erweisen sie sich jedoch als
nicht stichhaltig.
Präsident Rebsch: Herr Senator, Sie gestatten eine
Zwischenfrage? — Bitte sehr, Herr Abgeordneter Ulrich!
Ulrich (SPD): Herr Senator, reden Sie für den nicht
anwesenden Verfassungssenator?
Oxfort, Senator für Justiz: Ich rede hier als Senator für
Justiz, wie Sie sehr gut wissen. Ich habe keine Veranlas
sung, für jemand anderes zu sprechen.
[Ulrich (SPD): Wo ist denn Ihr Verfassungs
senator, Herr Regierender Bürgermeister? —
Bei so einem Thema!]
Aber ich spreche natürlich zugleich für den Senat. Ver
ehrter Herr, Kollege Ulrich, Sie können davon ausgehen,
daß der Senator für Justiz in der Lage ist, sich mit den
rechtlichen Argumenten, die hier vorgetragen worden
sind, auseinanderzusetzen.
[Ulrich (SPD): Sie sind aber nicht
für die Verfassung zuständig!]
— Dies ist ein Irrtum; zwar ist natürlich der Innensenator
für die Verfassung zuständig, jedoch hat auch der Sena
tor für Justiz eine Zuständigkeit für die Verfassung. Sie
sollten eigentlich die Geschäftsordnung des Senats noch
kennen!
Meine Damen und Herren! Die SPD hat im Hinblick
auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
— so wird man das ja sehen müssen — erkannt, daß sich
auf die Dauer Privatfernsehen nicht mehr verhindern läßt.
Sie ist deshalb umgeschwenkt und geht einen neuen Kurs
und legt dem ein Modell zugrunde, bei dem — so glaubt
sie — so viel wie möglich von dem öffentlich-rechtlichen
Modell erhalten bleibt. Deshalb 'ist sie in dieser Frage,
nachdem das bundeseinheitlich in der SPD so gelaufen
ist, auch nicht der Meinung, die die AL hier vorgetragen
hat. Die AL geht so weit, daß sie durch Herrn Kunze im
Grunde genommen hier ernsthaft behaupten läßt, daß
durch ein Gesetz, das in geordneter Weise eine neue
Anstalt schafft und das den Bürgern mehr Informatio
nen als bisher — über die öffentlich-rechtlichen Rund
funkanstalten hinaus — anbietet, ein Anschlag auf die
verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit erfolgt.
Das ist so widersinnig und so verschränkt, daß man dazu
eigentlich nicht mehr ernsthaft Stellung nehmen kann.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
4331