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Volume Nr. 84, 31. Januar 1985

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1984/85, 9. Wahlperiode, Band V, 71.-86. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
84. Sitzung vom 31. Januar 1985 
Dr. Kunze 
lizenz entspricht etwa der Genehmigung, Geld selbst druk- 
ken zu dürfen.“ - Die Arbeitsgemeinschaft Berliner Kabel- 
Vision bietet jetzt auch Ihnen die Beteiligung an einem loka 
len privatwirtschaftlichen Fernsehsystem. Ausführliche 
Informationen . . . Studio am Corbusier-Haus. 
Das ist der Horizont von Informationsfreiheit, von kultureller 
Vielfalt, von Medienfreiheit, von Rundfunkfreiheit, auf den Sie 
in kürzester Frist die Diskussion, die Auseinandersetzung um 
die Gestaltung von Rundfunk in dieser Stadt haben herunter 
kommen lassen, nämlich auf eine schlichte Profitveranstaltung! 
[Beifall bei der AL] 
Deswegen ist der Antrag der SPD gegen die Unterordnung von 
Rundfunk unter die Zwecke des Geldverdienens, wie es in 
dieser Anzeige so schön offen und zynisch vorgestellt wird, zu 
unterstützen - weil er sich dagegen richtet, Rundfunk den 
Zwecken des Geldverdienens unterzuordnen. 
Zeitweise, als die Regierungsmehrheit noch nicht ganz so in 
technokratische Beliebigkeit abgesackt war, hat sie in ihren 
eigenen Papieren gesagt; Nein, wir wollen keine Kommerziali 
sierung des Rundfunks. Das steht zum Beispiel in der Verein 
barung zwischen der CDU- und der F.D.P.-Fraktion wörtlich 
drin, nach meiner Erinnerung aus dem Frühjahr 1983. Damals 
hatten Sie noch eine leichte Ahnung, daß es kulturpolitisch und 
gesellschaftspolitisch eine negative Entwicklung ist, wenn sich 
Ihre Medienpolitik in solchen Anzeigen niederschlägt. Nun kann 
alles nicht schnell genug gehen, und Sie übesehen völlig, daß 
Sie dabei sind, in der Bundesrepublik Deutschland, in Berlin mit 
der Infragestellung, mit dem Zurückdrängen des öffentlich- 
rechtlichen Rundfunks eine wirklich demokratische, gesell 
schaftspolitische Errungenschaft der Nachkriegszeit über Bord 
gehen zu lassen - als wesentlichen Teil unseres Kommunika 
tionssystems -, eine Errungenschaft, die uns die Alliierten im 
wesentlichen mitgebracht haben - die wir uns nicht haben ein 
fallen lassen -, etwas was nach unseren Traditionen nicht 
selbstverständlich war. Die Errungenschaft heißt und hieß nach 
dem Krieg: Nach Hugenberg, nach all dem, was das große, 
mächtige Kapital mit den Instrumenten des Mediensystems an 
gerichtet hat, soll der Rundfunk auf keinen Fall großen, mächti 
gen privatwirtschafllichen Zusammenballungen ausgeliefert 
werden. Eine richtige, eine wichtige Grundentscheidung! Eine 
Entscheidung, die gerade in diesem Jahr - 40 Jahre danach - 
besondere Bedeutung hat. Es gibt nicht den geringsten Grund, 
erneut darüber nachzudenken - etwa, ob es vernünftig wäre, 
dem Springer-Konzern auch noch den Rundfunk auszuliefern. 
Wo liegt eigentlich der vernünftige Grund dafür? - Meinungs 
vielfalt: Ja; kulturelle Vielfalt? Da lachen Sie sich doch selbst 
kaputt - heimlich, wenn niemand zuschaut -, wenn Sie das vor 
tragen. Es gibt nicht den geringsten Grund, großen, finanzkräfti 
gen Mächten den Rundfunk auszuliefern, es gibt auch nicht den 
geringsten Grund - was in hohem Maße passiert ist -, diese 
gemeinnützige Rundfunkform - öffentlich-rechtlicher Rund 
funk - dem Staat und den Parteiinteressen auszuliefern. Dies ist 
der besondere Zynismus von politischen Parteien, die über 
viele Jahre hinweg dieses richtige Rundfunkprinzip gemeinnüt 
zig, als einen Informations-, Unterhaltungs- und Kulturdienst für 
die Bürger und für sonst niemanden unabhängig von allen 
fremden Interessen - ständig beschädigt haben, indem 
parteipolitische Interessen immer stärker hineingeschoben wor 
den sind, so daß wir heute feststellen müssen: Diese öffentlich- 
rechtlichen Rundfunkanstalten sind durch die politischen Par 
teien und ihr Fehlverhalten im Umgang mit dem Rundfunk in 
den letzten zwanzig Jahren beschädigt. Die rundfunkpolitische 
Aufgabe, die daraus folgt, ist aber nun nicht, den endgültigen 
Abgesang dieser Rundfunkanstalten einzuleiten oder zu 
beschleunigen, sondern verantwortliches Verhalten wäre, die 
Beschädigung der Rundfunkanstalten zu überwinden, die Par 
teiinteressen, die Anbindung an staatliche Apparate zurückzu 
drängen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wieder zu 
dem zu machen, was er ursprünglich war und was er durchaus 
auch in Zukunft sein kann: ein Dienst am Bürger, im Interesse 
der Bürger, ein Dienst, der dem Bürger gehört, 
[Beifall bei der AL] 
der nicht den Parteifunktionären gehört, der aber auch nicht (C) 
Herrn Springer oder anderen finanzstarken Kräften, womöglich 
aus der Bauwirtschaft oder von sonstwo - neuerdings kommen 
die aus Australien -, ausgeliefert werden kann. 
Das Bundesverfassungsgericht hat noch in seinem Urteil 
1981 - im Fernsehurteil - zu Recht in dieser Tradition heraus 
gestellt: Rundfunkfreiheit im Grundgesetz der Bundesrepublik 
Deutschland ist kein Freiheitsrecht der Unternehmer, ist kein 
Spezialfall, kein Unterfall der Gewerbefreiheit, sondern im 
Gegensatz dazu ein Grundrecht der Bürger, sich aus dem Mas 
senkommunikationssystem Rundfunk zuverlässig und umfas 
send informieren zu können und sich eine eigene Meinung auf 
grund breiter Information bilden zu können. Dies ist die Schlüs 
selentscheidung: Kein Unternehmerrecht, kein Zugangsrecht 
für die großen und die kleinen Profitgeier, die meinen, sie müß 
ten im Kabelfernsehen nach dem Beispiel dieser Anzeige nun 
das große Geld machen! Die meisten werden übrigens reinfal 
len - das sei ihnen nebenbei auch noch versprochen, sozusa 
gen mit Brief und Siegel einige wenige Große bleiben übrig, 
die werden viel Geld verdienen - das stört mich nicht beson 
ders -, aber die werden die Tendenz zu Meinungsmonopolen 
verschärfen. 
Nehmen wir mal ein aktuelles Beispiel - Herr Legien hat das 
auch aufgegriffen: Da gibt es den Boykottaufruf einer Mitglie 
derversammlung von Deutscher Journalisten-Union, von Rund- 
funk-Fernseh-Film-Union in Berlin und des Deutschen Schrift 
stellerverbandes in Berlin. Diese Versammlung ist nicht ganz 
unwesentlich. Die haben dazu aufgerufen, dieses Kabelpilot 
projekt-Gesetz zu boykottieren. Man kann darüber streiten, ob 
das eine vernünftige Forderung ist, man sollte darüber streiten 
und sich nicht einfach so beiläufig und desinteressiert mit der 
smarten Technokrate, die ich anfangs beschrieben habe, dar 
über hinwegsetzen. Um sich darüber streiten zu können, muß 
man erst einmal wissen, daß eine solche Boykottposition von 
diesen drei Gewerkschaften, von der Mitgliederversammlung, 
ausgesprochen wurde. Der SFB hat das gemeldet, der Rias hat /qs 
das gemeldet. Tagesspiegel, Volksblatt, taz haben das gemel 
det. Es schien allen Journalisten in den Nachrichtenredaktionen 
eine Meldung wert - nicht, weil sie das gut finden, das ist nicht 
ihr Job, sondern weil sie finden: Die Bevölkerung hat einen An 
spruch darauf, über einen solchen Boykottaufruf informiert zu 
werden und sich dann darüber zu streiten und sich eine Mei 
nung zu bilden. Die Zeitungen des Springer-Konzerns haben 
dieses nicht gebracht, haben über diesen Boykott-Aufruf nicht 
berichtet. Sie sind rechtlich natürlich auch nicht dazu verpflich 
tet, nur sieht man daran, wo es hingeht Wenn der Springer- 
Konzern jetzt auch noch maßgeblichen Einfluß auf die Infor 
mation der Bürger mittels Fernsehen bekommt dann kann man 
sich anhand dieses praktischen Beispiels vorstellen, was den 
Bürgern übrigbleibt: buntes, schönes, freundliches Einerlei! Die 
Welt ist schön und bunt und fröhlich, und wehe, es gibt ein Pro 
blem! - Sollte es ein Problem geben, wird darüber einfach nicht 
berichtet - und schon ist das Problem erledigt Mich erinnnert 
das an Gesellschaften anderen Typs, die ich nicht mag, und 
deswegen finde ich es richtig, die Verfassung in Berlin so zu än 
dern, daß Rundfunk öffentlich-rechtlich, also gemeinnützig, 
unabhängig von Parteien, unabhängig von Interessen großer 
Unternehmen organisiert wird - so, wie das der Antrag vorsieht 
Ich finde es verheerend, daß dieser Senat, dieser Kultursenator 
es offensichtlich für den großen Fortschritt halten, daß der 
Springer-Konzern, ohne daß ihn eine einzige gesetzliche 
Bestimmung im Kabelpilotprojektgesetz daran hindert, nunmehr 
Unterhaltung, Information und womöglich auch das, was er für 
Kultur hält, über seine Kabelfernsehkanäle - verbunden mit der 
ihm eigenen Finanzkraft - über die Berliner verbreiten kann. 
[Pätzold (SPD): Immer ausgewogen!] 
Es geht ja schon los; SAT 1 ist ja schon da! Wem gehört 
SAT 1 ? - Nein, nicht Herrn Springer! Man kann sich die Gesell 
schafterversammlung ansehen, Springer kommt da auch vor, 
ganz am Rande, aber wenn man das dann genauer analysiert, 
stellt man fest: Ach, dieser Gesellschafter heißt zwar so, aber 
wenn nam genauer hinsiehf, ist da auch wieder Springer dabei. 
- So kann man das Stück für Stück durchgehen. Zusammen- 
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