Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
84. Sitzung vom 31. Januar 1985
(A)
(B)
RBm Diepgen
feit ist hier gesagt worden, er befürchte, daß alles, was im Zu
sammenhang mit der Firma Sonnenschein vorgetragen worden
ist, nur die Spitze des Eisberges sei, daß es eine ganze Reihe
von Firmen, von Grundstücken in Berlin gebe, wo Umweltbela
stungen, Belastungen des Bodens vorlägen. - Herr Kollege
Staffelt! Damit sagen Sie niemandem in Berlin, keinem Berliner
Bürger, der seine fünf Sinne auch nur halbwegs zusammenhat,
irgend etwas Neues. Aber die Frage ist, welche politischen Kon
sequenzen daraus gezogen werden und wo die Ursachen dafür
gelegt worden sind. Wir alle wissen, daß es in der Entwicklung
einer Industriestadt, und zwar seit vielen Jahrzehnten, mit unter
schiedlichem Bewußtsein im Umgang mit der Umwelt, durch
eine Reihe von Stoffen zu erheblichen Belastungen gekommen
ist, die wir als Altlasten bezeichnen müssen.
Präsident Rebsch: Sie gestatten eine Zwischenfrage des
Kollegen Staffelt, Herr Regierender Bürgermeister? - Bitte,
Herr Kollege Staffelt!
Staffelt (SPD): Herr Regierender Bürgermeister, würden Sie
freu ndlichst zur Kenntnis nehmen, daß es mir bei meinem Rede
beitrag vorhin vor allem darum ging, darauf aufmerksam zu
machen, daß bei vergleichsweise dilettantischer Vorgehens
weise in anderen Fällen durch den Herrn Umweltsenator wir
allerdings das Schlimmste befürchten müßten? - Ich habe
nicht den Versuch unternommen, die Berliner Bürger darin zu
belehren, daß eine Industriestadt natürlich auch gewisse Bela
stungen hinnehmen muß.
Diepgen, Regierender Bürgermeister Ich bin Ihnen sehr
dankbar für Ihre Interpretation der Ausführungen, weil ich dem
gern entnehmen möchte, daß Sie mit mir der Auffassung sind,
daß es bei den gewachsenen Umweltbelastungen, die es im
Hinblick auf die Grundstücke, aber auch im Hinblick auf die Luft
in Berlin und in anderen Ballungsgebieten gibt, nicht ein Skan
dal ist, wenn man konkret darangeht, bei dem einen oder an
deren Projekt, zum Teil vor dem Hintergrund ganz schwerwie
gender Belastungen, einen Bodenaustausch vorzunehmen und
Untersuchungen vorzunehmen. Es war eher ein Skandal, mög
licherweise verständlich vor dem Hintergrund einer anderen
Bewußtseinslage vor zehn oder 20 Jahren, nichts zu tun. Aber
heute ist es kein Skandal, wenn dieser Senat, wenn die jetzt Ver
antwortlichen darangehen, Stück für Stück das aufzuarbeiten,
was sie übernommen haben, und zwar unabhängig davon, wer
die Verantwortung dafür hatte, was übernommen worden ist
[Beifall bei der CDU - Kunzeimann (AL):
Vier Jahre hatten Sie Zeit dazu. Vier Jahre!]
Darum geht es mir, dieses festzustellen. Denn ich halte es für
eine sehr vordergründige Debatte, für eine sehr polemische
und vordergründige Argumentationsweise, wenn beispielswei
se bei so aufgeregten Zwischenrufen, wie sie jetzt wieder Vor
kommen, derjenige, der Bodenaustausch vornimmt, bei einzel
nen Fabriken, bei einzelnen Grundstücken Messungen vor
nimmt, nun plötzlich im Fadenkreuz der öffentlichen Kritik
stehen soll, weil dort etwas Mißliches geschehen ist in der Ver
gangenheit Genau das Umgekehrte ist richtig.
[Beifall bei der CDU - Staffelt (SPD);
Nein, nein, so geht es nicht!]
Es geht schlicht und einfach darum, daß wir alle gehalten
sind, bei dem einen oder anderen Projekt - Grundstück,
Fabrik - hier in Berlin in der nächsten Zeit Messungen vorzu
nehmen. Da werden wir in der Tat darauf stoßen, daß Vergan
genheit aufgearbeitet werden muß. Und ich habe die Bitte an
dieses Haus und auch an die Öffentlichkeit, dann auch die Auf
arbeitung in den Vordergrund zu stellen, das Bemühen, wie
man mit dem Problem fertig werden wird
[Staffelt (SPD): Dazu muß man den Umfang
des Problems erst kennen!]
- auch, vielleicht sogar im Vordergrund das Bemühen, in den
Fragen des Umweltschutzes Sünden zu beseitigen und nicht
zuzulassen, daß neue Sünden auftreten. Ich habe die Bitte, daß (C)
man dort auch Gesamtzusammenhänge sieht, nämlich Gesamt
zusammenhänge hinsichtlich der Entwicklung Berlins als einer
Stadt, wo wir auch Arbeitsplätze brauchen, wo wir eine florie
rende Wirtschaft brauchen und wo wir im Hinblick auf diese
Fragen - und das leitet dann schon über auf das Thema
„Sonnenschein“ - auch beachten müssen, daß wir es hier mit
Menschen und mit Arbeitsplätzen zu tun haben. Wir können
deshalb nicht einfach, wenn die eine oder andere Umweltbela
stung auftritt, gleich zu der einschneidendsten Maßnahme kom
men, der Schließung der Gesamtfabrik.
[Abg. Kunzeimann (AL) meldet sich
zu einer Zwischenfrage.]
Präsident Rebsch: Herr Regierender Bürgermeister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Diepgen, Regierender Bürgermeisten Nein.
Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte, betrifft die
Akkumulatorenfabrik „Sonnenschein“.
[Kunzelmann (AL): Dem Kollegen Staffelt erlauben Sie
die Zwischenfrage, mir nicht! - Zuruf von der CDU:
Das kann er doch machen, wie er will!]
Und, meine Damen und Herren, nach dem, was auch hier bisher
vorgetragen worden ist im Abgeordnetenhaus, und danach, wie
die Aktenlage ist, kann ich nur die Feststellung treffen,
[Kunzelmann (AL): Sie reden von „Aktenlage“, und
es geht um das Leben von Menschen!
Das ist Zynismus! Seit Jahren liegen die Akten vor!]
- Meine Damen und Herren! Das ist genau die Aufgeregtheit,
das ist genau die Art und Weise der Diskussion des Themas,
die uns besonders viel weiterbringen wird.
Präsident Rebsch; Herr Kunzelmann! Ich bitte um Ruhe.
[Kunzelmann (AL): Er läßt keine Zwischenfrage zu.
Da muß man dazwischenreden. „Aktenlage“!]
Diepgen, Regierender Bürgermeister! Wenn ich davon aus
gehe, was hier im Parlament behandelt worden ist, dann bleibt
folgendes festzusfellen; Die Senatsverwaltung für Stadtent
wicklung und Umweltschutz ist ausgegangen von den Ent
scheidungen, die im Jahre 1979,1980 getroffen worden sind -
der Kollege Vetter hat darauf im einzelnen hingewiesen. Ich
weise zusätzlich noch einmal auf die Beantwortung der Kleinen
Anfrage des Kollegen Momper durch den damaligen Senator
Pätzold vom 11. Juni 1979 hin, in der es heißt:
Nach geltendem Recht unterliegen nur einzelne Anlagen
einer Akkumulatorenfabrik einer Genehmigungspflicht, die
Fabrik als solche aber nicht Im Hinblick darauf, daß auch
von den nicht genehmigungspflichtigen Teilen solcher Fa
briken Emissionen ausgehen können, wird das Land Berlin
in den zuständigen Gremien darauf hinwirken, daß Akku
mulatorenfabriken insgesamt genehmigungspflichtig wer
den.
Im Jahre 1983, und zwar erst nach Veränderungen, die offen
sichtlich in Bonn notwendig waren, wurden dann von der neuen
Bundesregierung, der übrigens einer der Gesellschafter der
jetzt betroffenen Fabrik angehörte, erstmals in die Technische
Anleitung Luft Grenzwerte für Bleiimmissionen aufgenommen.
Und darauf aufbauend hatte die Senatsverwaltung für Umwelt
schutz erst Möglichkeiten zu einem weiteren Vorgehen.
Aufbauend auf den neuen Möglichkeiten und den damals und
auch zuvor vorgenommenen Messungen - hat sich die Senats
verwaltung darum bemüht, zweierlei zu erreichen, nämlich
erstens die Arbeitsplätze dieser Fabrik zu sichern und gleichzei
tig sicherzustellen, daß Gesundheitsgefährdungen von dieser
Fabrik nicht ausgehen. Es wurde ein Sanierungskonzept vorge
legt, in dem im Einvernehmen mit der Firma, aber auf Drängen
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