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Volume Nr. 69, 14. Juni 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
69. Sitzung vom 14. Juni 1984 
Freudenthal 
10. März nächsten Jahres machen muß. Dann kann ich mich 
wieder fröhlicheren Dingen widmen. 
Mittelfristig wäre es dann nach diesem Durchsetzen von So 
fortmaßnahmen die Aufgabe, ein Gesamtkonzept zur Vermei 
dung des Eintrags von Fremdstoffen - und das heißt ja immer 
Schadstoffe oder fast immer Schadstoffe - in Luft, Boden und 
Wasser durchzusetzen. 
Die Revision aller sektoralen Planungen: Wir haben ja heute 
noch ältere gültige Planungen, in denen Umweltschutz gar nicht 
vorkommt. Nehmen Sie den Flächennutzungsplan von 1965, 
nehmen Sie die Verkehrsplanung, die schon teilweise aus der 
Vorkriegszeit, teilweise aus den 50er Jahren stammt, nehmen 
Sie die Energieplanung, die mühsam modifiziert wird. Und unter 
welchen Kosten! Milliardenkosten werden hier reingesteckt in 
Dinge, die man auch billiger haben könnte. Die ganze Fern 
wärmefrage, die ganze Gasfrage, die ganze Bewag-Modernisie 
rung, da stecken Milliardenkosten drin, und das könnte man bil 
liger haben mit anderen Maßnahmen, die wir Ihnen vorgeschla 
gen haben. 
Wirtschaftspolitische Vorstellungen: Die sind auch immer 
noch weit entfernt von jeglichem Umweltschutz. 
Umweltschutz ist auch nicht die Aufgabe von Spezialbehör 
den oder von Reinigungstechnologien. Dadurch wird Umwelt 
schutz nicht garantiert. Vielmehr muß das bei der Produktion 
selbst ansetzen. Wir müssen also zu einer Produktionsweise 
kommen, die wesentlich weniger Rohstoffe und weniger Ener 
gie verbraucht. Und hier haben wir ganz gute Möglichkeiten - 
das haben Vorredner schon gesagt in Berlin endlich einmal 
daran zu arbeiten und das zu unterstützen. Bloß, das muß ein 
wenig nachhaltiger geschehen. Nachhaltiger Umweltschutz 
muß also neben einer neuen Energie-, Verkehrs- und Baupolitik 
auch die technologische Erneuerung in der Industriestruktur 
einschließen. 
Die AL fordert deswegen die vierfache ökologische Umorien 
tierung; 
- Umorientierung des Energiesektors durch Förderung von 
Spartechnologien, die der Tendenz zur verstärkten Umwand 
lung knapper Brennstoffe in Schadstoffe endlich entgegen 
wirkt. Zukunftstechnologien auch in diesem Bereich sind in 
Berlin entwickel- und förderbar. 
- Umorientierung des Wohnungsbaus auf systematische 
Wärmedämmung und verbesserte Heizsysteme mindert die 
Emissionen und schafft Arbeitsplätze. 
- Umorientierung der Industriestruktur - das habe ich schon 
gesagt -, energie- und rohstoffsparende Technologien verrin 
gern die Trar.sportbelastung und damit auch die Schadstoff 
emissionen. Und sie verbessern die Kostenstruktur auch ohne 
Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen. 
- Umorientierung des Verkehrssystems: Das reicht von um 
weltfreundlichen Antriebssystemen bei Bussen und Taxen, För 
derung des.nichtmotorisierten Verkehrs und öffentlichen Perso 
nenverkehrs einschließlich Fernbahn und S-Bahn. 
Umweltbedeutsames Planen fordert aber auch ein Leitbild 
der Stadtentwicklung, auf das sich alle Einzelplanungen be 
ziehen. Kriterien dafür sind Vorrang der Erhaltung und Verbes 
serung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung, Vorrang des 
gewachsenen Lebensmilieus vor technokratischem Verände 
rungseifer, Aufhebung der Trennung der Lebensbereiche, also 
Arbeiten und Wohnen im Kietz. Erholung und Naturschutz muß 
nicht erst im Außenbereich oder gar erst in den Urlaubsgebie 
ten anfangen, sondern an der Straße vor der Haustür. Und das 
muß wieder erreicht werden. 
Auch die bisher angerichteten Zerstörungen dürfen nicht als 
gegeben angesehen werden, sondern die Wiederherstellung 
der natürlichen Lebensbedingungen muß möglich sein und 
massiv in Angriff genommen werden. 
Naturschutz- und Landschaftsplanung müssen übergreifend 
sein. Nicht Verwaltung von Restflächen, sondern Einbeziehung 
der gesamten bebauten und unbebauten Fläche Berlins als Be- (C) 
standteil einer Stadtentwicklungsplanung. 
Und das alles, das alles, was wir Vorschlägen, das geht auch 
ohne Verfassungsänderung. Man muß es überhaupt nur wollen. 
Das ist der wesentliche Punkt Wollen muß man den Umwelt 
schutz, durch Verfassungsänderung will man ihn noch immer 
nicht Außerdem, der Bundesgesetzgeber - und darauf habe 
ich ja in meinen Anträgen mehrfach hingewiesen - hat den Län 
dern entsprechende Möglichkeiten eingeräumt, Regelungen in 
Belastungsgebieten, wie beispielsweise Berlin eines ist, zu 
schaffen und dort emissions- und immissionsmindernde Rege 
lungen zu treffen. 
Nun wollen drei Parteien den Umweltschutz in der Verfas 
sung verankern. Ich frage mich wirklich, was das bringen soll. 
Z. B. die Staatszielbestimmung, die die CDU und F.D.P. ein 
bauen will, die stärkt den Umweltschutz überhaupt nicht, denn 
sie ist nicht einklagbar, niemand kann sich konkret auf diese 
Staatszielbestimmung berufen vor Gericht Es bleibt also prak 
tisch alles beim alten. Sie können all die Maßnahmen auch ohne 
Änderung durchziehen. Sie machen es bloß nicht. Es bleibt also 
ein reiner Alibisatz. 
Die SPD formuliert da schon etwas genauer. Sie formuliert im 
ersten Satz: Jedermann hat das Recht auf die Erhaltung der 
natürlichen Lebensgrundlagen, Boden, Wasser, Luft, - und for 
muliert dann aber im zweiten Satz: Dieses Recht zu wahren, ist 
die Aufgabe des Staates. - Damit wird es wieder zu einer 
Staatszielbestimmung und im Grunde zu einer Alibiformulie 
rung. Wenn man Stärkung über die Verfassung will, dann muß 
man ein Jedermannsrecht einräumen, auf das sich jeder bezie 
hen kann und das auch vor Gericht einklagbar ist Bloß, das 
wollen Sie ja nicht Sie wollen ja auch den Umweltschutz gar 
nicht stärken. Sie wollen den einzelnen nicht stärken gegenüber 
dem Staat und den Wirtschaftsorganisationen, sondern was 
Sie wollen, ist einfach ein Schaufensterantrag, eine Schau 
fenstergeschichte für die nächsten Wahlen. Das ist das, was 
Sie wollen. Insofern ist es pure Heuchelei, was Sie da mit der (D) 
Verfassungsänderung Vorhaben. 
[Beifall bei der AL] 
Und was Sie da machen, ist ein eklatanter Mißbrauch des Parla 
ments zur Verhöhnung des Bürgers, der sich massiv um den 
Umweltschutz kümmert. Sie wollen durch eine Verfassungs 
änderung angeblich den Umweltschutz stärken und finden sich 
nicht mal bereit, einen Appell an die großen Tankstellen zur Ein 
führung von bleifreiem Benzin zu richten. 
[Wachsmuth (AL): Eine Provinzposse!] 
Das ist nun so lächerlich, dafür habe ich überhaupt keine Worte 
mehr. Nicht einmal ein Appell an die großen Tankstellen, vorzei 
tig - - 
[Liepelt (CDU): Ich habe das gemacht!] 
- Ach, die Vorlage, die wir gemacht haben, wonach der Senat 
noch einmal an die Mineralölgesellschaften appellieren sollte, 
genau das wollen Sie ablehnen. Das haben Sie im Ausschuß 
abgelehnt, und die Beschlußempfehlung sieht so aus. 
Was Sie hier also tun, richtet sich im Grunde gegen das Par 
lament, es ist schlichtweg antiparlamentarisch. Ich kann Ihnen 
nur zurufen: Tun Sie endlich etwas für den Umweltschutz, stim 
men Sie unseren konkreten und ausgearbeiteten Anträgen zu; 
aber verschonen Sie die Verfassung vor nichtssagenden Alibi 
sätzen. 
[Beifall bei der AL] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Meine Damen und Her 
ren! Es ist zwar nicht üblich, hier Fußballergebnisse zu verkün 
den. Weil ich aber schon von einigen Kollegen darum gebeten 
wurde, darf ich Ihnen sagen, das Fußballspiel zwischen Portu 
gal und Deutschland endete 0:0. 
[Unruhe bei allen Fraktionen - Beifall bei der AL - 
Petersen (fraktionslos): Pfui, pfui! - 
Kunzeimann (AL); Derwall weg!] 
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