Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
68. Sitzung vom 24. Mai 1984
Behr
Ich möchte jetzt nicht auf Einzelheiten eingehen, einen
Punkt aber erwähnen. Herr Kewenig sagte nämlich: Die
Geisteswissenschaften werden nicht abgeschafft. — Ich
betone hier das Wort „abgeschafft“. Das wäre ja wahr
haft auch erschreckend! Die Geisteswissenschaften wer
den aber reduziert, entgegen dem Protest aus der Freien
Universität! Ich glaube, das ist symptomatisch; die Gei
steswissenschaften bringen nichts ein; sie erfüllen keinen
Zweck; wobei man immer noch hinzufügen muß: Zweck
für wen? — Das muß deutlich gefragt werden.
Der Gedanke der „Elite“ in den USA hat offensichtlich
unheimlich imponiert. Ich habe schon in einer früheren
Debatte gesagt; Ich sperre mich nicht gegen den Ge
danken der guten Leistung. Das ist Tautologie, daß wir
gute Leistung brauchen, denn dadurch ist ja die gute
Leistung gekennzeichnet. Das Wort „Elite“ ist ein Reiz
wort; es grenzt nämlich einen bestimmten Personenkreis
schon durch seinen Namen ab und liefert ihm allein schon
dadurch ein abgrenzendes, arrogantes Bewußtsein. Die
sen Weg wollen wir nicht!
Ein weiterer Punkt, der, wenn auch nur sanft, im Hoch
schulgesamtplan angedeutet wird. Es heißt da:
Die Herstellung von Entscheidungsstrukturen, die die
Bereitschaft der Hochschullehrer zur Verbesserung
ihrer Lehre ermutigen ...
Da haben wir wieder einmal die Weichenstellung in Rich
tung Ordinarienuniversität! Es kommt noch ein weiterer
Punkt hinzu, nämlich Langzeitstudium. Es steht die merk
würdige Formulierung in dem Entwurf: „Wer nicht ernst
haft studiert, soll exmatrikuliert werden.“ — Woher nimmt
man die Maßstäbe für „ernsthaftes“ Studium? — Es wird
überhaupt nicht der Faktor gesehen, daß langes Studium
heute in erhöhtem Maße nötig ist. Ich will nicht generell
Langstudien verteidigen; wir hatten diese ewig bum
melnden Studenten; wir haben sie auch heute; das will
ich nicht bestreiten. Aber heute ist in erhöhtem Maße
Langzeitstudium nötig wegen der z. T. ganz erheblich er
schwerten Bedingungen an der Universität: Reduzierung
der Tutorien, die höheren Sozialwerksbeiträge für die
Studenten mit langem Studium. Ich glaube, wir haben da
einen roten Faden, einen Zusammenhang; von den Stu
denten möchte ich die Brücke schlagen
Im Entwurf ist auch die Stellungnahme des Akademi
schen Senats beider Hochschulen erwähnt, es ist aber
nicht die Stellungnahme der Studentenvertretung und
nicht die Stellungnahme der Personalräte dargestellt.
Auch das ist symptomatisch!
Ganz kurz zur Graduiertenförderung: Die AL wird sich
dabei der Stimme enthalten. Wir finden es im Prinzip rich
tig, daß Berlin sich nun um diese Graduiertenförderung
bemüht. Wir haben aber drei Kritikpunkte: Wir halten ein
Jahr nicht für ausreichend. Wir meinen, daß auch diejeni
gen Graduiertenförderung bekommen müssen, die zu
nächst einmal in den Beruf gegangen sind und dann er
kannt haben, daß sie eine berufliche Weiterqualifikation
im Sinne einer Promotion brauchen. Ein weiterer Punkt,
ein altes Anliegen der Hochschulen: Die Hochschulen
wollen über die Mittel für die Promotion selbst entschei
den. Das ist ein Akzent der Hochschulautonomie, den wir
befürworten. Letztlich soll also nicht der Senator hier ent
scheiden. — Danke schön!
[Beifall bei der AL]
Präsident Rebsch: Das Wort hat der Abgeordnete Dr.
Dittberner.
Dr. Dittberner (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich will wie meine Vorgänger versuchen, mich
kurz zu fassen. Ich werde daher nur auf den Hochschul- (C)
gesamtplan eingehen; zu den anderen Punkten ist ja
schon Hinlängliches hier und auch im Ausschuß gesagt
worden.
Ich meine, die F.D.P.-Fraktion kann es sich als Ver
dienst anrechnen, daß das Abgeordnetenhaus den Senat
gedrängt hat, diesen Hochschulgesamtplan vorzulegen.
Wir sind der Meinung, daß es notwendig war, einmal eine
hochschulpolitische Gesamtkonzeption vom Senat zu be
kommen. Wir sind ja in gewisser Weise auch in der glück
lichen Lage, daß wir das hier diskutieren können und
nicht in Punkt und Komma abstimmen müssen. Das wäre
ja ein sehr viel komplizierterer Prozeß.
Der Hochschulgesamtplan für das Land Berlin steht
nach meiner Einschätzung unter dem besonders schwieri
gen Problem, daß er zwei eigentlich gegensätzliche Auf
gaben lösen muß. Einmal das Problem der Bewältigung
des Studentenberges mit den entsprechenden Program
men und Maßnahmen, die dort auch ausgesprochen wor
den sind. Dann aber ist es nach meiner Meinung schon
jetzt die Aufgabe der Hochschulpolitik, bereits heute da
für Sorge zu tragen, daß unsere Universitäten in den 90er
Jahren, wenn wir sozusagen angesichts der Kapazitäten
im Hochschulbereich einen Mangel an Studenten haben
werden, ein attraktives Angebot hier in unserer Stadt
unterbreiten zu können. Beides sind Probleme, die be
stehen; beide Probleme drängen im Grunde in verschie
dene Richtungen.
Wir sind der Auffassung, daß wir im Hinblick auf die
Attraktivität der Berliner Hochschulen in den 90er Jahren,
wenn die Studenten nicht mehr zugeteilt werden, son
dern von der Attraktivität der Hochschule angezogen wer
den müssen, schon heute Vorbereitungen treffen und
deshalb damit anfangen müssen, Initiativen und originelle (D)
Ideen im Hochschulbereich unbürokratisch zu unterstützen.
Es muß dahin kommen, daß Entscheidungen dezentrali
siert werden. Auf der anderen Seite müssen Entscheidun
gen aber auch kurzfristig in den Hochschulen getroffen
werden können über interessante Projekte im Bereich
der Lehre und der Forschung.
Hier sind auch einige Grundsätze in der Diskussion
angesprochen worden zur Hochschulpolitik. Vielleicht ist
es — ich spreche ja hier als Vertreter der F.D.P.-Frak
tion — ganz interessant, zu den Begriffen „Qualität“ und
„Leistung“ und „private Hochschulen“ und „staatliche
Hochschulen“ einige Bemerkungen zu machen. Zunächst
einmal bin ich entschieden der Auffassung — und das ist
auch die Auffassung der F.D.P.-Fraktion, auch unseres
Bundesfachausschusses, dem ich angehöre und der sich
mit diesen Fragen befaßt: Qualität und Leistung sollen
in Deutschland auch weiterhin in staatlich finanzierten,
aber — so wie Ralf Dahrendorf es formuliert hat —
„autonomen Hochschulen“ erfolgen. Das entspricht unse
rer Tradition. Wir können ja in der Tat von anderen Län
dern, insbesondere von den Vereinigten Staaten, eine
Menge lernen; deswegen sollten wir aber nicht unsere
Traditionen über Bord werfen. Das private Element sollte
allerdings in den Hochschulen in stärkerem Maße einge
baut werden, ganz im Sinne — da stimme ich ihm völlig
zu — wie Senator Kewenig das hier ausgeführt hat.
Dies alles — und das ist für mich im Augenblick die
größte Besorgnis an der ganzen Diskussion um „Elite“
und „private Universitäten“ — darf nicht dazu führen, daß
Chancengleichheit in unserem Lande abgeschafft wird.
Chancengleichheit ist nämlich kein Widerspruch zum
Leistungsgedanken.
[Beifall bei der F.D.P.]
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