Path:
Volume Nr. 68, 24. Mai 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
68. Sitzung vom 24. Mai 1984 
Behr 
(A) sich einmal von,Herrn Kunze ein Bild über die AL geben 
zu lassen oder bei uns mitzumachen. 
[Beifall bei der AL — 
Tietz (AL): Wir können natürlich 
erst einmal Geheimgespräche führen!] 
Frau Lauriens Darstellung hat mich enttäuscht. Ich hatte 
vorher gesagt, daß ich keine Wundertüte von ihr erwarte, 
weil ich weiß, wie schwierig dieses Thema anzupacken 
ist. Aber ich habe keines von dem gefunden, was hier 
nötig ist. Daß Informatikunterricht betrieben wird, daß 
dazu Curricula herausgegeben werden, ist alles klar. Auch 
ich selber gebe Informatikunterricht. Das alles ist gut, 
trifft aber nicht den Kern. Ich hätte wirklich erwartet, daß 
hier deutlichere Worte gekommen wären, daß nun die 
Schulverwaltung und die Wissenschaftsverwaltung sich 
mit den Hochschulen zusammensetzen, Gremien schaffen 
in Zusammenartbeit mit dem PZ, daß die jetzt endlich 
sich zusammensetzen, um in diesem Bereich neue Ge 
sichtspunkte zu entwickeln. Das habe ich vermißt. 
Ich komme nun zu der CDU-Anfrage. Da muß ich zu 
nächst etwas zu Frau Laurien selbst sagen. Ich bitte um 
Entschuldigung, daß ich da sehr scharfe Worte wählen 
muß. Frau Laurien hat gesagt, wir sollten das alles ge 
meinsam einmal diskutieren. Ihre Ausführungen haben 
allerdings dafür keine Basis geschaffen. Sie stellen für 
mich ein erschreckendes Maß an Selbstgerechtigkeit dar, 
als wenn bei ihr diese Tendenz zur Vereinseitigung nicht 
vorhanden wäre. 
[Beifall des Abg. Tietz (AL)] 
' ; Sie wirft alles in einen Topf. Ich möchte nun ganz konkret, 
nachdem sie solche Extremfälle herausgreift und sagt, so 
seien die Leute, eine für einen Pädagogen unerträgliche 
Verallgemeinerung, als Beispiel darstellen: Wenn ein 
Lehrer eine Unterrichtstunde geben und sagen würde, 
Kapitalismus führe zum Faschismus, dann würde ich mei 
nen, daß dies eine Katastrophe wäre, wie dieser Lehrer 
es sich einfach macht. Aber Frau Laurien macht es sich so 
einfach. Darum ist es für mich wirklich schwer, auf dem 
Niveau zu diskutieren. 
Ich möchte hier nicht die Formulierung „Heuchelei“ ver 
wenden. Aus dem Grunde nicht, weil Frau Laurien erst 
seit einiger Zeit in Berlin ist. ich würde sonst diese For 
mulierung verwenden müssen, denn wir haben etwa zur 
Zeit des Kalten Krieges eine massive Indoktrination an 
den Schulen gehabt, und zwar eine Indoktrination von 
rechts. 
[Beifall des Abg. Tietz (AL)] 
Und wenn jetzt gegen linke Lehrer vorgegangen wird, 
frage ich wirklich oder — ich kann schon die Antwort ver 
muten — ich erinnere mich an keinen einzigen Fall, wo 
gegen einen solchen Lehrer, der Indoktrination von rechts 
betrieben hat, irgendwelche Maßnahmen vorgenommen 
worden sind. Ich möchte betonen, daß ich nicht für solche 
Maßnahmen bin. Das habe ich schon immer gesagt. Ich 
bin für Gespräche an den Schulen, in denen man die 
Dinge auskämpft. Aber ich wundere mich doch, daß so 
etwas in keinem Fall geschehen ist. Ein ganz krasses Bei 
spiel: Nach dem Bau der Mauer wurden in meiner 
Schule in den Klassenräumen große Plakate und Fotos 
ausgestellt mit Volkspolizisten, die auf Leute an der 
Mauer schießen. Ist das nicht reine Demagogie, wenn man 
das aus dem Zusammenhang reißt und so in der Klasse 
hinstellt? Dagegen habe ich mich gewehrt. 
Doch jetzt möchte ich auf die Ausführungen von Herrn (C) 
Lehmann-Brauns zu sprechen kommen. 
[Dr. Köppl (AL): 
Die kleinen Kinder beim Kennedy-Besuch!] 
— Ja, in der Tat. Wir hatten hier gehört „Ha — ho — he, 
Nixon ist okay“, 
[Tietz (AL); Ha — ho — he, Nixon in die Spree!] 
als schon längst bekannt war, was Nixon in den Vereinig 
ten Staaten für eine Rolle spielte. 
Herr Lehmann-Brauns plädiert für die Möglichkeit, nicht 
politisch zu sein. Da muß ich wieder an die früheren Zei 
ten erinnern, als eine Flut von politischen Broschüren 
intensiven politischen Unterricht in den Schulen verlangte. 
Es kamen ostdeutsche Broschüren, und es mußte in den 
Schulen eine ostdeutsche Stunde veranstaltet werden 
über die an Polen abgetretenen Gebiete usw. Es kam 
noch mehr auf die Schulen zu. Damals sprach kein Mensch 
vom Recht, unpolitisch zu sein. Vielleicht könnte ich mich 
mit Herrn Lehmann-Brauns in der Ansicht treffen: Wir 
fordern den Menschen, der für gesellschaftliche Prozesse 
urteilsfähig ist. Das ist genauso notwendig wie lesen, 
schreiben, rechnen können. In diesem Sinne sind wir sehr 
bewußt für den politischen Menschen. 
Aber noch zum Problem der Indoktrination: Ich muß mal 
auf den Begriff des autoritären Lehrers eingehen. Ein 
autoritärer Lehrer ist es gewohnt, daß sich die Schüler 
ihm anpaßten, Das Interessante ist, daß ein autoritärer 
Lehrer dann sehr leicht die Tendenz hat, seine eigene 
Haltung, seine eigene Erfahrung zu übertragen. Wenn er 
nun merkt, ein anderer Lehrer macht etwas in Richtung (Q) 
Frieden, und Schüler machen das auch, dann entspricht 
es seiner Denkweise, davon auszugehen, daß das nur dar 
an liegen kann, daß der Lehrer einen Druck ausgeübt hat. 
Ich glaube, das ist die Übertragung der eigenen Denk 
weise. Es ist unmöglich, alle diese Probleme noch einmal 
durchzusprechen, die zigmal durchgesprochen worden 
sind, doch ich möchte dazu noch folgendes sagen: Daß 
ein Lehrer durch seine Ausstrahlung als Mensch wirkt, 
kann niemand verhindern, und das sollte auch niemand 
verhindern. Das haben wir immer wieder gehabt, in Fra 
gen der Religion, der Politik usw., und das gehört zum 
Lehrer, das sollten wir nicht ausklammern. Wenn ein Leh 
rer nach Meinung, etwa der Verwaltung, indoktriniert, 
muß das mit dem Lehrer durchgekämpft werden, und da 
zu gibt es Wege. Wir brauchen den Lehrer, der für die 
von außen kommenden Probleme offen ist. 
Vielleicht sollte ich jetzt kurz zitieren. Meine Schule hat 
gerade ihr 75jähriges Jubiläum; an unserer Schule haben 
wir lange erbitterte Auseinandersetzungen mit dem Be 
zirksamt Steglitz gehabt, konkret: mit dem Bezirksstadt 
rat für Volksbildung, Herrn Schröter, und doch hatte mich 
ein Vorwort des Stadtrats Schröter gefreut, das er für 
unsere Broschüre geschrieben hat. Er schreibt nämlich von 
Lehrern an der Schule, die Regeln verletzten und über die 
er sich ärgerte, und es habe auch Konflikte gegeben, 
aber — so schreibt er —: 
Mir ist eine Schule lieber, an der alle Beteiligten 
Verantwortung für das öffentliche Geschehen prakti 
zieren, als eine windstille Schule, eine reine Lehr 
anstalt. 
Ich glaube, das ist die Basis, auf der man sich treffen 
kann, auch wenn man sich reibt und wenn man sich kon 
trovers reibt. — Danke schön! 
[Beilfall bei der AL] 
4135
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.