Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
68. Sitzung vom 24. Mai 1984
Sen Fink
(A) Heimen, in Sammelunterkünften mit Vollverpflegung
unterzubringen. — Das ist der erste primäre Auftrag, den
uns das Bundessozialhilfegesetz gibt. Wir haben auch die
Zahl der Heime mit Vollverpflegung vom Beginn unserer
Amtszeit auf jetzt 2200 Plätze erhöht.
[Krüger (CDU): Hört, hört!]
Allerdings ist es so, daß in Anbetracht einer sehr großen
Zahl von Asylbewerbern, die sich in Berlin befunden
haben und befinden, es nicht möglich war, alle Asylbe
werber mit Vollverpflegung in einer Unterkunft zu ver
sorgen. Deshalb kommt Alternative 2 des Gesetzes über
haupt nur in Betracht, nämlich die Ausgabe von Wertgut
scheinen. Und nur so können wir tatsächlich den Gesetz
gebungsauftrag erfüllen.
Stellv. Präsident Longolius; Gestatten Sie eine weitere
Zwischenfrage?
Fink, Senator für Gesundheit, Soziales und Familie: Ja.
Stellv. Präsident Longolius: Bitte, Herr Freudenthal!
Freudenthal (AL): Herr Senator, würden Sie vor diesem
Hintergrund, den Sie gerade vorgetragen haben, nicht er
warten, daß die Bundesregierung in Kürze das Land Bre
men in den Bundeszwang nimmt?
Fink, Senator für Gesundheit, Soziales und Familie:
Herr Abgeordneter Freudenthal, auf den Punkt mit dem
Land Bremen werde ich gleich zu sprechen kommen.
Wie sieht es nun aus? —Wir haben in Berlin —wie ge
sagt — etwa 2200 Asylbewerber — einschließlich der Fami
lien —, die in Sammelunterkünften untergebracht sind.
[Krüger (CDU): Hört, hört!]
Es ist nicht richtig, zu sagen, daß Familien mit Wertgut
scheinen außerhalb von Einrichtungen und nur allein
lebende Personen innerhalb von Einrichtungen unterge
bracht werden, sondern es ist eine Mischung. Zweitens
haben wir rund 7000 Asylbewerber in der Stadt, die Wert
gutscheine bekommen. Und zwar — das möchte ich noch
einmal nachdrücklich unterstreichen — sie bekommen
Wertgutscheine im Wert von 185 DM pro Monat, und zwar
in einer Stückelung — weil auch hier — Frau Abgeordnete
Zieger, Sie natürlich sehr übertreiben! —, in einer Stücke
lung von 20 DM, 10 DM und 5 DM. Dieses ist insbeson
dere auf Voten des Abgeordnetenhauses zurückgeführt
worden, da wir hier eine größere Stückelung, also die 50-
DM-Wertgutscheine, abgelöst haben zugunsten einer ge
ringeren Stückelung.
Zweitens bekommen die Asylbewerber daneben noch
einen Bargeldbetrag von 55 DM plus die Kosten der
Unterkunft, plus Energiekosten. Das muß alles ja noch
dazugezählt werden. Und wenn Sie sich das einmal an
schauen, dann macht das — bei der großen Zahl der vor
handenen Asylbewerber, die Sozialhilfe in Anspruch neh
men — natürlich einen Riesenbetrag für das Land Berlin
aus. Wir zahlen jährlich 55 Millionen DM allein für die
sozialhilferechtliche Betreuung von Asylbewerbern aus
den Mitteln des Landes Berlin, treffender: aus den vom
Steuerzahler aufgebrachten Mitteln.
Und nun muß man folgendes bedenken — und da
komme ich, Herr Abgeordneter Dittberner, auch noch ein
mal auf Ihre Einschätzung zurück: Sie müssen bedenken,
daß es vor Beginn der Wertgutscheineaktion — das war
der wesentliche Punkt, den wir im Jahr 1982 gemacht
haben neben der gemeinnützigen Arbeit — eine Aufforde
rung des Parlaments gab. Es hat das Abgeordnetenhaus
von Berlin mit den Stimmen der hier vorhandenen drei
Fraktionen — insofern wundert mich Ihr Diskussionsbei
trag, Herr Barthel, etwas, weil auch Ihre Fraktion damals
für diesen Antrag gestimmt hat — drei Maßnahmen aus
gelöst, nämlich Sammelunterkünfte plus Wertgutscheine
plus gemeinnützige Arbeit. Und der Erfolg dieser Maß
nahme war, daß von Ende 1981, Anfang 82, wo rund 19 000
Asylbewerber Sozialhilfe beansprucht haben, wir die Zahl
auf mittlerweile rund 9000 haben senken können, also hal
biert. Hätten wir diese Maßnahme nicht ergriffen, wäre
diese Zahl um die Hälfte höher.
[Landowsky (CDU): Mindestens! —
Simon (CDU): Doppelt so hoch!]
Und das hätte bedeutet, daß wir noch einmal einen zu
sätzlichen Betrag in einer Größenordnung von rund 55 bis
60 Millionen DM ebenfalls aus dem Sozialhaushalt hätten
finanzieren müssen. Ich bitte, dieses wirklich zu bedenken!
Und wie ist es nun in den anderen Ländern, weil immer
gesagt wird, das ist ja nur eine Kann-Bestimmung, keine
Muß-Bestimmung? — Nun, seit dem 1. Januar dieses
Jahres ist es eine Muß-Bestimmung! Und demzufolge ist
man in den Ländern Schleswig-Holstein, Baden-Württem
berg, Bayern, überall dort, wo man nicht genügend Unter
künfte gehabt hat, zum Wertgutscheinverfahren überge
gangen oder dabei, überzugehen.
Und die Länder, die dieses noch nicht erreichen konn
ten, die haben klare Erklärungen abgegeben, daß sie sich
bemühen wollen, die Zahl der Heime entsprechend zu er
höhen. Das ist klar: Haben wir genügend Heime, brauchen
wir keine Wertgutscheine mehr. Die Priorität des Gesetzes
heißt: Zurverfügungstellung von Heimen. Nunmehr, nach
dem die Rechtsgrundlage höchst eindeutig ist, möchte
ich auch einmal darauf zurückkommen, was denn die Ratio
dieses Gesetzes war, und ich möchte darauf hinweisen —
das hat der Abgeordnete Dittberner insofern völig korrekt
zitiert —: Das Gebot des Paragraphen 120 BSHG, daß
nämlich Sachleistungen zur Verfügung zu stellen sind und
nicht Geldleistungen, dieses Gebot ist ja nicht etwa von
der Koalition CDU/F.D.P. in Bonn durchgesetzt worden,
sondern dieses Gebot stammt aus dem Jahre 1982 — also
dem Jahr, als noch die sozial-liberale Koalition die Mehr
heit im Deutschen Bundestag gehabt hat. Da ist dieses
Gebot der Sachleistungen für Asylbewerber durchgesetzt
worden. Ich kann aus der Bgründung des damaligen Ge
setzes zitieren, sie lautet:
[Freudenthal (AL);
Das war damals schon so falsch wie heute!]
„Eindämmung der Zahl der Asylbewerber, die wegen
der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, nicht aber
aus politischen Gründen in die Bundesrepublik Deutsch
land gekommen sind.“ Wir haben ja nun wirklich Erfah
rungen — es ist ein massenhafter Mißbrauch des Asyl
rechts festzustellen, daran kann überhaupt kein Zweifel
herrschen. Zweitens: Sie können gar kein Asylverfahren
so sehr beschleunigen, als daß Sie nicht einen gewissen
Zeitraum dafür benötigten. Sie wollen doch eine sorg
fältige Nachprüfung, ob die Gründe wirklich politischer
Art sind. Demzufolge ist es ja kein Ausweg, zu sagen:
Das ist jetzt so kurz, daß eine sozialhilferechtliche oder
arbeitsrechtliche Maßnahme nicht mehr erforderlich ist.
Das geht nicht. Dann würden Sie den Asylbewerbern, die
aus politischen Gründen gekommen sind, letzten Endes
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