Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
67. Sitzung vom 17. Mai 1984
Baetge
(A) Das sind doch Fakten! Warum geht denn das bei Metall und bei
Druck nicht?
Stellv. Präsident Longolius: Gestatten Sie eine Zwischen
frage, Herr Baetge?
Baetge (F.D.P.): Natürlich; er steht doch schon.
Stellv. Präsident Longolius: Das hat doch damit nichts zu
tun, ob Sie die Zwischenfrage gestatten oder nicht. - Also bitte,
Herr Momper!
Momper (SPD): Herr Kollege, warum informieren Sie uns
denn über die Tarifabschlüsse der letzten Zeit? Haben Sie
diese zu kritisieren, ober befürworten Sie diese wie ich, weil
diese Tarifabschlüsse doch gerade zeigen, wie flexibel der
Deutsche Gewerkschaftsbund ist?
[Dr. Mahlo (CDU): Das war keine
Frage, Herr Momper!]
Baetge (F.D.P.): Herr Momper, Sie haben mir direkt aus der
Seele gesprochen. Ich befürworte diese Abschlüsse, weil sie
zeigen, daß Kompromisse zwischen Tarifpartnern in Deutsch
land doch noch möglich sind! Sie aber machen hier eine De
batte, die kompromißlos ist; Klassenkampf machen Sie!
[Wagner (SPD): Sie reden von einer Sache,
die Sie nicht verstehen!]
Ich will zum Schluß folgendes sagen: Wir sind gegen diese
kompromißlose Forderung der IG Metall nach Einführung der
35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Und wir halten
auch die Streiks in Baden-Württemberg, die nun hier auf Berlin
überschwappen, in der Form, wie sie stattfinden, nicht für ver-
^ ' tretbar, weil die Möglichkeit des Verhandlungspielraums nicht
ausgelotet ist Ich sage Ihnen, Herr Dr. Böckler, der ehemalige
erste Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat
die Gewerkschaften in einer sehr bösen Zeit einmal daran erin
nert, daß sie Ordnungsfunktionen haben, die zum Erhalt des
demokratischen Rechtsstaats notwendig sind.
[Zuruf von der SPD]
- Ich weiß, Herr Dr. Böckler ist tot. - Diese Ordnungsfunktionen
ergeben sich aus dem Grundgesetz, und man sollte sie auch
beachten. Das, was Sie aber tun, widerspricht auch jeder ge
werkschaftlichen Praxis. Deshalb riecht dies sehr nach politi
schem Streik, der die Regierung in Bonn aus dem Sattel heben
soll, und das muß einmal deutlich gesagt werden.
[Beifall bei der CDU und der F. D. P. -
Momper (SPD): Sie hebt sich doch selbst
aus dem Sattel! - Wagner (SPD);
Ein Schwätzer sind Sie!]
Stellv. Präsident Longolius: Letzter Redner ist der Ab
geordnete Dr. Köppl.
Dr. Köppl (AL): Meine Damen und Herren! Nun ist ja mehr
mals das Wort Klassenkampf hier von Leuten gefallen, die viel
leicht etwas davon verstehen oder auch nicht, ich weiß es nicht
genau.
[Landowsky (CDU): Fühlen sie sich angesprochen?]
- Ich fühle mich da auch etwas angesprochen; ich kann Ihnen
auch unsere Haltung dazu erklären.
Klassenkampf ist etwas, was tagtäglich stattfindet. Klassen
kampf nimmt manchmal die Form eines Streiks oder von Ver
handlungen an und kann manchmal auch die Form annehmen,
daß gewaltsam aufeinander losgegangen wird. Das hängt von
den gesellschaftlichen Verhältnissen ab. Klassenkampf ist aber
nichts, was man sozusagen per Dekret, per Antrag oder per Wil
len aus der Welt schaffen kann. Solange es diese Form der ka
pitalistischen Gesellschaft gibt, solange sich auf der einen Sei
te der Reichtum konzentriert und sich dort die Produktionsmittel
konzentrieren und von dort auch politische Macht ausgeübt
wird, während auf der anderen Seite die Arbeitnehmer zwar
nicht von allen demokratischen Rechten, aber von wesentlichen
Rechten, von einem genauso großen Einfluß auf den Gang die
ser gesellschaftlichen Verhältnisse ausgeschlossen sind, so
lange wird es jeweils einen Kampf darum geben, wer denn nun
sozusagen das Sagen hat, in welche Richtung sich diese Ge
sellschaft entwickelt und in welcher Form große gesellschaft
liche Themen entschieden werden. Das nennt man eben Klas
senkampf. Ihnen paßt nur das Wort nicht. Das ist eine perma
nente große Auseinandersetzung in dieser Gesellschaft, und
die hat natürlich auch einen Schwerpunkt gerade in den ökono
mischen Auseinandersetzungen. Daher empfinde ich dieses
Wort überhaupt nicht als Schimpfwort
Wenn mir oder der AL vorgehalten wird, wir schüren den
Klassenkampf: Nun, wir stehen bei der Auseinandersetzung auf
der Seite der Verlierer dieser Gesellschaft, die durch ihre zu
rückliegenden Kämpfe große gesellschaftliche Reformen
durchgesetzt haben, gerade auch im heute debattierten Sinne
zum Beispiel den Acht-Stunden-Tag, Arbeitszeitverkürzung,
Arbeitsschutzgesetz usw., aber jedesmal ausschließlich in
Form von sehr harten Klassenkämpfen. Das war in der Bundes
republik nicht anders, das war in der Weimarer Republik nicht
anders, und das war im Kaiserreich auch so. Durch Klassen
kämpfe wird der Sozialstaat entwickelt In Form eines Kompro
misses wird, wenn der Kampf ausgetragen wird, das entweder
in einem Gesetz oder in einem Tarifvertrag fixiert Dann gibt es
einige Zeit Ruhe, bevor wieder angefangen wird, um wichtige
soziale Auseinandersetzungen zu kämpfen. Das, was heute an
steht, nämlich eine erneute Arbeitszeitverkürzung in einer Zeit
der Massenarbeitslosigkeit, ist selbstverständlich eine Ausein
andersetzung im Rahmen dieses Klassenkampfes und nichts
anderes! Das betreiben die Unternehmer selbstverständlich mit
ihren Methoden, und das betreibt die Gewerkschaft mit ihren
Methoden. Wir haben hier die Aufgabe, zu überlegen, welchen
Beitrag die Arbeitszeitverkürzung, wie sie von der Gewerk
schaft gefordert wird, zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit
leisten kann.
[Beifall des Abg. Wachsmuth (AL)]
Darüber wird im weiteren Verlaut der Debatte noch geredet
werden: Nach unserer Meinung sind von allen Vorschlägen, die
heute auf dem Tisch liegen, die Vorschläge der Gewerkschaft,
- wöchentliche Arbeitszeitverkürzung - im Augenblick die wirk
samste Methode, um tatsächlich die Arbeit neu zu verteilen,
mehr Menschen, die heute arbeitslos sind, in Lohn und Brot zu
bringen. Das ist keine Methode, den Ruin dieser Wirtschaft zu
betreiben! Das ist ganz im Gegenteil - darüber gibt es auch Be
rechnungen, - eine Methode, wie es möglich ist, auf der Basis
dieser Wirtschaftsform zusätzliche Arbeitsplätze zu beschaffen
und mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, einer geregelten
Arbeit nachzugehen, und sie eben nicht fast außerhalb dieser
Gesellschaft zu stellen, außerhalb der Möglichkeit, sich ordent
lich zu ernähren, in Urlaub zu fahren usw.
In diesem Sinne unterstützen wir diese Forderung der
Arbeitszeitverkürzung, und in diesem Sinne bedarf es auch der
Solidarität weiterer Kräfte.
[Beifall bei der AL]
Stellv. Präsident Longolius; Das Wort hat Herr Senator
Pieroth.
Pieroth, Senator für Wirtschaft und Verkehr: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich an die Ausführun
gen des Regierenden Bürgermeisters anknüpfen, bevor ich auf
die Auswirkungen des Streiks für Berlin komme. Das gibt mir
Gelegenheit, mit einer guten Nachricht zu beginnen, wie ich sie
hier noch nicht melden konnte.
4022