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Volume Nr. 64, 22. März 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
64. Sitzung vom 22. März 1984 
Dr. Mahlo 
(A) des Forums in den fließenden Verkehr entließ, würde durch eine 
behutsame Drehung aus dem Abseits an das Forum herange 
holt. 
Uns scheint, daß die prämiierte Lösung mit äußerst spar 
samen Mitteln, aber großer formaler Sicherheit erstmals dem 
Forum eine auch sinnlich nachvollziehbare Mitte gibt, die vielen 
heterogenen Baukörper um den Platz herum ordnet, die Situa 
tion insgesamt beruhigt und zugleich die Distanz schafft, die ge 
braucht wird, um einen optischen Dialog zwischen so gegen 
sätzlichen architektonischen Grundhaltungen an diesem Platz, 
nämlich dem organischen Bauen von Scharoun und dem ratio 
nalen Bauen von Mies, zu ermöglichen. 
Wir wissen, daß es gewichtige Stimmen in der Fachöffent 
lichkeit gibt, die das alles anders sehen. Wir haben diese Stim 
men auch in der eigenen Fraktion. Wir nehmen sie ernst, wie wir 
den Architekten ernst nehmen, der sich die Verteidigung des 
geistigen Nachlasses Scharouns zur Lebensaufgabe gemacht 
hat. Persönlich aber muß ich dem zustimmen, was Julius 
Posener am Ende des Gutachterverfahrens über die gefundene 
Lösung gesagt hat: Es war eine Aktion der Befreiung. - Ich 
danke Ihnen. 
[Beifall bei der CDU] 
Stellv. Präsident Longolius; Das Wort hat jetzt der Kollege 
Freudenthal. 
Freudenthal (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Her 
ren! Es ist gerade viel davon gesprochen worden, daß es erfreu 
lich ist, daß in der Öffentlichkeit eine lebendige Diskussion 
stattfindet. Es ist bisher viel davon geprochen worden, daß 
- das Wort ist heute noch gar nicht gefallen, das wundert 
mich - an diesem Platz Demokratie als Baumeister wirken 
sollte. 
(B) [Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Das wollte ich . . .] 
- Ja, ja, das kommt noch, das habe ich erwartet. Die eigentliche 
Frage an der ganzen Sache ist die: Warum nutzen Sie dann 
nicht die Möglichkeiten, die Ihnen die Gesetze geben? Warum 
bauen Sie gegen die Gesetze? Warum findet keine Bauleitpla 
nung, an der die Öffentlichkeit beteiligt werden kann, statt? 
Warum wird hier ohne Bebauungsplan, ohne Flächennutzungs 
plan gebaut, übrigens seit fast 25 Jahren? 
[Beifall bei der AL - 
Landowsky (CDU): Das ist doch nicht. . .] 
Die Öffentlichkeit hat überhaupt keine Möglichkeit, sich an 
diesem Verfahren zu beteiligen. 
[Beifall bei der AL] 
Statt dessen setzen Sie Gutachter ein, schaffen eine soge 
nannte Fachöffentlichkeit, schließen also den Bürger von der 
ganzen Frage aus. Dann kommen Sie auf die Idee und ver 
suchen gerade diesen Platz mit Stadtplätzen italienischer 
Städte zu vergleichen. Auch das ist gekommen. 
[Dr. Köppl (AL); Wo bei uns kaum die Sonne scheint!] 
Sie vergessen dabei, daß diese Stadtplätze in einer republika 
nischen, bürgerlichen Tradition von der Stadt und den Bürgern 
gebaut worden sind, und nicht von einer Fachöffentlichkeit, wie 
das hier in diesem Verfahren seit 1959 der Fall ist 
[Beifall bei der AL] 
Da liegen die Gewichte ziemlich gleich verteilt Herr Nagel hat ja 
die Namen Schwedler und Tiburtius schon genannt Im Zeichen 
der großen Koalition hatte man es natürlich nicht nötig, auf den 
Bürger überhaupt zuzugehen, die Instrumente der Bauplanung 
mit dem Bürger, wie es in einer Demokratie eigentlich Usus sein 
sollte - in Berlin bis heute noch nicht Usus geworden ist -, 
durchzuführen; statt dessen Gutachtergremien, Wettbewerbe, 
deren Ergebnisse dann vielleicht noch mal ausgestellt werden, 
aber zu denen die Bürger dann nur noch staunend aufblicken 
können. Genau in der Art und Weise sind dann auch die ganzen 
Gebäude ringsum entstanden. Große Denkmäler der aufeinan 
der folgenden Senate, die sich dann, ob große oder kleine Koali 
tion, ob neue Koalition, die sich dann immer wieder neue Bau 
denkmäler dort schaffen. 
[Nagel (SPD): Was wollen Sie denn damit sagen? 
Ich bin jetzt ganz irritiert!] 
Nun gut, ich finde ja einen Teil der Gebäude ganz ordentlich. Ich 
nehme auch manche Gebäude ganz gerne an. Aber wenn ich 
mir die Museumsbauten, die da entstanden sind, ansehe, wird 
für mein Empfinden die Schönheit dieser Gebäude nur noch 
vom Bunker an der Pallasstraße übertroffen. 
[Beifall bei der AL] 
Das ist die Folge, wenn man plant ohne eine ausreichende Dis 
kussion, wenn man plant, ohne daß der Bürger sich an dieser 
Planung und auch nicht nur eine eingeschränkte Fachöffent 
lichkeit, sondern eine breite Fachöffentiichkeit, an diesem Ver 
fahren beteiligen. Dann kommt Derartiges heraus. 
Ja Sie wollen sich heute überlegen, daß Sie den Verkehr aus 
diesem Gebiet herausnehmen. Sie haben den Verkehr ja über 
haupt erst reingelegt - gemeinsam. 
Sie haben ja die alte Potsdamer Straße der Staatsbibliothek 
geopfert. Sie hätten ja auch anders planen können. Dann wäre 
diese Situation nicht entstanden. Und wenn jetzt Herr Mahlo 
sagt - und Herr Diepgen hat’s wohl auch gesagt -, die Nationai- 
galerie müsse nun gedreht und gewendet werden; sie öffnet 
sich jetzt der Stadt, sie soll also von der Stadt weggewendet 
werden, sich öffnen auf einen Platz, der völlig unbelebt und völ 
lig tot ist, der praktisch die Wüstenei ist, in die man diese Bau 
ten verbannt hat. Die Scharounsche Idee, diese Philharmonie zu 
bauen, war ja 1956 gar nicht für diesen Platz gedacht. Die war 
ja viel dichter an dem gedacht, wo heute das städtische Leben 
noch stattfindet, sie sollte nämlich in der Nähe der Bundesallee 
stehen. Das ist Ihnen aber offensichtlich kaum noch in Erinne 
rung. 
Und dann, wenn man sich heute das Gelände ansieht, und 
vor allen Dingen diese alte Kirche dort sieht, die ist doch durch 
die Art und Weise, wie die Bauten ringsum entstanden sind, - - 
[Rasch (F.D.P.): Gehen Sie selber da hin?] 
- Sicher gehe ich in die Kirche. Aber wie diese Kirche dort 
heute steht, ist sie zum nostalgischen Nippes geworden inner 
halb dieser Großbauten, die dort ringsum stehen. Die sitzt in 
dieser Wüstenei dort völlig isoliert da, genauso isoliert, wie 
Kirche häufig in einer profanen Gesellschaft dasteht. Das ist 
wirklich deutlich, wie man hier im einzelnen die ganze Planung 
durchgeführt hat; Kirche als Beiwerk. 
Aber man muß es nicht nur rückwärts betrachten, man kann 
es auch vorwärts betrachten. Von da her ist ja noch nicht alles 
an dieser Stelle verloren. Wir haben ja gerade gehört; Die 
Kirche hat zum Beispiel dieses Gity-Kloster, das der Herr 
Hollein Ihnen geplant hat, nicht akzeptiert. Sie hat gesagt, sie 
kann da höchstens ein Gemeindehaus bauen, das wesentlich 
kleinere Ausmaße hat. Offensichtlich, wie der Artikel von Herrn 
Simon zeigt, ist die CDU völlig uneins, wie sie da weiter Vor 
gehen soll. Wir haben Ihnen ja einen Antrag vorgelegt, der 
Ihnen eine Denkpause ermöglicht. Wir denken, daß das auch im 
Sinne dessen ist, was Herr Simon im „Tagesspiegel“ geschrie 
ben hat. 
Insofern kann man ja Hoffnung haben, daß diese Gestaltung 
des Platzes noch etwas Zeit hat, der Zeitdruck dem genommen 
wird, und daß man nun eine Planung durchführen kann, die zum 
Beispiel in Richtung grüne Mitte geht, so wie das von meiner 
Fraktion, von Bürgerinitiativen vorgeschlagen worden ist, wie 
das in unseren Bereichen diskutiert wird. Von da her kann man 
dann diesen Platz als Kulturforum in einen größeren Bereich 
einbeziehen, den ganzen Tiergarten - den Spreebogen beson 
ders -, der aber auch den alten Potsdamer Personenbahnhof 
mit einbezieht, dieses Gelände dort, das zu mehr profaneren 
Kulturzwecken benutzt wird, damit dann insgesamt dieser Platz 
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