Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
62. Sitzung vom 23. Februar 1984
Neumann
bleibens des Herrn Kontos in Berlin. Es sind Kautionsangebote
gemacht worden. Es ist darauf nicht eingegangen worden. Und
wenn der Herr Justizsenator sich dahinter zurückzieht, daß
keine bezifferten Kautionsanträge gestellt wurden, so ist dies
doch nicht relevant.
[Zuruf von der CDU: Doch!]
Es kann doch von seiten der Staatsanwaltschaft vorgeschlagen
werden, weiche Höhe der Kaution sie für angemessen hält. Dort
ist doch die Möglichkeit, hier die eigene Position von seiten des
Justizsenators in dieses Verfahren einzubringen. Was mich am
meisten befremdet, ist, daß in dieser Angelegenheit offensicht
lich einige glauben, daß wir in Deutschland, daß wir in Berlin
wohl nach unserer eigenen Justizgeschichte die Geeigneten
wären, anderen, etwa griechischen Demokraten, Lektionen in
Rechtsstaatlichkeit zu erteilen.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Ich habe Zweifel, ob wir da recht daran tun! Ich habe Zweifel!
Auch der Justizsenator heute hat hier sehr viel über den Rechts
staat geredet, allerdings meines Erachtens sehr einseitig und in
sehr kleiner Münze. Natürlich ist Rechtsstaatlichkeit formale
Gewaltenteiiung. Natürlich bedeutet Rechtsstaatlichkeit, daß
die Gerichte nicht weisungsgebunden sind, daß sie nicht unter
Druck gesetzt werden dürfen. Das ist selbstverständlich. Aber
Gerichte sind nicht unfehlbar. Und weil Gerichte nicht unfehlbar
sind, dürfen ihre Entscheidungen auch kritisiert werden und
dürfen sie auch von Parlamentariern kritisiert werden. Dies ist
gutes Recht derjenigen, die hier von ihrer parlamentarischen
Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Und wenn Kritik an Justiz
organen hier nur sehr zurückhaltend geübt werden soll, dann
frage ich gerade die Vertreter der F.D.P.: Wo ist denn die Zu
rückhaltung der F.D.P., wenn es um die nordrhein-westfälische
Staatsanwaltschaft geht, wenn hier von Vorverurteilung gespro
chen wird gegenüber dem Herrn von Lambsdorff? Wo ist denn
da Ihre justizpolitische Zurückhaltung? Da fehlt sie Ihnen doch
vollkommen.
[Beifall bei der SPD und der AL -
Rasch (F.D.P.): Schmudel]
Ich meine aber, Rechtsstaatlichkeit ist mehr als formale Ge
waltenteilung. Rechtsstaatlichkeit hat auch einen materiellen
Gehalt. Im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt begründet,
daß Menschenrechte geschützt werden sollen. Und hier hilft es
nicht, in maßlose Polemik gegen die Verteidiger zu verfallen.
Selbst wenn Verteidiger durch Prozeßverschleppung die Pro
zeßdauer verlängern, selbst dann muß der Angeklagte freigelas
sen werden, wenn die Untersuchungshaft unverhältnismäßig
lang ist. Das hat mit der Dauer des Prozesses überhaupt nichts
zu tun. Und diese Untersuchungshaft hier dauert unverhältnis
mäßig lange. Ich muß aufgrund der kurzen Redezeit zum Ende
kommen: Meine Damen und Herren, ich möchte meinerseits
versuchen, nicht in Polemik zu verfallen. Und vielleicht kann
selbst der Kollege Rasch mal zuhören. Herr Kollege Rasch, soll
ten wir nicht anfangen, nachdenklich zu werden, wenn wir hier
Menschenschicksale vorfinden wie beim Fall Aitun, wo hinter
her immer wieder festgestellt wird: Es ist alles rechtsstaatlich
geschehen. Bloß es sind Menschen zu Schaden gekommen.
Fragen Sie sich dies auch an diesem Fall, ich bitte darum!
[Beifall bei der SPD und der AL]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Nächster Redner ist der
Abgeordnete Rösler.
Rösler (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Bei aller Berechtigung, die Dauer der Untersuchungshaft hier
zu erörtern, ist der mit der Aktuellen Stunde offenbar verbun
dene Versuch, über die Rechtspolitik oder Justiz in Berlin eine
Art Tribunal abzuhalten, gescheitert.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Er mußte scheitern, weil Sie zum wiederholten Male in der in
soweit inkompetenten Person des Senators für Justiz einen An
griff gegen die Dritte Gewalt, gegen die Unabhängigkeit der (C)
Rechtspflege starten wollten. Meine Damen und Herren, Sie er
wecken den Eindruck - und es war insofern beschämend, Herr
Dr. Gerl, das von Ihnen zu hören -, als sei der Justizsenator ver
antwortlich dafür, wer in Berlin verhaftet wird und wie lange je
mand in Untersuchungshaft bleibt. Den Vorwurf der Verletzung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - so das Thema der
Aktuellen Stunde -, diesen Vorwurf können Sie sinnvollerweise
gegen kein Mitglied des Senats erheben. Und daß Sie ihn
gegen ein Gericht erheben könnten, haben Sie ebenfalls nicht
dargetan. Natürlich ist es richtig, wenn ein hoher Staatsgast aus
Griechenland hier in Berlin sagt, Protestieren sei in einer Demo
kratie kein krimineller Akt. Das unterstreichen wir. Der Mann
aber, um den es hier geht, sitzt ja nicht deswegen in Haft. Ihm
werden schwere Körperverletzung, schwerer Landfriedens
bruch, Widerstand und andere Delikte zur Last gelegt Und ich
glaube, wir alle stimmen darin überein, daß da, wo dieser Vor
wurf nachweislich zutrifft, diese Taten auch in einer Demokratie
kriminell sind.
[Beifall bei der CDU]
Nun kann man natürlich fragen, ob das Verfahren so lange
dauern muß. Die rechtspolitischen Sprecher der Fraktionen
können ein Lied davon singen. Wir haben, alle Jahre wieder,
könnte man sagen, mindestens bei der Etatberatung des Justiz
haushalts, immer wieder die lange Dauer der gerichtlichen Ver
fahren und in diesem Zusammenhang auch die Dauer der
Untersuchungshaft beklagt. Wie sieht es denn hier aus? Tatvor
wurf 11.6.1982, Untersuchungshaft 12.6.1982. Die Anklage
schrift war fertiggestellt und zugestellt am 30. 6. 1982. Der
Staatsanwaltschaft wurde - und das ist ja wirklich außerge
wöhnlich schnell, wie wir alle wissen - in diesem Zusammen
hang von der Verteidigung der Vorwurf gemacht, die Staatsan
waltschaft habe zu schnell gearbeitet. Das Gericht hat den
Eröffnungsbeschluß erlassen am 10. 9.1982, und einen Monat
darauf, am 18. 10., begann die Hauptverhandlung, ln diesem
Zusammenhang zu sagen, daß von seiten der Behörde, sprich (p)
Staatsanwaltschaft, oder von seiten der Dritten Gewalt, sprich
Gericht verzögerlich gearbeitet wurde, geht wirklich fehl. Es
waren bisher 85 Verhandlungstage. Wir haben gehört, daß
85 Beweisanträge gestellt wurden, diverse Aussetzungs- und
Ablehnungsanträge. Alle diese Anträge müssen begründet be
raten und beschieden werden. Das alles dauert Zeit! Einer, der
diese Rechte, die unser Rechtsstaat gewährt, in Anspruch
nimmt - und ich unterstelle, er tut das im Interesse seines Man
danten - darf natürlich nicht hinterher beklagen, daß damit
auch nachteilige Folgen verbunden sind, die aber das Gesetz
vorsieht. Herr Dr. Kunze! Ich hätte auch erwartet, wenn Sie Vor
schläge in dieser Richtung machen, daß Sie dann Ihre Vor
schläge zu Papier bringen, so daß wir darüber beraten können.
Es läßt sich darüber sprechen, ob wir die Untersuchungshaft
nicht generell begrenzen sollten. Aber noch ist die Rechtslage
eine andere, und solange die unabhängigen Gerichte feststel
len, es besteht dringender Tatverdacht und es besteht
Fluchtgefahr, kommt auch kein Justizsenator dazu, sich da ein
zumischen. Und das wollen wir auch gar nicht! Er kann es nicht,
er will es nicht, und wir wollen es auch nicht.
Frau Mercouri hat geäußert, sie habe dem Herrn Kontos in die
Augen geschaut - ich unterstelle, sie hat einen Blick dafür -,
und sie meine, dieser Mann müsse unschuldig sein. Bei allem
Respekt vor einem Minister, einer Ministerin, erst recht vor einer
großen Künstlerin, sage ich: Der tiefe Blick in die Augen kann
die Urteilsfindung nach unserem Rechts-und Verfassungs
verständnis nicht ersetzen. Sicher wäre dies eine sehr schnelle
Methode, aber diese Art von Schnelligkeit wollen wir gerade
nicht. - Ich danke Ihnen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nun der Abgeordnete
Kunzeimann.
Kunzeimann (AL): Ich bin den beiden Vorrednern dankbar,
daß sie mir den Faden gegeben haben, meine Rede von vorhin
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