Path:
Volume Nr. 62, 23. Februar 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
62. Sitzung vom 23. Februar 1984 
Dr. Dittberner 
(A) ein Zusammenleben zwischen Mehrheiten und Minderheiten 
möglich ist. 
Auf der anderen Seite aber muß man natürlich sehen, daß 
hier ein Strafverfahren - Herr Lehmann-Brauns hat es aus 
geführt - zur Diskussion steht über eine der schlimmsten 
Demonstrationen, die wir in der Nachkriegsgeschichte über 
haupt erlebt haben. Es ist ja keine Kleinigkeit, über die wir hier 
reden; manchmal hat man aber den Eindruck, wenn man die 
Reden der AL-Fraktion hier hört Es ist seinerzeit eine Demon 
stration gewesen, die nicht nur verboten war, sondern es ist 
eine Demonstration gewesen, bei der das Verhältnis der AL zur 
Gewalt wieder einmal - und seitdem auch nicht korrigiert - ins 
Zwielicht geraten ist. 
[Vereinzelter Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Ich kann mich daran noch sehr genau erinnern, wie vage Ihre 
Ausflüchte gewesen sind und wie schwierig Ihre internen Dis 
kussionen gewesen sind - soweit man davon gehört hat. 
[Sehr (AL); Aber ehrlicher! - 
Weitere Zurufe von der AL] 
Aber den Fall hier, ob Kontos schuldig ist oder nicht, das 
haben wir nicht zu entscheiden, auch wenn die AL so tut, als ob 
sie es könnte. Wir können diese Frage auch gar nicht beurtei 
len. Wir können aber erwarten, daß die Justiz nunmehr diese 
Frage bald entscheidet und daß die Untersuchungshaft in 
einem angemessenen Verhältnis zur möglichen Strafe steht. 
Insofern, meine ich, diente es nicht nur dem Rechtsfrieden, son 
dern würde es auch noch sehr viel mehr bewirken, wenn die 
Untersuchungshaft Kontos' möglichst bald beendet werden 
könnte und wenn das Urteil so bald wie möglich gefällt werden 
würde. Ich danke für die Aufmerksamkeit. 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Nächster Redner ist der 
Abgeordnete Dr. Kunze. 
Dr. Kunze {fraktionslos): Frau Präsidentin! Meine Damen 
und Herren! Der Kollege Dittberner hat ja gerade etwas ver 
schämt, aber doch gut faßbar eine gewisse Distanz gelegt für 
seine Person zu dem, was der Senator für Justiz vorhin hier vor 
getragen hat Der Senator für Justiz hat im Interesse der Un 
abhängigkeit der Gerichte jegliche Kritik, öffentliche Kritik und 
auch parlamentarische Kritik an dem laufenden Gerichtsverfah 
ren zurückgewiesen. Dabei begeht der Senator für Justiz be 
dauerlicherweise einen grundsätzlichen Irrtum. Die Unabhän 
gigkeit der Gerichte ist zu Recht eine liberale Grundsatznorm, 
um gleichzeitig die Meinungsfreiheit, auch die kritische Ausein 
andersetzung um Gerichtsverfahren, zu ermöglichen. 
[Beifall bei der AL] 
Also, Herr Senator für Justiz, Meinungsfreiheit einschließlich 
der Kritik an Richtern und Gerichtsverfahren ist die notwen 
digerweise andere Seite der liberalen Medaille, die auf der 
einen Seite hat die Unabhängigkeit der Gerichte, in die poli 
tisch einzugreifen jedem nur abgeraten werden kann. 
Deswegen hat auch die Kultusministerin aus Griechenland 
die selbstverständliche Freiheit in einer liberalen Demokratie - 
das nehmen wir ja für uns in Anspruch -, ihre Meinung zu 
diesem Gerichtsverfahren zu äußern. Deswegen haben auch 
Abgeordnete hier im Parlament das Recht, Ihre Meinungen zu 
äußern. Ich brauche dieses gar nicht dazuzusagen, daß ich 
dabei nicht jede einzelne Meinung zu meiner eigenen mache. 
Nur einer hat in diesem Spannungsfeld von Meinungsfreiheit 
und Unabhängigkeit der Gerichte keine legitime Möglichkeit, 
sich an dem Streit über Gerichte und ein laufendes Gerichts 
verfahren als Partei zu beteiligen; Genau das ist der Senator für 
Justiz, Für den Senator für Justiz gibt es allerdings ein sehr ver 
nünftiges Zurückhaltungsrecht, eine Zurückhaltungspflicht in 
dem öffentlichen Meinungsstreit über Einzelvorgänge in bezug 
auf Gerichte und Gerichtsverfahren. Genau gegen diese Rlicht 
zu vernünftiger Zurückhaltung in einem Einzelverfahren ver 
stößt der Senator für Justiz in einer so groben Weise, daß man 
dafür kaum noch Bezeichnungen findet 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Ein Senator für Justiz, der dieses Parlament zur Bühne der 
politischen Agitation gegen eine Verteidigung in einem konkre 
ten, in der Öffentlichkeit diskutierten Gerichtsverfahren macht, 
muß sich fragen lassen, wie er eigentlich als Senator für Justiz 
die Unabhängigkeit des Gerichtsverfahrens insgesamt ein 
schließlich der Organe der Rechtspflege noch gewährleisten 
will, wenn er in dieser Weise politisch-agitatorisch Partei 
ergreift für das Organ der Rechtspflege Staatsanwaltschaft. 
Dieses ist dann unter dem Strich außerordentlich unglaub 
würdig und nicht geeignet, zur Unabhängigkeit des Gerichts 
verfahrens substantiell beizutragen. Nein, es gefährdet die 
Unabhängigkeit des Gerichtsverfahrens, wenn der Senator für 
Justiz in dieser Weise politisch Partei ergreift. 
Meine Damen und Herren, der Kern wird auf diese Weise 
vom Senator für Justiz vernebelt. Der Kern ist doch die unter 
vernünftigen Menschen unumstrittene Sorge, daß überlange, 
daß allzulange Untersuchungshaftdauern selbstverständlich zu 
einer Gefährdung von Menschenrechten werden. 
[Beifall bei der SPD] 
Dieses nicht als die Hauptsache der kritischen öffentlichen 
Diskussionen zu erkennen und dazu justizpolitisch sich zu 
äußern, ist ein Tiefpunkt der Justizpolitik in diesem Lande. Denn 
selbstverständlich wäre es die gebotene Stellungnahme des 
Senators für Justiz, nicht zu sagen, er weist die Staatsanwalt 
schaft an. Da bin ich dagegen. Nicht etwa die Unabhängigkeit 
der Gerichte antasten zu lassen. Da bin ich dagegen. Aber es 
wäre die justizpolitische, wünschenswerte Haltung gewesen, 
daß der Senator für Justiz keinen Zweifel daran läßt: Eine über 
lange Untersuchungshaft, wie hier mit 21 Monaten, ist auch ein 
Menschenrechtsproblem. Und es ist justizpolitisch die Aufgabe, 
wenn nötig, die gesetzgeberischen Voraussetzungen dafür zu 
schaffen, daß überlange Untersuchungshaftzeiten vermieden 
werden. Diesem Anspruch ist er leider nicht gerecht geworden. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Nächster Redner ist der 
Abgeordnete Neumann. 
Neumann (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her 
ren! Ich möchte vorab eine Bemerkung zum Herrn Justizsenator 
machen. Und zwar hat er in mir unverständlicher, dafür aber in 
um so polemischerer Art und Weise unseren Spitzenkandida 
ten angegriffen. Ich weiß nicht, wo da der Zusammenhang war. 
Ich kann das eigentlich nur so verstehen, daß in Abwesenheit 
des Regierenden Bürgermeisters und auch sonst Sie sich mitt 
lerweile als Spitzenmann des Senats verstehen. Dies läßt tief 
blicken, aber das ist nicht unser Problem, sondern Ihres. 
[Beifall bei der SPD] 
Der Kollege Dittberner hat versucht, das Problem, das wir 
hier diskutieren, einmal umgekehrt zu sehen. Er hat das nicht 
viel weiter fortgeführt. Der Journalist Jörg Otto Weis hat das im 
„Kölner Stadtanzeiger“ vom 7. Februar sehr konkret mal ge 
macht Wie würden wir denn reagieren, hier bei uns, wenn ein 
Deutscher in Griechenland in Untersuchungshaft säße, und 
zwar schon länger als die höchste Strafe in vergleichbaren Fäl 
len? Was würden wir denn von der Bundesregierung erwarten? 
Wir würden doch erwarten, daß dort interveniert wird. Wir 
würden doch erwarten, daß alles versucht wird, diese Unter 
suchungshaft, die offensichtlich unverhältnismäßig lang ist, zu 
beenden. Dies würden wir tun, dies wäre unsere Aufgabe, und 
es würde einen Aufschrei geben, wenn dies bei uns nicht ge 
schähe. Wie ist es aber tatsächlich bei uns gewesen? Nicht nur 
Deutsche, nicht nur die SPD-Bundestagsabgeordnete Dagmar 
Luuk haben sich rechtzeitig bemüht, hier einzugreifen, damit es 
nicht zum Justizskandal wird. Auch die griechische Regierung, 
auch der griechische Botschafter haben frühzeitig hier inter 
veniert. Es sind Zusagen gemacht worden hinsichtlich des Ver- 
3724
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.