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Volume Nr. 62, 23. Februar 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
62. Sitzung vom 23. Februar 1984 
(A) Dr. Gerl (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 
Nach den abgehobenen Ausführungen des Regierenden Bür 
germeisters kehren wir zur Berliner Realität zurück, 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
und zu dieser Realität gehört es, 
[Wagner (SPD): Daß der Regierende Bürgermeister 
nicht zuhört!] 
daß seit nunmehr über 20 Monaten fünf junge Menschen in 
Untersuchungshaft sitzen wegen angeblicher Beteiligung an 
Ausschreitungen bei einer Demonstration am 11.Juni 1982. 
Einer von ihnen, der Soziologe Minas Kontos, ist griechischer 
Staatsangehöriger. Gerade er hat nachdrücklich beteuert, 
unschuldig zu sein, ebenso wie die anderen. 
Die lange Dauer der Untersuchungshaft hat bei der griechi 
schen Regierung und in der griechischen Öffentlichkeit, mehr 
als in der deutschen Öffentlichkeit, Unruhe und Empörung aus 
gelöst. Am 25. Januar dieses Jahres hat der stellvertretende 
Außenminister Griechenlands dem Botschafter der Bundes 
republik Deutschland in Athen ein Memorandum überreicht, in 
dem es heißt, 
[Unruhe - Glocke des Präsidenten] 
daß diese Angelegenheit 
das Klima der sehr guten deutsch-griechischen Beziehun 
gen im Moment belastet. 
Weiter heißt es, 
daß die griechische Seite bereit sei, jede Garantie zu 
gewähren, die zur Bereitschaft für die Freilassung des 
Minas Kontos beitragen könnte. 
Dies ist mit anderen Worten das Angebot einer Kaution durch 
die griechische Regierung. 
In einem Schreiben vom 11. Februar dieses Jahres wendet 
(B) sich der Botschafter Griechenlands in Bonn unmittelbar an den 
Senator für Justiz, Herrn Oxfort, und weist darauf hin, daß die 
griechische öffentliche Meinung über die 20monatige Unter 
suchungshaft sehr beunruhigt sei, daß das Klima der beider 
seitigen Beziehungen belastet sei und daß die griechische 
Seite bereit sei, jede geeignete Garantie zu gewähren, die zur 
Freilassung des Herrn Minas Kontos führen könnte. Auch 
hierauf geschieht bei der Berliner Justiz nichts I Erst der Besuch 
der griechischen Ministerin Melina Mercouri am letzten Wo 
chenende bei ihrem Landsmann Kontos in der Untersuchungs 
haftanstalt Moabit hat die deutsche Öffentlichkeit wachgerüttelt. 
Nach dem Handkuß, mit dem Sie, Herr Senator Oxfort, die Frau 
Ministerin begrüßt haben, hat diese couragierte Frau durch den 
Besuch in der Untersuchungshaftanstalt Moabit Ihnen eine 
schallende politische Ohrfeige verpaßt, und ich meine, zu 
Recht! 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Sie, Herr Senator, können sich nicht einfach mit der Gewal 
tenteilung herausreden! Sie können sich Ihrer Verantwortung 
auch nicht dadurch entziehen, daß Sie den schon peinlichen 
Versuch machen, die Schuld an der Dauer des Verfahrens der 
Verteidigung anzulasten! Natürlich ist es Aufgabe der Verteidi 
gung, durch Beweisanträge die Glaubwürdigkeit von Be 
lastungszeugen zu erschüttern, zumal wir wissen, daß hier einer 
der Belastungszeugen, ein Polizeibeamter in Zivil, selbst als 
Steinewerfer identifiziert worden ist. Außerdem ist es ja hier so, 
daß das Gericht seinerseits das Verfahren erheblich dadurch 
verzögert hat, daß es oft nur einmal in der Woche einen Ver 
handlungstermin angesetzt hat, und daß ein solcher Verhand 
lungstermin dann vielfach nur wenige Minuten gedauert hat. 
In Wirklichkeit geht es hier gar nicht um die Dauer des Ver 
fahrens, es geht um die lange Dauer der Untersuchungshaft, 
und das ist zweierlei, dies muß man auseinanderhalten! Denn 
wenn ein Verfahren sich länger hinzieht, als ein Angeklagter für 
den Fall seiner Verurteilung an Strafe zu erwarten hat, dann tritt 
ein Punkt ein, von dem an die Fortdauer der Untersuchungshaft 
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt und 
rechtswidrig ist. Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnis 
mäßigkeit ist von Amts wegen von allen Beteiligten und von 
allen Organen der Justiz zu beachten, nicht nur vom Gericht, 
auch von der Staatsanwaltschaft und auch vom Senator für 
Justiz als dem Dienstherrn und dem politisch Verantwortlichen! 
[Beifall bei der SPD] 
Aus weichen Gründen bekommt denn zum Beispiel die 
Staatsanwaltschaft jeden Monat die Haftlisten vorgelegt, wenn 
nicht aus dem Grund, daß sie zu prüfen hat, ob die Haftvoraus 
setzungen noch immer vorliegen! 
Die Berliner Justiz ist ja bekannt dafür, daß ihr oft die notwen 
dige Sensibilität für das Verhältnismäßigkeitsgebot und den 
hohen Wert der Menschenrechte fehlt. Ich erinnere nur an den 
Fall des Kemal Altun, in dem auch die Unverhältnismäßigkeit 
der langen Dauer der Haft - in dem Fall ging es um die Ausliefe 
rungshaft - von Staatsanwalt und Gerichten und vom Justiz 
senator schlicht mißachtet worden ist 
[Dr. Wruck (CDU): Das ist zu pauschal gesagt!] 
Oder ich erinnere an die bedenkliche Untersuchungshaft der 
Journalisten Häriin und Kloeckner. Sicher sind das Einzelfälle, 
Herr Kollege Wruck, aber sie sind es, auf die die Kritik beson 
ders zu richten ist 
Es war peinlich und beschämend, wie der Senator für Justiz 
auf die Forderung der griechischen Ministerin Mercouri nach 
Freilassung von Minas Kontos reagiert hat. Natürlich war von 
Ihnen, Herr Senator Oxfort, nicht zu erwarten, daß Sie nun mit 
dem gleichen Engagement wie die Ministerin die Haftentlas 
sung befürworten würden, dies paßt schon nicht zu Ihrer Be 
häbigkeit. Aber daß Sie es fertiggebracht haben, hier eine 
Schuldzuweisung vorzunehmen, eine Schuldzuweisung nicht 
nur für die Dauer des Verfahrens, sondern auch für die lange 
Dauer der Untersuchungshaft in der Weise, daß Sie auch dies 
der Verteidigung anzulasten versuchten, dies, meine ich, ist 
schäbig! Dies war schäbig und stellt die Dinge auf den Kopf! 
[Beifall bei der SPD und der AL - 
Tietz (AL): Unerhört!] 
Denn die Verteidigung - das wissen wir - hat sich ständig be 
müht, besonders im Januar und Februar dieses Jahres, durch 
Anträge an fast jedem Verhandlungstag die Haftentlassung zu 
erreichen. Es wurde jedesmal beantragt: Aufhebung des Haft 
befehls, hilfsweise Haftverschonung - und die Anträge sind 
immer wieder abgeschmettert worden mit der stereotypen und 
bekannten Begründung: Die Haft dauert aus Gründen ihrer 
Anordnung fort! Und wenn Sie, Herr Senator, das der Öffent 
lichkeit verschwiegen haben und statt dessen allein hervor 
kehren, daß die letzte Haftbeschwerde zum Kammergericht im 
Sommer vorigen Jahres gestellt worden ist dann vermitteln Sie 
ein falsches Bild! Bei der Haftbeschwerde war es im übrigen 
so, daß die Angeklagten dabei eine Kaution angeboten hatten, 
zwar nicht eine bezifferte, aber eine Kaution. Der Bruder des 
Minas Kontos hatte schon zweimal im Jahr davor einen Betrag 
von 50 000 DM, sogar in bar, bereitgehalten. Aber das Kammer 
gericht hat die Beschwerde mit der Begründung zurückgewie 
sen bzw. verworfen, daß die berufs- und einkommenslosen 
Angeklagten das Geld nicht aus eigener Tasche aufgebracht 
haben könnten oder aufbringen könnten und daß eine von 
anderer Seite gestellte Kaution nicht die hinreichende Sicher 
heit biete, eine Argumentation, wie sie z. B. im Falle Garski in 
keiner Weise eine Rolle gespielt hat, obwohl es ja dort bekannt 
lich so war, daß die Kaution von einer Million Mark von Freun 
den des Herrn Garski zusammengetragen worden ist. 
[Beifall bei der AL] 
Sie, Herr Senator Oxfort, haben bei Ihrer Besprechung mit 
der Frau Ministerin Mercouri eine von Ihnen vorbereitete ge 
meinsame Erklärung aus der Tasche gezogen, die von der Frau 
Ministerin wegen zweier Punkte nicht akzeptiert worden ist: 
wegen der Schuldzuweisung an die Verteidigung und wegen 
der Behauptung, es handele sich hier nicht um einen politi 
schen Prozeß. Dies sieht man in Griechenland anders! 
[Freudenthal (AL): Mit Recht!] 
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