Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
61. Sitzung vom 16. Februar 1984
Momper
Finanzsenator hat an den hohen Kosten aus der Sozialhilfe
schwer zu tragen. Wir wissen, wie sich die Ausweitung im Lan
deshaushalt auswirkt. Wir wissen, daß knapp die Hälfte der
Sozialhilfe für die Riege aufgewendet werden muß, das ist
einer der Hauptkostenfaktoren. Es ist gar keine Frage, daß nach
dem 10. März 1985 auf einen Senat unter Leitung von Harry
Ristock die Frage zukommen wird, was er zur Minderung der
Kosten tun kann. Das ist jetzt schon abzusehen, denn die 13
Monate, die Herr Diepgen und Sie noch regieren werden, sind
kaum noch der Rede wert. Wir werden vor dem gleichen Pro
blem stehen. Auf der einen Seite steht die Kostenbelastung für
die öffentlichen Haushalte, auf der anderen Seite sind die
Kosten für die betroffenen alten Menschen - Kollegin Brinck-
meier hat das hier angesprochen - auch etwas, was sie be
lastet, was sie drückt Wenn jemand 20, 30,40 Jahre gearbeitet
und die Marken in der Arbeiterrentenversicherung oder in der
Angestelltenversicherung oder in der Seekasse oder sonstwo
bezahlt hat und ihm im Alter gesagt wird, wenn er mit 75 oder
80 oder 68 oder in einem anderen Alter in ein Heim kommt,
weil er sich daheim nicht mehr vernünftig unterhalten kann und
seine Angehörigen die Riege nicht mit übernehmen können,
daß er zum Taschengeldempfänger wird, dann ist das ein bitte
rer Vorgang für die Betroffenen. Jeder, der öfter in Altenheimen,
in Seniorenheimen war und mit den älteren Bürger gesprochen
hat, die dort auf der Pflegestation leben, weiß, daß das für den
alten Menschen eine zusätzliche Belastung ist, wenn er - wie
es dort von den Älteren so bezeichnet wird - Geld von der Für
sorge bekommt, zum Taschengeldempfänger wird. Was für
junge Menschen noch etwas Beglückendes ist, ist es für den
alten Menschen nicht mehr.
Das sind zwei Seiten der Medaille, die auch wir sehen und
berücksichtigen müssen. Aber die Lösung, die Sie und der
Finanzsenator jetzt wollen, nämlich undifferenziert - nach
welchen Planungskriterien eigentlich? Wie soll das im einzel
nen eigentlich ablaufen? Nur mit den hier von Frau Brinckmeier
zufällig bekanntgewordenen Erpressungsversuchen bei der
Liga? - Plätze zurückzunehmen, um die Kosten zu drücken, ist
die Realisierung der Ankündigungen, die der Herr Finanzsena
tor im Zusammenhang mit der Sozialhilfe früher schon gemacht
hat. Das sind die Auswirkungen der Rechnungshof-Berichte
und der Senatsberichte über die Sozialhilfe. Das ist doch keine
Politik, das ist blindes Abschneiden von sozialen Leistungen mit
dem Rasenmäher, wie es Bonn macht und wie Sie es auf Lan
desebene leider auch tun!
[Beifall bei der SPD]
Wir halten das für einen falschen Weg. Deshalb haben wir vor
geschlagen, beiden Seiten Entlastungen zu bringen, nicht nur
dem Staatshaushalt, der hier aus der Sozialhilfe eine eigentlich
wesensfremde Leistung erbringt - das soll ein Auffangtat
bestand für Notfälle sein -, sondern durch eine Pflegeversiche
rung, die dem jüngeren Menschen die Sicherheit gibt, daß er im
Alter, wenn er auf Pflege gehen muß, abgesichert ist. Wir
meinen, daß ein Prozent - das ist wohl der Satz, der errechnet
worden ist - aus dem Aktiveinkommen dafür ausreicht, um das
finanzieren zu können. Wenn Sie sagen, Herr Senator Fink, die
Kosten seien nicht durchgerechnet, es sei darüber nicht genü
gend nachgedacht worden: Der Antrag, den wir zur Riegever
sicherung eingebracht haben, ist ein Kompromiß zwischen
Haushalts- und Sozialpolitikern. Es ist der Vorschlag, den - was
Sie nicht wissen können, weil sie so etwas nicht lesen - die
Liga auf Bundesebene erarbeitet hat, zusammen mit den kom
munalen Spitzenverbänden. Es ist der Versuch, einen Aus
gleich zu erzielen. Dazu gibt es eine dicke Broschüre, die ich
Ihnen gerne zur Verfügung stelle, damit Sie das nachlesen kön
nen. Eine solche Strukturreform mit der Riegeversicherung ist
ein sinnvoller Weg, um den Etat zu entlasten und auf der
anderen Seite auch den Betroffenen eine sinnvolle Perspektive
zu eröffnen.
Sprechen wir über die Zahlen der älteren Bürger: Von den
Sozialhilfeempfängern, die Pflege bekommen - 65 Jahre und
älter, das ist etwa die Hälfte -, ist mehr als die Hälfte über 75
Jahre alt. Diese Tendenz ist ansteigend - in Berlin und in West
deutschland. Ich weiß nicht, wo die Zahlen, von denen Sie ge- (C)
sprachen haben, herkommen sollen; ich bezweifle die Zahlen,
die Sie genannt haben.
Wo Sie kürzen wollen, wo Sie Seniorenheime wegnehmen
wollen und wo sie sie belassen wollen, das begründen Sie mit
dem Grundsatz „Qualität statt Quantität“. Das ist einer Ihrer Pro
grammsätze, zu denen man, wenn man sie hört, eigentlich nur
sagen kann: Jawohl, eine sinnvolle Politik! - Doch man muß
sich ansehen, wie die Realisierung aussieht. Dann kann ich,
Herr Senator, dieses Kriterium und auch sonst kein sinnvolles
Planungskriterium erkennen. In Steglitz wird kein einziges
Seniorenheim weggenommen. Der andere Bezirk, Schöneberg,
wird überhaupt keine mehr haben, obwohl die Diakonie dort ein
neues Heim mit hohen Kosten bauen wird. Hier wird erkennbar,
daß ein relativ billiges Heim, das mit wenig Geld vernünftig her
gerichtet werden könnte - Kolonnenstraße -, gestrichen wird
zugunsten eines teuren Neubaues der Diakonie. Wie erklärt
sich denn das? - Herr Senator Fink, man muß doch schlicht
sagen: Ein schwacher Sozialstadtrat wie Herr Bürger kann sich
in diesem Punkt nicht durchsetzen; die Sozialstadträte im
Lande wissen, wie Sie den Stadtrat und den Bezirk Schöneberg
abgebügelt haben, während der andere Bezirk Steglitz mit dem
Herrn Thies - die Kollegen der CDU-Fraktion wissen das - die
Stimme war, die im Bundesfachausschuß der CDU noch
gefehlt hat, damit Sie zum Vorsitzenden gewählt werden. Das
sind die Planungskriterien, Herr Kollege Fink, die bei Ihnen
dahinterstehen und die entscheidend sind, ob ein Bezirk Senio
renwohnheime behält oder nachher keines mehr hat
[Beifall bei der SPD]
Was Zehlendorf anbelangt, der anerkanntermaßen in dieser
Hinsicht bestversorgte Bezirk mit einem hohen Versorgungs
grad, ob gerade dieser - Frau Brinckmeier hat schon darauf hin
gewiesen - noch etwas braucht, darauf wird man noch zu
sprechen kommen; weggestrichen ist dort nichts. Das ist auch
ein Teil Ihrer Politik.
(D)
Wenn es wirklich um Qualitätsverbesserung gehen würde;
dann gäbe es einzelne Projekte etwa im Bereich der Liga-Ver
bände, die gebaut werden könnten. Was ist denn mit dem Heim
der Sidonie-Scharfe-Stiftung, das baufertig ist, das aus konjunk
turpolitischen Gründen vielleicht sehr sinnvoll zu bauen wäre,
das eine wirkliche Qualitätsverbesserung bedeuten würde? -
Das ist erst einmal aufgeschoben, weggeschoben. Ich frage
mich und bin bei Ihnen schon gar nicht mehr sicher, ob das
überhaupt noch gebaut werden wird. Oder etwa das Senioren
heim in der Marburger Straße; dafür liegt die Bauplanungs
unterlage, so höre ich, bei Ihnen ungeprüft und wird auf Eis
gelegt. Auch das wäre eine sinnvolle Verbesserung gewesen.
Das machen Sie aber nicht. Was wird statt dessen gemacht,
was lassen Sie laufen, außer daß Sie sehr allgemeine Worte
verlieren? - In Zehlendorf, in der Claszeile, gibt es einen priva
ten Neubau. Und daran sieht man - Frau Brinckmeier hat das
schon angedeutet -, wo solche Neubauten im Gange sind:
Was Sie machen, ist eine Verschiebung zugunsten des privaten
Bereichs. Was Sie wirklich machen, das ist wirtschaften in die
Taschen der privaten und gewerblichen Unternehmer in diesem
Bereich.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Es wundert einen auch nicht, wenn Ihre Parteifreunde daran
interessiert und auch beteiligt sind, denn es geht schließlich um
das große Geld. Wenn wir zur Meinekestraße kommen, da sieht
man, mit weichen billigen Taschenspielertricks gearbeitet wird.
Da ist dem Herrn Bahner etwas versprochen worden, dann hat
man das wieder einkassiert. Da mußte die Kollegin Korthaase
zweimal nachfragen, ehe sie doch noch eine anständige Ant
wort bekam, und diese Antwort muß man sich einmal genau
ansehen. Da wird gesagt, der Träger dort nehme nur Selbst
zahler auf, der Träger Bahner nimmt nur Selbstzahler auf. Nun
ist es so, wie wir alle wissen, daß die Sozialhilfe ein individual
rechtlicher Anspruch ist. Wir wissen auch, daß dann, wenn es
dem Herrn Bahner in den Kram paßt, er seine Sätze so hoch
ansetzt, daß die Selbstzahler aus der Kostengrenze heraus
rutschen. Dann gehen die zum Sozialamt, und dann muß das
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