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Volume Nr. 61, 16. Februar 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
61. Sitzung vom 16. Februar 1984 
Sen Fink 
es in vielen Fällen gelungen, solchen Arbeitenden einen An 
schlußarbeitsvertrag zu geben - einen Anschlußarbeitsvertrag, 
den sie sonst vermutlich wegen eines gewissen Widerstandes 
der Verwaltung nie bekommen hätten! - Das ist der eine Teil. 
Der zweite Teil ist: Es dreht sich hier nicht um eine Meinungs 
disziplinierung. Das hat auch die 17. Kammer des Verwaltungs 
gerichts in Berlin in der Einstweiligen Anordnung bestätigt. 
Wenn Sie sich einmal die Umstände des Falles vor Augen füh 
ren wollen, dann lese ich Ihnen vielleicht ganz gerne einmal vor, 
wie das Bezirksamt Charlottenburg es begründet hat Die Be 
gründung lautet; 
Sie wurden vom Sozialhilfeträger mit Einweisungsbe 
scheid für eine gemeinnützige und zusätzliche Tätigkeit 
der Senatsverwaltung für Schulwesen zugewiesen. Als Ar 
beitsbeginn wurde Ihnen der 12.1., 8 Uhr, mitgeteilt Sie 
sind an diesem Tag dort erschienen und haben sich nach 
den schriftlich niedergelegten Aussagen der zuständigen 
Mitarbeiter in die Verteilungsstelle der Einsatzstelle mit den 
Worten begeben; „Ich muß mich hier zur Zwangsarbeit 
melden.“ 
Zufällig war der für Ihren Einsatz zuständige Bedienstete in 
diesem Raum anwesend. Er wandte sich Ihnen zu, stellte 
sich vor und bot Ihnen sejne Hand zur Begrüßung an. Sie 
haben sich darauf hin abrupt zur Seite gewendet und aus 
dem Fenster geschaut Dessenungeachtet wurden Sie in 
das Dienstzimmer dieses Herrn gebeten. Sie setzten sich 
auf den angebotenen Stuhl, entzündeten eine Zigarette 
und äußerten dabei: „Sie wissen ja, daß nach dem Grund 
gesetz Zwangsarbeit nur für Strafgefangene erlaubt ist“ 
Zwar war Ihr Gesprächspartner noch bemüht, Ihnen zu ver 
deutlichen, daß im Rahmen gemeinnütziger und zusätz 
licher Tätigkeit Beschäftigte als Mitarbeiter seiner Behörde 
angesehen würden und keineswegs als Strafgefangene 
betrachtet würden, deren Strafe in Form von Zwangsarbeit 
abzuleisten wäre. Ihr Verhalten indessen machte deutlich, 
daß Sie an einem solchen Gespräch nicht interessiert 
waren. Das Gespräch endete schließlich mit dem Hinweis, 
daß Sie sich wieder an Ihre zuständige Einsatzstelle wen 
den mögen, da mit Ihrem Einsatz das gewünschte Arbeits 
ergebnis nicht erreicht werden könne. Sie haben dem nicht 
widersprochen. Sie haben nicht erkennen lassen, daß Sie 
trotz Ihrer grundsätzlich ablehnenden Haltung bereit seien, 
sich in den Arbeitsprozeß einzuordnen, und lediglich mit 
Ihren Äußerungen ein anderes Rechtsverständnis aus- 
drücken wollten. Sie verließen vielmehr wortlos das Dienst 
zimmer. 
Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen. 
Präsident Rebsch; Bitte sehr, Herr Dr. Köppl! 
Dr. Köppl (AL): Herr Senator Fink, ich hoffe, daß der Betrof 
fene damit einverstanden ist, daß Sie diese Äußerungen hier 
eben öffentlich verlesen haben. 
Da Sie das Wort „Zwangsarbeit“ explizit zurückgewiesen 
haben, frage ich Sie: Inwiefern gehört es zu der von Ihnen hier 
zu vertretenden Arbeitsform, daß das gesetzlich abgesicherte 
Recht gewährleistet ist, daß der Betroffene das Recht hat auf 
freie Wahl seines Arbeitgebers, daß der Betroffene das Recht 
hat auf Koalitionsfreiheit, sich also gewerkschaftlich organisie 
ren und sich gewerkschaftlich schützen lassen kann, und inwie 
fern hat der Betroffene das Recht auf eine angemessene Be 
zahlung und auf eine personalrechtliche Absicherung und Ver 
tretung über die Personalräte? - Alle diese Rechte sind nicht 
abgesichert, das wissen Sie ganz genau. 
In dem von uns angesprochenen Fall frage ich Sie zusätzlich, 
inwiefern für diesen Betroffenen noch das Recht gilt, daß er 
eine persönliche Meinungsfreiheit besitzt, auch wenn er einem 
Arbeitsverhältnis in Ihrem Sinne nachzugehen hat? 
Präsident Rebsch; Bitte sehr, Herr Senator! 
Fink, Senator für Gesundheit, Soziales und Familie: Herr (C) 
Abgeordneter Dr. Köppl, ich glaube, Sie verkennen den Sach 
verhalt. Tatsache ist, daß der Betreffende, nachdem er in die 
Bundesrepublik Deutschland, nach Berlin, gekommen ist, seit 
1969 eine Ausbildung an der Universität - finanziert vom Land 
Berlin - erhalten hat mit entsprechender Unterstützung des 
Landes Berlin. Danach war er kurzzeitig aushilfsweise tätig. 
Seit dem Jahr 1978 geht er keiner Tätigkeit mehr nach. Er hat 
Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe bekom 
men. Die Arbeitslosenhilfe wurde eingestellt weil sich der Be 
treffende geweigert hat, an einem Eingliederungskurs, bei 
spielsweise für Datenverarbeitung, teilzunehmen. Er war nicht 
bereit, sich nach Westdeutschland vermitteln zu lassen. Darauf 
hin ist die Arbeitslosenhilfe eingestellt worden. Er hatte also 
wirklich hinreichende Möglichkeiten, sich um eine entsprechen 
de Arbeitsgelegenheit zu bemühen. Zusätzliche Hilfestellungen 
in Höhe von mehreren Zehntausend Mark sind für ihn 
aufgewandt worden. 
Ich muß sagen: Es gibt auch umgedreht eine Verpflichtung 
des einzelnen, wenn die Gemeinschaft für ihn eintritt, im Maße 
seiner Möglichkeiten mitzuwirken. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Präsident Rebsch: Nächste Zusatzfrage - Herr Abgeord 
neter Krüger! 
Krüger (CDU): Herr Senator, sind Sie mit mir der Meinung, 
daß nicht allein pünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz aus 
reichend dafür sein kann, daß einer hier in diesem Sinne An 
sprüche erwerben kann, sondern daß darüber hinaus auch die 
absolute Arbeitsbereitschaft und auch die Arbeitsfähigkeit vor 
handen sein muß, daß also zum Beispiel solche, die betrunken 
erscheinen, durchaus nicht ihren Ärbeitsplatz, so wie vor 
geschlagen, dann auch ausfüllen können? 
Sind Sie darüber hinaus mit mir nicht gerade hier - in Anbe 
tracht dieser Diskussion und Fragestellung - der Meinung, daß 
der Vorwurf, es wurde wegen einer politischen Disziplinierung 
hier so gehandelt, fehlgeht, daß hier vielmehr ein Drückeberger 
offensichtlich demaskiert wurde? 
[Gelächter bei der AL] 
Präsident Rebsch; Herr Senator! 
Fink, Senator für Gesundheit, Soziales und Familie: Herr 
Abgeordneter Krüger, ich glaube, daß ich hinreichend deutlich 
gemacht habe, wie der Fall ist Ich will noch einmal nachdrück 
lich sagen: Das Verwaltungsgericht, der Klageweg steht ja allen 
offen; sie können sich gegen Bescheide der Sozialämter zur 
Wehr setzen, sie werden auf die gerichtliche Möglichkeit auf 
merksam gemacht Die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts 
hat genau diesen Fall überprüft Ich sehe nun wirklich keine Ver 
anlassung, in einem Verfahren, welches den rechtsstaatlichen 
Bestimmungen doch nun wirklich bis in jeden I-Punkt hinein 
entspricht, noch zusätzliche Ausführungen zu machen. Jeden 
falls scheint mir doch der Vorwurf einer Meinungsdisziplinie 
rung abwegig zu sein. 
Präsident Rebsch: Letzte Zusatzfrage - Herr Abgeordneter 
Schmitt! 
Schmitt (CDU); Herr Senator Fink, ist Ihre Äußerung, daß 
das Bezirksamt sich in diesen Angelegenheiten besonders 
schwer tut, dahin gehend zu verstehen, daß das Bezirksamt 
Charlottenburg, Abteilung Sozialwesen, das ja von einer SPD- 
Dezernentin geführt wird, sich nicht immer an die Senatsvor 
gaben hält? 
Fink, Senator für Gesundheit, Soziales und Familie: Sie 
haben meinen vorsichtigen Hinweis richtig interpretiert 
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