Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
58. Sitzung vom 19. Januar 1984
Bm Lummer
(A) zuständigen Amtsarzt und die Mitglieder des Petitionsaus
schusses hingewiesen und auf deren Erkenntnisse aufmerk
sam gemacht, die ich gerade zitiert habe. Vielleicht wäre der
Kollege Ulrich zu einem anderen Ergebnis gekommen, wenn er
selber dort hingegangen wäre wie ich. Aber das hat er nicht ge
macht. Gravierende bauliche Mängel oder personelle Mißstän
de sind dem Senat nach dem Besuch der Abgeordneten Frau
Kantemir und der Herren Lorenz und Wruck im September
nicht bekannt geworden.
Die Gewerkschaft der Polizei hat mich mit einem Brief vom
28. Juni 1983 auf die schwierige Personalsituation im Gewahr
sam Steglitz aufmerksam gemacht. Sie hat sich dafür einge
setzt, vier Wachpolizisten ständig zusätzlich im Gewahrsam
einzusetzen, und zwar bedarfsorientiert in den Tagesschichten
- ich wiederhole: in den Tagesschichten. In dem Schreiben
wird ausschließlich auf die besondere Belastung des Wachper
sonals und die sich daraus - nach Auffassung der Gewerk
schaft - ergebende Fürsorgepflicht hingewiesen. Etwaige bau
liche Mißstände wurden nicht erwähnt. Auch enthält das Schrei
ben keine Forderung nach einer Verbesserung des Abschiebe-
vollzugs. Ich möchte auf diese Tatsache nur deshalb aufmerk
sam machen, weil von Ihnen, meine Damen und Herren von der
Opposition, heute der Eindruck erweckt wird, als lägen mir ge
wissermaßen seit Monaten detaillierte Forderungskataloge zur
Verbesserung des Abschiebevollzugs vor.
[Hans-Georg Lorenz (SPD): Seit Jahren!]
Es sind, wenn ich es richtig sehe und sagen darf, folgende Pro
bleme in diesem Zusammenhang, die aufgetaucht sind aus der
Kritik derer, die dort waren; die Personallage - vor allem das
Gewerschaftsargument, daß das Personal dort nicht ausreiche,
einmal war es die Praxis der Besuchsregelung. Da war ein Ge
fängnisgeistlicher, der auch dort war und sich dann an den Peli-
tionsausschuß gewandt hat. Es war die Frage beim Kollegen
Wruck nach Jugendlichen im Abschiebegewahrsam, und es
' ' tauchte das Moment der Dauer auf und damit verbunden sicher
lich die Frage der psychologischen Streßsituation, in die je
mand kommt, wenn er unter solchen Bedingungen über längere
Zeiträume zu existieren hat. Diese Dinge sind in derTat als Ana
lyse aus der Kritik erkennbar.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Inneres, Sicherheit
und Ordnung hat mich am 25. August 1983 in Ergänzung zu
dem Schreiben der Gewerkschaft der Polizei ebenfalls auf die
personelle Situation im Gewahrsam aufmerksam gemacht,
auch auf die allgemeine Situation. Aber in der Sache hat er aus
drücklich die Forderung der Gewerkschaft der Polizei nach
einem Einsatz zusätzlichen Personals erhoben und unterstützt.
An dieser Stelle möchte ich betonen, daß es weder der Gewerk
schaft der Polizei noch dem Herrn Vorsitzenden darum ging, die
Personalstärke von vier Bewachern für die Gefangenenbewa
chung zur Nachtzeit zu verstärken; eine Personalstärke, die be
kanntlich auch in der Silvesternacht 1983 gegeben war. Es soll
ten also am Tage Veränderungen eintreten.
Ich stelle deshalb ausdrücklich fest, daß bis zu dem Brand-
ungiück offenbar allseits keine Zweifel daran bestanden, daß
zumindest nachts eine genügend große Zahl an Mitarbeitern für
die Bewachung und die Schließtätigkeiten eingesetzt wurde.
Schließlich darf ich in diesem Zusammenhang auch nicht über
sehen, daß das Gewahrsam Steglitz zusammen mit dem Poli
zeiabschnitt 45 auf einem Gelände untergebracht ist und des
halb jederzeit personelle Verstärkungen durch den Abschnitt er
möglicht werden können.
Nach einem Artikel der „taz“ vom 6. Oktober 1983 haben die
Abgeordneten Frau Zieger und Herr Barthel - da ging es vor
allem um die Frage der Besuchsmodalitäten, das war der Hin
tergrund - bei einem Besuch des Gewahrsams den Eindruck
gewonnen - ich zitiere -, dort werde modern und sauber bis zur
Sterilität verwahrt.
[Heiterkeit beim Abg. Baetge (F.D.P.) und
Zuruf: Siehstel]
Herr Abgeordneter Barthel hat sich am 12. Oktober 1983 in
einer Kleinen Anfrage über die Möglichkeiten informiert, den
viele Monate in Abschiebehaft befindlichen Ausländern kulturel
le Angebote oder Betätigungen zu bieten. Das war wiederum
ein Anlaß, um die psychologische Situation dort zu erleichtern.
Nach alldem kann ich es jedenfalls nicht so ganz verstehen,
wie jetzt die Sozialdemokraten von katastrophalen und untrag
baren Verhältnissen sprechen und offenkundige Mißstände auf
dem Schilde führen, wo hingegen sich die Konditionen gegen
über der Zeit vor diesem Senat überhaupt nicht geändert
haben, auch nicht - was noch zu beweisen ist - die Belegungs
dauer und die Belegungszahlen. Dann muß man allerdings
fragen, wie der Kollege Kunze das heute so nett getan hat, ob
sich nicht in einem bestimmten Moment eine ganz eigenartige
Wende ergibt, daß jemand - wie er sagte -, steht im „Tages-
spiegel“: „.... rückt auf die Senatsbank und die Vernunft ist da
hin.“ - Mindestens hier gibt es auch Ansatzpunkte, daß das um
gekehrt auch einmal der Fall sein kann, daß also gewisser
maßen katastrophale Zustände offenbar erst dann eintreten,
wenn die Wende in die Opposition vollzogen worden ist. Das
finde ich schon reichlich merkwürdig.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Nun muß ich zu meiner eigenen Wertung und Einschätzung
etwas sagen. Ich sage, daß ich es bedauere, dort nicht eher hin
gegangen zu sein. Das bedauere ich! Ich hätte nämlich andere
Erkenntnisse gewonnen als der Petitionsausschuß und auch
als mancher Kollege. Ich bin erst am 13. September dort ge
wesen und bedanke mich insofern beim Kollegen Lippschütz,
daß ich diesen Gang dorthin nicht zuletzt seiner Anregung ver
dankt habe, denn er hat mich gebeten, mir das selber anzu
schauen. Das habe ich dann auch getan. An gleichen Tage
habe ich meiner Verwaltung den Auftrag gegeben, erstens die
Personalsituation der zentralen Gewahrsamsbereiche der Poli
zei insgesamt zu überprüfen und nach Möglichkeiten zu
suchen, zweitens die Ballung von strafhafterfahrenen Auslän
dern in großen Sammelzellen zukünftig zu verhindern.
Nun, Frau Zieger, ich stehe auch dazu, daß ich dabei in der
Tat in erster Linie nach den Erfahrungen in der Vergangenheit
die Beamten und Angestellten, meine Mitarbeiter, im Auge
hatte. Denn die Erfahrungen der Vergangenheit sind ja gewe
sen, daß die Mitarbeiter Brände löschen mußten, weil irgend
welche Leute ausbrechen wollten, daß diese Mitarbeiter dann,
wenn Bambule ist, in eine Zelle hineingehen müssen, wo 20
Leute drin sind. Sie sind aber nur zu zweit, zu dritt oder zu viert.
Das ist gefährlich, denn das sind oftmals keine einfachen Leute
im Augustaplatz: BTM-Täter und andere Kriminelle oftmals,
nicht nur - das sage ich ja nicht -, aber eben oft genug. Insofern
muß ich den Schutz meiner Mitarbeiter sehen. Aber ich räume
ein: Auch dieser andere Gesichtspunkt der psychologischen
Situation für die Insassen muß gesehen werden. Diesen kann
man auch nur auflösen - und das nutzt dann beiden Gruppen,
den Beamten und den Insassen -, wenn man die Zellen verklei
nert, daß heißt, wenn man zu neuen Situationen kommt. Und
dann war die Frage natürlich, wie man das machen könne. Geht
das dort an Ort und Stelle? Wir sind zu dem Ergebnis gekom
men, daß es nicht an Ort und Stelle geht.
Ich darf zunächst einmal noch weiterberichten über die Kon
sequenzen, die dann nach meinem Besuch gezogen worden
sind. Herr Pätzoid, wir wollen uns doch hier nicht streiten über -
- Wie gesagt, ich bedanke mich beim Kollegen Lippschütz, ich
bin ja nicht derjenige, der da Urheberrechte oder ähnliches
beansprucht, sondern ich bin allerdings derjenige, der für sich
beansprucht, daß, wenn ihm Mißstände bekannt werden, er
diesen nachgeht. Und wenn er das nicht tut, dann allerdings
wären Ihre Vorwürfe berechtigt, was, wie Sie meinen, zu unter
suchen wäre. Ich bitte darum. Untersuchen Sie es ruhig, ich
habe nichts dagegen.
Der Hauptausschuß des Hauses hat mich am 28. September
1983 ersucht, zur II. Lesung des Haushaltsplanentwurfs des
Senats für 1984 Vorschläge zu unterbreiten, wie den ungünsti
gen Personalverhältnissen in der Ausländerbehörde abgehol-
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