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Volume Nr. 58, 19. Januar 1984

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
58. Sitzung vom 19. Januar 1984 
(Ä) Giesel (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 
Die unverständlichen und zum Teil beckmesserischen Beiträge 
der Oppositionsredner, insbesondere der Kollegen Staffelt und 
Meisner, lassen den Eindruck entstehen, daß nicht nur die AL, 
sondern auch die SPD weder die Erfolge, die wir mit den Ver 
handlungen erzielt haben, noch die Probleme, die mit der S- 
Bahn verbunden sind, richtig verstanden hat 
[Beifall bei der CDU] 
Lassen Sie mich deshalb noch einmal an einige Ausgangs 
punkte erinnern, wie das vorhin auch schon der Kollege Rasch 
gemacht hat. Seit Beginn der 70er Jahre haben F.D.P, und CDU 
ihre Stimme erhoben, aber die SPD ist uns nicht gefolgt. Sie 
sind an das Problem S-Bahn einfach nicht herangegangen. Erst 
1981, relativ kurz nach dem Streik der Reichsbahner, ist dann 
Herr Dr. Vogel mit auf den S-Bahnzug aufgesprungen. Er hat 
nach meiner Auffassung damals sehr viel versprochen. Wir 
haben dann aber festgestellt, daß es relativ schwierig war, diese 
Versprechungen auch zu realisieren. Erst der Senat unter 
Richard von Weizsäcker hat dann ein Konzept erarbeitet. Ein 
solches hatte es vorher noch nicht gegeben. Ich werde zu dem 
Konzept gleich noch etwas sagen. Nach ausführlichen Beratun 
gen mit der Bundesregierung und den Alliierten haben dann im 
Sommer 1983 die Verhandlungen begonnen. In wenigen 
Monaten ist ein von allen gelobtes, positives Gesamtergebnis 
erreicht worden. Das haben Sie damals nicht geglaubt. Sie 
haben in Abrede gestellt, daß es der CDU und der F.D.P. gelin 
gen könnte, überhaupt ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen. 
Wir sind froh, daß es das Ergebnis gibt, daß die Deutsche 
Reichsbahn am 9. Januar den Betrieb im Westteil der Stadt ein 
gestellt hat und daß die BVG mit der Aufnahme des S-Bahnbe- 
triebes zum gleichen Zeitpunkt beauftragt werden konnte. Ver 
bunden ist mit diesem Erfolg im übrigen auch - davon war 
heute überhaupt noch nicht die Rede -, daß wir die Ver 
fügungsgewalt überdas ehemalige Verkehrs- und Baumuseum 
im Hamburger Bahnhof bekommen haben. Das sollte man auch 
(B) nennen, denn das ist etwas, wovon vorher auch nicht die Rede 
war, obwohl wir dies schon lange angestrebt hatten. 
[Beifall bei der CDU] 
Lassen Sie mich noch einmal auf die Zielsetzung zu 
sprechen kommen, mit der wir an die Frage der S-Bahn her 
angegangen sind. Erstes Ziel ist es doch gewesen, den Verrot 
tungsprozeß des einst hochmodernen Verkehrsmittels S-Bahn 
und seiner Anlagen zu stoppen, das heißt, die S-Bahn sollte, 
soll und wird nicht mehr der zentrale Schandfleck unserer Stadt 
sein. Das war der erste EinstiegspunkL Zweitens muß mit 
diesem stadtpolitischen Ziel auch die Verkehrspolitik verbun 
den werden. Die verkehrspolitischen Belange müssen wir 
dahin gehend lösen, daß möglichst viel - und ich betone: mög 
lichst viel - S-Bahn in das Tarif- und Fahrplansystem des ein 
heitlichen öffentlichen Personennahverkehrs unter der jetzigen 
Regie der BVG einbezogen wird. Man muß dabei aber beden 
ken, daß das gar nicht so einfach ist, wie Sie das immer dar 
stellen. Erinnern Sie sich doch einmal an die eigentlichen Funk 
tionen des S-Bahnnetzes. Es hatte vor dem Krieg die Funktion 
der verkehrlichen Erschließung eines Großraumes in Richtung 
Potsdam, Velten, Oranienburg, Bernau, Strausberg, Erkner, 
Königs Wusterhausen. Das steht heute für uns im Westteil der 
Stadt leider nicht zur Verfügung. Heute können praktisch nur 
Streckenteile der S-Bahn innerhalb des Stadtgebietes von Ber 
lin (West) in das innerstädtische System des ÖPNV einbezogen 
werden. Schritt um Schritt - und das ist der Punkt, den Sie nicht 
verstehen, meine Damen und Herren von der Opposition - muß 
daraus ein Teilstück des neuen Gesamtsystems des ÖPNV 
werden. 
Drittens muß ich noch etwas erwähnen, was auch Ausgangs 
punkt der Überlegungen und Zielsetzung zugleich war. Es gilt, 
daß alle nicht betriebenen S-Bahnstrecken konserviert und für 
einen späteren Betrieb erhalten werden. Dies gilt insbesondere, 
um den späteren Verkehr nach Berlin (Ost) und in die Umge 
bung der Stadt mit der S-Bahn zu ermöglichen. Wir wissen 
nicht, wann das sein kann. Das bedeutet dann auch zugleich, 
daß wir das technische System erhalten müssen, um es mit Ber 
lin (Ost) kompatibel zu erhalten, so daß Züge vom Westen in (Q 
den Osten und umgekehrt fahren können. Dies ist ein wesent 
liches, anzustrebendes Ziel, und ich hoffe, daß wir das durch 
setzen können. 
Wenn man diese Zielsetzungen zusammennimmt, die 
stadtpolitische, die verkehrspolitische und die Komponente der 
Zukunftsentwicklung, erst dann steht die schrittweise Auf 
nahme des Betriebes der S-Bahn im rechten Lichte und ist auch 
finanziell und politisch zu vertreten. 
Ziel aus unserer Sicht - und das hat der Senat immer wieder 
bekräftigt - bleibt die Wiederherstellung eines 117-Kilometer- 
Netzes. Wenn Sie, Herr Staffelt, vorhin von dem Einstieg als 
einem kläglichen Beginn gesprochen haben, dann verkennen 
Sie doch, daß dies auf einmal doch gar nicht machbar ist, weil 
technische und finanzielle Gründe dem entgegenstehen. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Sie bauen hier Erwartungshaltungen auf, die einfach nicht 
erfüllbar sind. Damit - und ich darf das einmal so deutlich 
sagen - führen Sie die Bevölkerung Berlins an der Nase herum. 
[Staffelt (SPD); Das ist doch das einzige Argument, 
das Sie haben! 
Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Wir haben nach der Aufnahme des S-Bahnbetriebes nur zwei 
Teilstrecken: Anhaiter Bahnhof-Lichtenrade und Charlotten 
burg - Friedrichstraße. Das sind leider im Moment nur 21 Kilo 
meter. Wir sind aber der Meinung - und das deckt sich voll mit 
der Erklärung der Fraktionsvorsitzenden der Koalition -, daß 
möglichst bald aus deutschlandpolitischen wie aus verkehrspo 
litischen Gründen die Nord-Süd-Strecke durch den Tunnel mit 
der Aus- und Umsteigemöglichkeit in Friedrichstraße wieder in 
Gang gesetzt werden soll, wenn möglich, bis nach Frohnau. 
Das wären dann schon weitere 19,2 Kilometer. Wenn das am 
9. Januar nicht möglich war, dann doch nur deshalb, weil das 
erzielte Verhandlungsergebnis besser als erwartet war, so daß 
wir jetzt nach dem besseren Verhandlungsergebnis in neue 
Gespräche mit der Bundesregierung eintreten müssen. So muß 
das gesehen werden I Seien Sie doch froh, daß wir die uneinge 
schränkte Möglichkeit des Tunnelbetriebes vertraglich abgesi 
chert haben! Der Verkehr wird dort sobald als möglich auf 
genommen werden müssen. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P] 
Die Aufnahme des zusätzlichen Verkehrs gilt auch für die Ver 
längerung der Stadtbahn über Westkreuz nach Wannsee, das 
wären weitere 12,8 Kilometer. Darüber hinaus erwarten wir die 
Wiederaufnahme des Betriebes auf der Wannseebahn zwi 
schen Anhalter Bahnhof und Wannsee innerhalb etwa eines 
Jahres, das wären weitere 18,3 Kilometer. Wir haben also die 
Chance, innerhalb eines Jahres nach Übernahme der Betriebs 
rechte etwa 71 Kilometer des Netzes wiederherzurichten und 
zu betreiben. Ich hoffe, daß dieser Zeitplan in etwa eingehalten 
werden kann. 
Ich wiederhole, langfristiges Ziel bleibt es entsprechend der 
Senatsplanung, ein Gesamtnetz von etwa 117 Kilometern in 
Betrieb zu nehmen, wobei dann notwendig ist, daß wir die im 
Bereich der betriebenen S-Bahn-Strecken liegenden Buslinien 
teilweise umorientieren auf eine Zubringerfunktion zum Schie 
nenverkehr, damit eine vernünftige Arbeitsteilung und gegen 
seitige Ergänzung zwischen Schienen- und Autobusverkehr 
erreicht werden kann. Allerdings müssen wir uns darüber im 
klaren sein, daß die dabei erreichbaren Einsparungen im 
Bereich des Busverkehrs nicht ausreichen, um die zusätzlichen 
Betriebskosten der S-Bahn zu decken. Deshalb ist es eben not 
wendig, sich auch und gerade mit der Bundesregierung zu 
arrangieren in bezug auf die Möglichkeiten der Inanspruch 
nahme von Hilfe. 
Die Bundesregierung hat für die ersten vier Jahre einen 
Zuschuß von insgesamt 253 Millionen DM zugesagt. Aber 
diese Summe ist bezogen sowohl auf Betriebskosten als auch 
auf Fahrzeugbeschaffung und auch auf die Konservierung nicht 
benutzter Strecken. Man sieht also gerade bei dieser Summe 
3548
	        
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