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Volume Nr. 56, 9. Dezember 1983

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
56. Sitzung vom 9. Dezember 1983 
Mertsch 
(A) Es ist richtig, meine Damen und Herren, der Sozialhilfe 
etat des Landes Berlin steigt 1984 wiederum um 300 Mil 
lionen DM. Wenn ich mich recht erinnere: auf 1,7 Milliar 
den DM. Das ist bedrohlich und ein Grund für uns alle, 
sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Das wollen 
wir auch tun. Diese Form von sachlicher Arbeit bieten wir 
Ihnen ausdrücklich an. 
Ich komme damit gleichzeitig auf das zurück, was Frau 
Schulz vorhin angedeulet hat. Bei allem Wehklagen, das 
Sie über die Ausdehnung des Sozialhiifeetats immer 
wieder anzustimmen pflegen, vergessen Sie aber, daß ein 
sehr großer Teil — es ist fast die Hälfte — dieser 1,7 Mil 
liarden DM für jene Menschen aufzuwenden ist, die in 
Heimen leben, für jene Menschen also — das will doch 
niemand von uns bestreiten —, die vom Schicksal beson 
ders gebeutelt sind. Der sozialen Gerechtigkeit wegen 
sind wir daher aufgerufen, uns Gedanken darüber zu 
machen, wie wir neue Wege beschreiten können. Der 
sozialdemokratischen Fraktion, meine Damen und Herren, 
scheint der Vorschlag richtig zu sein, eine allgemeine 
Pflegefallversicherung einzuführen. Wir werden in naher 
Zukunft die entsprechenden parlamentarischen Schritte 
einleiten. 
Was mich aber ärgert, meine Damen und Herren — und 
damit wende ich mich der anderen Hälfte des Sozialetats 
zu —, ist die Art und Weise, wie Sie von der CDU die 
Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu kommen 
tieren pflegen. Ihr ständiges Gerede vom Mißbrauch des 
sozialen Netzes soll doch nur das schlechte Gewissen 
darüber verdecken, daß Sie uns heute einen sozial un 
ausgewogenen Haushalt vorgelegt haben. 
[Beifall bei der SPD] 
(B) Besonders schlimm ist, daß Sie dabei sind, die Solida 
rität des Bundessozialhilfegesetzes aufzukündigen, nach 
der die finanziellen Belastungen der Familien mit Behin 
derten auf die Gesellschaft insgesamt übertragen werden 
sollen. Das ist offensichtlich Ihre Art von Subsidiarität! 
Behinderte sollen, wenn es nach Ihnen geht, nicht nur 
in den Familien leben, sondern auch insoweit von diesen 
betroffenen Familien allein unterhalten werden. 
sätzliche Ausbildungsplätze für Medizinalfachberufe in den 
Krankenhäusern zu schaffen — was ist denn da sinnvoll, 
und was ist denn da ausgeglichen? 
[Beifall bei der SPD] 
Und das Groteskeste von allem ist, daß Sie rund 2 Mil 
lionen DM für einen Hundezwinger ausgeben und sich 
auf der anderen Seite nicht schämen, Herr Senator Fink, 
die Mittel für Erholungsreisen für bedürftige Krebskranke 
um ein ganzes Drittel zu reduzieren. 
[Beifall bei der SPD — Buwitt (CDU); Also, wer 
solche Vergleiche anstellt — das ist ja wirklich 
unmöglich! — Maerz (SPD); Das ist die Sozialpolitik 
des Senats!] 
Lassen Sie mich mit einem Satz auf die Debatte von 
gestern noch einmal hinweisen, auf die Drogenprobleme 
— auch das gehört ja zur Sozialpolitik. Auf keinem Feld 
der Sozialpolitik klafft Ihre Differenz zwischen Anspruch 
und Wirklichkeit so sehr auseinander wie hier. Gucken 
Sie sich doch einmal an — das kann ich nur wieder 
holen —, was der Regierende Bürgermeister vor drei 
Jahren auf diesem Gebiet gefordert hat, und sehen Sie 
sich auch an, was davon in Ihrem Etat für 1984 übrig 
geblieben ist. 
[Beifall bei der SPD] 
Hauptthema beim Sozialetat sind ganz offensichtlich 
— das ist wohl auch das Lieblingskind von Herrn Fink — 
die Sozialstationen. Lassen Sie mich in einem Satz eines 
sagen — ich darf es in Ihre Erinnerung zurückrufen —: 
Wir Sozialdemokraten wollten die Sozialstationen, wir 
haben auch die Modelle dafür ins Leben gerufen, und wir 
wollen sie noch. Wir sind voll dabei, uns mit Ihnen sach 
lich auseinanderzusetzen. 
[Krebs (CDU): Die sind doch schon da!] 
Was uns nur stört, ist Ihre Schönfärberei, die Sie unkri 
tisch ausstreuen. 
(C) 
A) 
[Beifall bei der SPD] 
Meine Damen und Herren, ohne die Debatte der letzten 
zwei Tage in Teilen wiederholen zu wollen, will ich für 
das, was ich als sozial unausgewogen bezeichnet habe, 
einige Beispiele aufzählen. 
Wir bauen auf der einen Seite den Kammermusiksaal, 
den wir auch unter anderen Bedingungen und unter ande 
ren Voraussetzungen für richtig hielten; Sie frieren aber 
auf der anderen Seite die Leistungen nach dem Bundes- 
sozialhilfegesetz für Zehntausende von Berlinern ein, und 
Sie verschlechtern de facto die Leistungen für Hilflose 
und Behinderte. Was ist da sozial ausgewogen, frage 
ich Sie. 
[Beifall bei der SPD] 
Sie stellen Geld für die Kongreßhalle zur Verfügung, 
ohne übrigens ein Konzept für die Nutzung zu haben, 
und sind auf der anderen Seite nicht in der Lage, im 
Diakoniezentrum Heiligensee für 30 Schwerstbehinderte 
kostendeckende Pflegesätze zur Verfügung zu stellen. 
[Beifall bei der SPD — Schürmann (SPD): Unerhört!] 
Herr Senator Fink, Sie jubeln die Erträge der Kranken 
hausbetriebe hoch und lehnen unsere Anträge ab, zu- 
[Beifall bei der SPD] 
Und was mich weiter stört, ist das Inhumane, das Sie 
offensichtlich noch gar nicht erkannt haben, das Sie mit 
Ihren Reden über die Sozialstationen verbinden. Wie 
wollen Sie denn mit gutem Gewissen behaupten, daß bei 
50 % Ein-Personen-Haushalten in Berlin das Verbleiben 
vieler Hunderttausender von Berlinern in ihren Wohnun 
gen, angewiesen lediglich auf eine oder zwei Stunden 
Pflege am Tag, human ist? Dort sind die Menschen auf 
sich allein angewiesen, und diese Tatsache schaffen Sie 
mit Sozialstation nicht aus der Welt! 
[Beifall bei der SPD] 
Und wissen Sie, meine Damen und Herren, ich gehöre 
ja, das räume ich selber ein, zu den Kollegen des Hauses, 
die ruhig sind, die im allgemeinen wenig Temperament 
entwickeln. Ober die Sache hinaus ist es mir aber ein 
wirkliches Bedürfnis, noch einige Sätze zu Herrn Fink zu 
sagen, weil mich ganz persönlich — ich weiß nicht, wie 
meine Fraktion das sieht — sein Verhalten dem Berliner 
Abgeordnetenhaus gegenüber und insbesondere seinem 
Fachausschuß gegenüber fast so lange ärgert, wie er 
Senator ist. Er mißachtet das Parlament, und er mißachtet 
seinen Ausschuß. 
[Beifall bei der SPD] 
Ü 
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