Path:
Volume Nr. 56, 9. Dezember 1983

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1983/84, 9. Wahlperiode, Band IV, 54.-70. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
56. Sitzung vom 9. Dezember 1983 
Frau Wiechatzek 
Wissen Sie eigentlich, wieviel Hoffnungen und Ängste 
kranker, alter Menschen mit diesen Soziaistationen ver 
bunden sind? Und Sie gehen mit einer Gefühlskalte dar 
über hinweg — mit einer Kaltschnäuzigkeit — und sprechen 
von einem Lieblingsspielzeug des Senats. Gott sei Dank, 
daß dieser Senat sich zu dieser Aufgabe bekannt hat! 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Meine Damen und Herren, ich vermisse hier wirklich 
etwas, trotz dieser immer wieder hochkommenden Er 
regung. Der bisherige Haushaltsdebattenverlauf hat deut 
lich gemacht, daß wir trotz positiver Lösungsansätze die 
ses Senats immer noch finanzielle und wirtschaftliche Pro 
bleme haben, die wir nicht wegleugnen wollen und die 
uns natürlich beschäftigen. Aber ich meine, gerade wir als 
Sozialpolitiker haben auch die Pflicht, darauf hinzuweisen, 
daß Menschen nicht nur an materieller, sondern auch an 
seelischer Armut leiden. Das ist in der bisherigen De 
batte leider zu kurz gekommen. Viele leiden unter Ge 
fühlskälte, unter Mangel an Geborgenheit und Mitmensch 
lichkeit, und ich meine, wir haben uns um dieses Gebiet 
zu kümmern. Es fehlt nämlich vielen Menschen an Gütern, 
die sie nicht für Geld kaufen können, die ihnen der Staat 
nicht geben kann und die man auch nicht auf ärztliches 
Rezept verlangen kann. 
[Beifall bei der CDU] 
Wir dürfen — und das ist das Anliegen meiner Fraktion, das 
ich hier sehr ernsthaft einführen möchte, auch wenn der 
Kollege Wagner hier lacht, Was Sie vorhin an un 
sozialem Quatsch gesagt haben — Entschuldigung, 
„Quatsch“ nehme ich zurück —, ist wirklich sehr schlimm. 
Ich komme darauf noch zurück. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Denn wir dürfen aus Sorge um den wirtschaftlichen Wohl 
stand nicht die Sorge um das seelische Wohlergehen der 
Menschen vergessen. Ich hätte mir gewünscht, Herr Kollege 
Momper und Frau Kollegin Korthaase, wenn Sie wenig 
stens einmal einen Schwenk auch auf dieses Thema ge 
macht hätten. Nicht nur Zuwachsraten im Wirtschafts 
wachstum sind wichtig, sondern auch Zuwächse an 
menschlichen Werten und an Bereitschaft zur Übernahme 
von Verantwortung. Hier müssen wir eben feststellen, daß 
diesem Senat unter der Führung von Richard von Weiz 
säcker ein entscheidendes Verdienst zukommt, ob dies 
Ihnen nun paßt oder nicht. 
Nach dem, was ich alles hier so gehört habe, müssen 
wir fragen, was dieser Senat in der kurzen Zeit seiner 
Regierungstätigkeit zu machen versäumt haben soll, was 
Sie eigentlich während der 30 Jahre zuwege gebracht 
haben, wenn Sie uns hier immer nur Fehler und Versäum 
nisse vorwerfen. Wir kommen ja gar nicht so schnell hinter 
her, alles das aufzuräumen, was Sie auf Ihrem Weg 
immer vergessen haben. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Ich darf es nochmals sagen. Das, was Sie, Herr Kollege 
Momper, an Pessimismus und auch an Miesmacherei hier 
verbreitet haben, ist sicherlich für die Bevölkerung dieser 
Stadt nicht hilfreich. Wir sagen, daß in unserer Sozial 
politik dieses Gießkannenprinzip, das Sie hier jahrelang 
praktiziert haben, auch diese Anspruchsmentalität der 
Menschen ein Ende finden müssen. Dazu stehen wir. Das 
ist manchmal mit schmerzlichen Eingriffen verbunden, 
aber es ist nun eben einmal nicht anders möglich. 
[Beifall bei der CDU] 
Es geht nicht so weiter, daß man immer davon ausgeht, (C) 
daß einem die gebratenen Tauben reihenweise in den 
Mund fliegen. Maßgabe für die soziale Gerechtigkeit ist 
— auch das haben meine Kollegen bereits ausgeführt, 
und das sagte Herr Senator Fink schon ganz deutlich —, 
daß wir den Schwachen helfen wollen, daß wir aber von 
den Starken die Mitverantwortung erwarten. Das bedeutet 
daß wir die kleine Gemeinschaft fördern. Was sie eben 
leisten kann, soll ihr die große nicht abnehmen. Das heißt 
für uns; weniger Staat — und nicht: mehr Staat. Da unter 
scheiden wir uns allerdings von Ihnen, denn Sie wollen 
eine staatliche Institution nach der anderen ausbauen. 
[Beifall bei der CDU] 
Hier ist ein Umdenken notwendig gewesen und von die 
sem Senat auch eingeleitet worden. Insofern kommt na 
türlich der Familienpolitik, die Sie hier angesprochen 
haben, schon eine besondere Bedeutung zu, denn sie ist 
das Fundament einer Gesellschaft der Mitmenschlichkeit. 
Ich bin erstaunt, wie sehr Sie hier die Familie neuerdings 
auf Ihre Fahnen schreiben, nachdem Sie doch lange Zeit 
nichts für die Familien getan haben. 
Wir wollen — und das ist unsere Aufgabe — die Familien 
stützen und fördern und nicht, wie Sie anscheinend wol 
len, in sie hineinregieren. Familienpolitik muß für uns den 
Wert der Familie wieder unterstreichen und bewußt 
machen. Wir wollen der Familie nur die Hilfe zukommen 
lassen, die sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben braucht. 
Wenn Sie uns „Versäumnisse“ vorwerfen, dann muß ich 
Ihnen auch einiges zu Ihren Versäumnissen sagen. Im 
Jahre 1969 betrug der Anteil der familienbezogenen Lei 
stungen am gesamten Sozialbudget des Bundes 20 %. 
Das war zu unserer Zeit. 1980 betrug dieser Anteil nur 
noch 14 %. Das war Ihre Zeit, und dann kommen Sie und (D) 
sagen, wir sollen etwas für die Familie tun. Sie haben 
gerade die Leistungen für die Familie abgebaut 
[Beifall bei der CDU] 
Mit der Streichung der Kinderfreibeträge im Steuer 
recht 1975, in Ihrer Zeit, fiel der dynamische Effekt des 
Familienlastenausgleichs fort. Dadurch wurde eine Ent 
wicklung programmiert, die immer mehr Familien an den 
Rand der Sozialhilfe drängte. Ihr „Erfolg“! 
Hinzu kam von Ihnen eine pauschale Kürzung des Kin 
dergeldes ab 1. Januar 1982. Das ist eine Kürzung mit der 
Heckenschere, denn sie traf alle gleichermaßen, den 
Arbeiter und die Witwe. Das war familienfeindlich und 
auf keinen Fall sozial ausgewogen und gerecht. Und dann 
kommen Sie und sagen uns, wir sollen etwas für die 
Familie machen. Und damit nicht genug. Gleichzeitig 
haben Sie verbreitet — ich zitiere das hier einmal —: 
Erziehung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die 
unter anderem auch auf die Familie übertragen wird. — 
Nach diesem Gedanken setzt die Gesellschaft fest, wer 
die Kinder zu erziehen hat. Dem widersprechen wir aufs 
schärfste. 
[Beifall bei der CDU] 
Staatliche Leistungen haben nach Ihrer Politik den Vor 
rang vor den Aufgaben in der Familie. Das hat zur Ver 
unsicherung der Familien beigetragen. Uns jetzt daraus 
einen Vorwurf zu machen, ist alles andere als glaub 
würdig. 
Ich hatte das schon mal in einer Debatte gesagt: Für 
uns, für die CDU — und dazu bekennen wir uns —, ist 
Wahlfreiheit das Prinzip. Für uns ist das auch kein leeres 
Wort. Und wenn das kein leeres Wort sein soll, dann 
müssen wir akzeptieren, daß der, der Kinder erzieht, für 
3463
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.