Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
55. Sitzung vom 8. Dezember 1983
Frau Zieger
(A) nun für beide reichen muß. - Entschuldigen Sie, ich bin ein biß
chen aus dem Takt gekommen.
[Buwitt (CDU): Das macht doch nichts,
konzentrieren Sie sich nur!]
- Sie sind aber so ruhig geworden, das finde ich trotzdem ganz
nett - Ich versuche einmal, wieder den Faden zu finden. Ich
werde jetzt ein bißchen auslassen, aber das macht auch nichts.
[Rasch (F.D.P.): Mut zur Lücke!]
- Mut zur Lücke, genau, Mut zur Unsicherheit.
Ich möchte nun darüber reden, was diesen Frauen, die jetzt
erwerbslos werden, angeboten wird, denn irgend etwas wird
ihnen ja natürlich angeboten, so ganz untätig ist der Senat ja
auch nicht. Es wird ihnen angeboten, daß sie, wenn sie nun
schon erwerbslos sind, doch zu ihren wahren Aufgaben zurück
kommen, zu ihren Aufgaben in der Familie. Vielleicht habe ich
das ein bißchen überzeichnet, weil es nicht mehr darum geht,
daß Frauen zurück an Heim und Herd getrieben werden, so platt
sagt das keiner mehr. Da ist die Frauenbewegung schon stark
genug, daß man sich nicht mehr traut, solche Sachen zu sagen.
Aber man sagt, die Frauen sollten die Wahl zwischen Berufs
tätigkeit und Familienleben haben.
Präsident Rebsch: Frau Zieger, gestatten Sie eine helfende
Zwischenfrage von Herrn Baetge?
Frau Zieger (AL): Ob sie helfend ist, weiß ich nicht!
[Ulrich (SPD): Das weiß man bei ihm nie!]
Baetge (F.D.P.): Kollegin Zieger, können Sie mir sagen, was
wir bei den von Ihnen geschilderten Mißständen eigentlich tun
sollen? - Wir haben eine Landesversicherungsanstalt, wir
(B) haben eine BfA, wir haben ein nicht schlechtes System des
Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe. Bitte sagen Sie
doch einmal konkret: Was sollen wir, was soll das Abgeord
netenhaus von Berlin in diesen Fällen eigentlich konkret tun?
Frau Zieger (AL): Na, ganz einfach, Sie sollen keine Stellen
im öffentlichen Dienst streichen, die hauptsächlich Frauen
arbeitsplätze sind. Sie sollen sich Gedanken darüber machen,
was dagegen unternommen wird, daß Frauenarbeitsplätze in
Zukunft vernichtet werden, und Sie sollen sich überlegen, ob
Subventionen an Firmen weiterhin ohne irgendwelche Auflagen
vergeben werden. Das sollen Sie sich überlegen, das liegt doch
auf der Hand, aber man kann es Ihnen ja immer noch zehnmal
sagen.
[Beifall bei der AL, teilweise der SPD
und des Abg. Petersen (fraktionslos) -
Kraetzer (CDU): Frau Zieger, Sie sprachen doch
von den 60jährigen!]
- Das hatte ich am Anfang gesagt, ich bin doch inzwischen zu
den jüngeren übergegangen, das sollte Ihnen doch nicht ent
gangen sein.
[Simon (CDU); Das haben wir nicht bemerkt,
das war die Lücke!]
Ich wollte etwas dazu sagen, warum diese Familienpolitik, die
unter dem Motto läuft, Frauen sollen die Wahl zwischen Berufs
leben und Familientätigkeit haben, reaktionär ist. Ich muß mein
Manuskript erst einmal suchen, weil ich dort einige Zahlen auf
geschrieben habe, entschuldigen Sie! - Ich will Ihnen sagen,
warum sie reaktionär ist: Weil sie an den tatsächlichen Entwick
lungen in dieser Stadt vorbeigegangen ist. In Berlin sind nur
knapp 20 % der privaten Haushalte mit mehr als zwei Personen,
und in nur 7,5% der Haushalte lebt mehr als ein Kind unter
18 Jahren. Von den Müttern mit einem Kind unter 18 Jahren
sind über 60 % erwerbstätig. Ich glaube, diese Zahlen zeigen,
daß die Frauen nicht mehr, wie es vielleicht früher war, erst
etwas berufstätig sind und dann zu ihren wahren Aufgaben in (C)
der Familie übergehen, sondern das, was die Frauen wollen, ist
eine Vereinbarung von Familie und Berufstätigkeit. Sie wollen
das nicht alternativ sehen, sondern sie wollen beides.
[Beifall bei der AL]
Das zeigt sich an der Entwicklung, das zeigt sich an den Zahlen.
Sie können jede Frau fragen, das ist so. Es gibt Untersuchun
gen, nach denen 78% der befragten Frauen, der befragten Müt
ter gesagt haben, sie möchten allenfalls ein Jahr wegen eines
Kindes ihren Beruf unterbrechen und dann wieder arbeiten.
Das ist das, was Frauen wollen! Eine Familienpolitik, die an
diesen Bedürfnissen vorbeigeht, ist reaktionär, wenn sie den
Frauen verwehrt, beides gleichzeitig zu machen, und ihnen
sagt: Das eine oder das andere.
Familienpolitik, die versucht, Rahmenbedingungen dafür zu
schaffen, daß Frauen beides können - sowohl erwerbstätig zu
sein als auch ein Kind zu bekommen -, heißt, Kindertagesplätze
in ausreichender Zahl zu schaffen, also Abbau von Wartelisten,
bessere Ausbildungschancen und Förderung von Frauen. Eine
Familienpolitik, die statt dessen Frauen etwas von Wahlfreiheit
vorgaukelt und ihnen empfiehlt, doch zu Hause zu bleiben,
macht nichts anderes, als wirtschaftliche Krisen und deren Aus
wirkungen auf Frauen ideologisch abzusichern.
Die Zeiten für die Gleichberechtigung der Frauen - das hatte
ich schon einmal an anderer Stelle gesagt - sind derzeit
schlecht, Frauenerwerbslosigkeit ist nach Meinung mancher
nicht so schlimm, denn die meinen, Frauen könnten in die Fami
lie zurückkehren. Auf Frauen wird ein Druck ausgeübt, damit sie
angesichts der Männerarbeitslosigkeit auf ihre Berufstätigkeit
verzichten sollen. In dieser Situation ist es nicht verwunderlich,
wenn Gleichberechtigungsmaßnahmen hintanstehen, wenn
Maßnahmen wie eine Gleichberechtigungsstelle verschoben,
verzögert werden. Es nützt auch nichts, wenn der Senat hier an
kündigt, Leitlinien für die Förderung von Frauen im öffentlichen (D)
Dienst zu verkünden, wenn gleichzeitig Frauenarbeitsplätze ge
strichen werden. - Ich danke.
[Beifall bei der AL]
Stellv. Präsident Longolius; Das Wort hat jetzt der Abge
ordnete Fabig.
[Baetge (F.D.P.): Mach bloß nicht so lange!]
Fabig (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
stelle fest; Das ist eine Kraut-und-Rüben-Debatte, die teilweise
eine Zumutung ist!
[Beifall bei der F.D.P.]
Das ist im übrigen auch keine Debatte mehr, sondern im
wesentlichen ein Abliefern von vorfabrizierten Beiträgen, mit
denen keiner mehr auf den anderen eingeht - das nur noch in
den seltensten Fällen.
[Beifall bei der F.D.P. und vereinzelt bei der CDU]
Das beziehe ich auf alle Fraktionen, nicht nur auf eine oder zwei
bestimmte. Keiner ist mehr richtig in der Lage, auf wesentliche
Beiträge einzugehen, sondern ein Thema wechselt mit dem an
deren. Das ist eine bunte Reihe und keine Debatte mehr.
[Unruhe]
Im übrigen finde ich es beschämend, daß Senatoren hier nur
ihre Beiträge abliefern und dann den Raum verlassen.
[Allseitiger Beifall]
Damit sage ich nicht, daß alle die ganze Zeit hier sitzen müssen;
das tun die Abgeordneten auch nicht. - Herr Simon, Sie brau
chen nicht so schmerzvoll das Gesicht zu verziehen.
[Simon (CDU): Mache ich gar nicht...!]
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