Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
50. Sitzung vom 20. Oktober 1983
Dr. Dittberner
(A) Ich finde es richtig, daß wir uns Gedanken über eine
Demokratisierung in der Türkei machen. Die Frage ist nur,
in welcher Form ...
Stellv. Präsident Longolius; Gestatten Sie eine Zwi
schenfrage?
Dr. Dittberner (F.D.P.); Ja, wenn ich diesen Gedanken
zu Ende gebracht habe, dann will ich die Zwischenfrage
gerne beantworten.
Ich finde es richtig, daß wir uns Gedanken darüber ma
chen, wie man denn zu demokratischen Zuständen in der
Türkei zurückkehren kann, und es ist auch legitim, daß
man hier dafür plädiert, auch daß Leute, die aus der Tür
kei gekommen sind, dafür plädieren. Man muß dann aber
ebenfalls sagen — und insbesondere in einer Debatte im
Berliner Abgeordnetenhaus —, wie man dann verhindern
will, daß Zustände, wie sie dort vor dem Militärputsch
bestanden haben, wiederkehren. Denn dort waren nun
wirklich, unbestrittenerweise jeden Tag Tote auf der
Straße zu finden, die wirtschaftliche Lage war katastro
phal, und die Situation ist so gewesen, daß die weitaus
größte Mehrheit der türkischen Bevölkerung diesen Mili
tärputsch begrüßt hat. Man muß also sagen, wie man
eine solche Situation, wie sie vorher bestanden hat, ver
meiden will. Es ist nämlich gar nicht so einfach, eine
Antwort darauf zu geben.
[Momper (SPD): Wie bewerten Sie das denn?]
Stellv. Präsident Longolius: Bitte, Frau Schulz!
Frau Schulz (AL): Herr Dittberner, habe ich Ihre Aus
führungen zur Situation in der Türkei richtig verstanden,
daß Sie die Menschen, die hierher kommen und über die
Folter berichten, die sie am eigenen Leib erfahren haben,
als Lügner bezeichnen würden?
Dr. Dittberner (F.D.P.): Ich habe gesagt, daß die Aus
sagen, die von Ihrer Fraktion hier über Einzelvorgänge
gemacht werden, möglicherweise genau die gleiche Se
riosität und Glaubwürdigkeit haben wie das, was Sie bei
spielsweise über das Verhalten des Justizsenators und
des Regierenden Bürgermeisters soeben ausgeführt ha
ben: daß das in der Tat sehr fragwürdig ist, was da von
Ihnen vorgetragen wurde!
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU)
Ich stelle mich auch nicht hin und gebe unüberprüft Äuße
rungen weiter, die genau das Gegenteil von dem enthal
ten, was Sie hier schildern. Da sollten wir aus den von
mir genannten Gründen sehr vorsichtig sein.
Stellv. Präsident Longolius; Gestatten Sie eine weitere
Zwischenfrage?
Dr. Dittberner (F.D.P.): Von Herrn Momper — bitte!
Stellv. Präsident Longolius: Bitte, Herr Momper!
Momper (SPD): Herr Kollege, sind Ihre Ausführungen
über die Verhältnisse in der Türkei vor dem Militärputsch
so zu verstehen, daß er sozusagen Ihre Billigung findet
und diese Verhältnisse den Militärputsch rechtfertigen? (C)
Oder wie sollte man Ihre Ausführungen sonst verstehen?
[Beifall bei der SPD]
Dr. Dittberner (F.D.P.): Herr Kollege Momper, ich wollte
Ihnen nur vermitteln, daß die Mehrheit der türkischen Be
völkerung ganz offensichtlich — das können Sie heute
noch in seriösen Publikationen, in Zeitungen und in Zeit
schriften, nachlesen — diesen Militärputsch seinerzeit als
eine Befreiung von Terror und Not empfunden hat, eine
Befreiung von den täglichen Morden auf den Straßen,
von der schweren wirtschaftlichen Situation.
[Frau Schulz (AL): Wie 1933!]
Das ist doch eine Tatsache.
[Momper (SPD): Wie bei Hitler am 30. Januar 1933!]
— Aber Sie sollten das doch nicht mit dem 30. Januar
vergleichen. Das ist doch eine Tatsache.
[Zurufe von der SPD und der AL — Unruhe —
Glocke des Präsidenten]
— Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, rede ich wei
ter. Ich weiß nicht, wie man sich über Tatsachen und die
Einstellung der Mehrheit der türkischen Bevölkerung,
wenn sie hier genannt wird, so aufregen kann.
[Momper (SPD); Das kommt darauf an.
Wie Sie das hier anführen, Herr Kollege Dittberner,
das regt mich allerdings auf!]
— Na gut, dann habe ich ja mit dieser Mitteilung etwas (^)
bei Ihnen bewirkt, und das soll ja auch der Sinn einer
parlamentarischen Debatte sein.
[Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Ich bin mit Ihnen aber auch einer Meinung, Herr Mom
per, daß das Problem einer Demokratisierung in der Tür
kei und einer Ablösung der Militärherrschaft besteht.
Der zweite Punkt — das haben Sie auch in Ihrer An
frage angesprochen, und das hat mit Altun im Grunde
nichts zu tun: dennoch kommt dies immer wieder und wird
zum Beispiel von Herrn Lorenz immer wieder vertreten,
und deshalb muß man auch dazu etwas sagen —; In einer
Ihrer Fragen haben Sie wiederum eine Abwertung der
Berichte der deutschen Botschaften vorgenommen. Auf
Grund der Erfahrungen, die der Ausländerausschuß bei
spielsweise bei seiner Reise in die Türkei mit der deut
schen Botschaft dort und mit dem deutschen Botschafter
selbst gemacht hat, ist es schlicht und ergreifend Quatsch,
wenn hier behauptet wird, daß unsere Repräsentanten
dort in eine Art Komplizenschaft mit den türkischen Mi
litärs eingetreten sind. Dies ist einfach nicht wahr, und
ich kann Ihnen auch berichten, wenn Sie es wollen, Herr
Momper oder andere, was zum Beweis dieser meiner
Feststellung anzuführen ist. Der Eindruck, der uns dort
vermittelt wurde, ist genau das Gegenteil Ihrer Darstel
lung. Ich frage mich auch, warum eigentlich eine deutsche
Botschaft beispielsweise in der Türkei oder anderswo, in
einem anderen Lande, der eigenen Dienststelle gegen
über die Situation verschönt darstellen sollte. Das ist eine
Äußerung, die zwar immer wieder kommt, die ich aber für
falsch halte.
[Momper (SPD); Das ist so naiv, daß man dazu
kaum etwas sagen kann!]
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