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Volume Nr. 50, 20. Oktober 1983

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1982/83, 9. Wahlperiode, Band III, 33.-53. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode 
50. Sitzung vom 20. Oktober 1983 
Dr. Dittberner 
(A) Ich finde es richtig, daß wir uns Gedanken über eine 
Demokratisierung in der Türkei machen. Die Frage ist nur, 
in welcher Form ... 
Stellv. Präsident Longolius; Gestatten Sie eine Zwi 
schenfrage? 
Dr. Dittberner (F.D.P.); Ja, wenn ich diesen Gedanken 
zu Ende gebracht habe, dann will ich die Zwischenfrage 
gerne beantworten. 
Ich finde es richtig, daß wir uns Gedanken darüber ma 
chen, wie man denn zu demokratischen Zuständen in der 
Türkei zurückkehren kann, und es ist auch legitim, daß 
man hier dafür plädiert, auch daß Leute, die aus der Tür 
kei gekommen sind, dafür plädieren. Man muß dann aber 
ebenfalls sagen — und insbesondere in einer Debatte im 
Berliner Abgeordnetenhaus —, wie man dann verhindern 
will, daß Zustände, wie sie dort vor dem Militärputsch 
bestanden haben, wiederkehren. Denn dort waren nun 
wirklich, unbestrittenerweise jeden Tag Tote auf der 
Straße zu finden, die wirtschaftliche Lage war katastro 
phal, und die Situation ist so gewesen, daß die weitaus 
größte Mehrheit der türkischen Bevölkerung diesen Mili 
tärputsch begrüßt hat. Man muß also sagen, wie man 
eine solche Situation, wie sie vorher bestanden hat, ver 
meiden will. Es ist nämlich gar nicht so einfach, eine 
Antwort darauf zu geben. 
[Momper (SPD): Wie bewerten Sie das denn?] 
Stellv. Präsident Longolius: Bitte, Frau Schulz! 
Frau Schulz (AL): Herr Dittberner, habe ich Ihre Aus 
führungen zur Situation in der Türkei richtig verstanden, 
daß Sie die Menschen, die hierher kommen und über die 
Folter berichten, die sie am eigenen Leib erfahren haben, 
als Lügner bezeichnen würden? 
Dr. Dittberner (F.D.P.): Ich habe gesagt, daß die Aus 
sagen, die von Ihrer Fraktion hier über Einzelvorgänge 
gemacht werden, möglicherweise genau die gleiche Se 
riosität und Glaubwürdigkeit haben wie das, was Sie bei 
spielsweise über das Verhalten des Justizsenators und 
des Regierenden Bürgermeisters soeben ausgeführt ha 
ben: daß das in der Tat sehr fragwürdig ist, was da von 
Ihnen vorgetragen wurde! 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU) 
Ich stelle mich auch nicht hin und gebe unüberprüft Äuße 
rungen weiter, die genau das Gegenteil von dem enthal 
ten, was Sie hier schildern. Da sollten wir aus den von 
mir genannten Gründen sehr vorsichtig sein. 
Stellv. Präsident Longolius; Gestatten Sie eine weitere 
Zwischenfrage? 
Dr. Dittberner (F.D.P.): Von Herrn Momper — bitte! 
Stellv. Präsident Longolius: Bitte, Herr Momper! 
Momper (SPD): Herr Kollege, sind Ihre Ausführungen 
über die Verhältnisse in der Türkei vor dem Militärputsch 
so zu verstehen, daß er sozusagen Ihre Billigung findet 
und diese Verhältnisse den Militärputsch rechtfertigen? (C) 
Oder wie sollte man Ihre Ausführungen sonst verstehen? 
[Beifall bei der SPD] 
Dr. Dittberner (F.D.P.): Herr Kollege Momper, ich wollte 
Ihnen nur vermitteln, daß die Mehrheit der türkischen Be 
völkerung ganz offensichtlich — das können Sie heute 
noch in seriösen Publikationen, in Zeitungen und in Zeit 
schriften, nachlesen — diesen Militärputsch seinerzeit als 
eine Befreiung von Terror und Not empfunden hat, eine 
Befreiung von den täglichen Morden auf den Straßen, 
von der schweren wirtschaftlichen Situation. 
[Frau Schulz (AL): Wie 1933!] 
Das ist doch eine Tatsache. 
[Momper (SPD): Wie bei Hitler am 30. Januar 1933!] 
— Aber Sie sollten das doch nicht mit dem 30. Januar 
vergleichen. Das ist doch eine Tatsache. 
[Zurufe von der SPD und der AL — Unruhe — 
Glocke des Präsidenten] 
— Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, rede ich wei 
ter. Ich weiß nicht, wie man sich über Tatsachen und die 
Einstellung der Mehrheit der türkischen Bevölkerung, 
wenn sie hier genannt wird, so aufregen kann. 
[Momper (SPD); Das kommt darauf an. 
Wie Sie das hier anführen, Herr Kollege Dittberner, 
das regt mich allerdings auf!] 
— Na gut, dann habe ich ja mit dieser Mitteilung etwas (^) 
bei Ihnen bewirkt, und das soll ja auch der Sinn einer 
parlamentarischen Debatte sein. 
[Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Ich bin mit Ihnen aber auch einer Meinung, Herr Mom 
per, daß das Problem einer Demokratisierung in der Tür 
kei und einer Ablösung der Militärherrschaft besteht. 
Der zweite Punkt — das haben Sie auch in Ihrer An 
frage angesprochen, und das hat mit Altun im Grunde 
nichts zu tun: dennoch kommt dies immer wieder und wird 
zum Beispiel von Herrn Lorenz immer wieder vertreten, 
und deshalb muß man auch dazu etwas sagen —; In einer 
Ihrer Fragen haben Sie wiederum eine Abwertung der 
Berichte der deutschen Botschaften vorgenommen. Auf 
Grund der Erfahrungen, die der Ausländerausschuß bei 
spielsweise bei seiner Reise in die Türkei mit der deut 
schen Botschaft dort und mit dem deutschen Botschafter 
selbst gemacht hat, ist es schlicht und ergreifend Quatsch, 
wenn hier behauptet wird, daß unsere Repräsentanten 
dort in eine Art Komplizenschaft mit den türkischen Mi 
litärs eingetreten sind. Dies ist einfach nicht wahr, und 
ich kann Ihnen auch berichten, wenn Sie es wollen, Herr 
Momper oder andere, was zum Beweis dieser meiner 
Feststellung anzuführen ist. Der Eindruck, der uns dort 
vermittelt wurde, ist genau das Gegenteil Ihrer Darstel 
lung. Ich frage mich auch, warum eigentlich eine deutsche 
Botschaft beispielsweise in der Türkei oder anderswo, in 
einem anderen Lande, der eigenen Dienststelle gegen 
über die Situation verschönt darstellen sollte. Das ist eine 
Äußerung, die zwar immer wieder kommt, die ich aber für 
falsch halte. 
[Momper (SPD); Das ist so naiv, daß man dazu 
kaum etwas sagen kann!] 
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