Abgeordnetenhaus von Berlin - 9. Wahlperiode
49. Sitzung vom 13. Oktober 1983
Jungclaus
(A) ben wir nicht. Und wenn wir heute dem Vorschlag des
Bauausschusses zustimmen, dann tun wir das nur, um die
Erhöhung des Bußgeldes hier einstimmig über die Run
den zu bringen. Ich sage Ihnen, daß ich sozusagen sym
bolisch dagegen stimmen werde, weil ich mich mit dieser
Verstümmelung unseres Antrags nicht abfinden kann.
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Weitere Wortmeldungen
liegen nicht vor. Ich komme zur Abstimmung über das Ge
setz. Ich schließe die Einzelberatung und verbinde die
Einzelabstimmungen mit der Schlußabstimmung. Wer dem
Gesetz zur Änderung des Wohnungsaufsichtsgesetzes im
Wortlaut der Beschlußempfehlung, Drucksache 9/1326, sei
ne Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — Gegenprobe! — Bei einigen Gegenstim
men ist das Gesetz angenommen.
Nunmehr erfolgt die Abstimmung über die Beschluß
empfehlung. Der Ausschuß für Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache
9/1111, abzulehnen. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD
seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das
Handzeichen. — Danke schön! Ich darf um die Gegen
probe bitten. — Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe auf
lfd. Nr. 5, Drucksache 9/1330:
II. Lesung des Antrags der Fraktion der AL über Ge
setz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der
Teilnahme an Bildungsveranstaltungen, Drucksache
9/491, gemäß Beschlußempfehlung des Ausschusses
für Arbeit und Wirtschaft vom 26. September 1983
Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelbera
tung der zwei Artikel miteinander zu verbinden. — Wider
spruch erfolgt nicht. Dann rufe ich auf die Artikel I und II,
die Überschrift und die Einleitung im Wortlaut der Druck
sache 9/491. Gibt es Wortmeldungen? — Dr. Köppl, bitte
schön!
Dr. Köppl (AL): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Nach etwa eineinhalb Jahren parlamentarischer
Beratung liegt Ihnen nun der Gesetzesantrag der Alter
nativen Liste zur Ablehnung vor. Die guten Argumente
der AL bezüglich der Weiterbildungsnotwendigkeiten
[Anhaltende Unruhe]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Herr Dr. Köppl, darf ich
Sie einmal unterbrechen? — Meine Damen und Herren,
liebe Kollegen, ich bitte doch, die Gespräche etwas leiser
zu führen, wenn überhaupt, und sonst vielleicht auch bes
ser draußen! — Bitte schön, Herr Dr. Köppl!
Dr, Köppl (AL): Ich finde es auch besser, wenn ein biß
chen zugehört wird, sonst kann man sich das Ganze ja
auch sparen. — Also, ich fange noch einmal von vorn an.
[Wachsmuth (AL): Bernd, warte ruhig
noch einen Moment!]
— Oder ich warte noch ein bißchen, bis es etwas ruhiger
im Saal ist.
[Glocke des Präsidenten]
— Schönen Dank! (C)
Nach etwa eineinhalb Jahren parlamentarischer Bera
tung liegt Ihnen nun der Gesetzesantrag der AL zur Ab
lehnung vor. Die guten Argumente der Alternativen Liste
bezüglich der Weiterbildungsnotwendigkeit für alle abhän
gig Beschäftigten in Berlin konnten die konservative
Mehrheit in diesem Haus nicht überzeugen. Trotzdem
möchte ich Ihnen noch einmal die gesellschaftspolitisch
vernünftige Idee dieses Antrags und die damit angestreb
ten Ziele vorstellen.
In Berlin gibt es bezüglich der Weiterbildungsmöglich
keiten für abhängig Beschäftigte zwei große Gruppen: die
einen, das sind die Beschäftigten des öffentlichen Dien
stes, und die anderen, das sind die Beschäftigten der
Privatwirtschaft. Während die Beschäftigten im öffent
lichen Dienst die Möglichkeit haben, unabhängig vom
Alter an Bildungsveranstaltungen im Rahmen ihrer Arbeits
zeit teilzunehmen, wird den Arbeitnehmern in den Privat
betrieben diese Möglichkeit nicht eröffnet. Es war daher
nur recht und billig, sich zu überlegen, wie denn alle Be
schäftigten in den Genuß dieser sinnvollen Bildungsmög
lichkeit kommen können. Aus diesem Grund hat die Alter
native Liste vor eineinhalb Jahren diesen Ihnen nun zur
Ablehnung vorliegenden Gesetzesantrag ins Parlament
eingebracht; er sollte die Altersbegrenzung von 25 Jahren
für die Beschäftigten der Privatwirtschaft aufheben und
sie damit den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes
gleichstellen. Damit hätte sich die Weiterbildungsmöglich
keit für einen großen Teil der Beschäftigten verbessert,
und die Berliner Beschäftigten selbst wären in diesem
Punkt an das Niveau von Hamburg, Bremen oder Nieder
sachsen angeglichen worden. Damit wäre ein Stück weit
anerkannt worden, daß ein Beschäftigter nicht nur dazu
da ist, den Gewinn für den Privatunternehmer zu erarbei
ten, sondern daß auch er ein Recht besitzt, seine Person- (°)
lichkeit im Rahmen seiner Arbeit zu erhalten und weiter
zu entwickeln. Mit unserem Antrag wäre es möglich gewe
sen, der weiteren Dehumanisierung des Arbeitslebens
ein Stückchen entgegenzuwirken. Um dies zu verdeut
lichen, möchte ich Ihnen ein Beispiel von einem Arbeits
platz der Elektro-Industrie geben:
Im Bereich der Elektro-Industrie — und hier besonders
an Frauen-Arbeitsplätzen — gibt es extrem kurze Takt
zeiten. Taktzeiten sind solche Zeiten, in denen sich ein be
stimmter Arbeitsgang wiederholt. In einem weiten Bereich
liegen zum Beispiel in der Elektro-Industrie diese Takt
zeiten zwischen 15 und 30 Sekunden; das ergibt etwa
60 bis 120mal pro Stunde und 500 bis 1 OOOmal pro Tag
immer die gleichen Handgriffe, immer dieselben Blicke,
immer die gleiche Körperbewegung, wie im Schlaf, äußerst
stumpfsinnig. Solche Arbeit verblödet die Arbeitnehmer
und müßte nach unserer Meinung schon aus rein humani
tären Erwägungen verboten werden.
[Beifall bei der AL]
— Schönen Dank! — Da aber der Unternehmer ein priva
tes und weitgehend uneingeschränktes Verfügungsrecht
über die Form des Arbeitsablaufs innerhalb des Betriebs
ausüben kann, hat sich an solchen dehumanisierenden
Arbeitssituationen seit Jahren nichts geändert — nein: sie
sind schlimmer geworden. Man muß feststellen, daß unter
Krisenbedingungen und Massenarbeitslosigkeit die klei
nen Ausweichmöglichkeiten, die es früher gegeben hat,
heute nicht mehr existieren. In der Krise gibt es eben
keine Möglichkeit, den Arbeitsplatz nach einer gewissen
Zeit zu wechseln; in der Krise gibt es kaum noch Möglich
keiten, durch kleine, kaschierte Arbeitspausen den men
schenverachtenden Stumpfsinn etwas aufzuweichen. Das
Wochenende, der Feierabend oder der Urlaub sind hier
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